Bochum. 200 von 300 Stellen bei Wabtec in Bochum sollen wegfallen. Deren Verlegung nach Italien „macht gar keinen Sinn“. Sagt ein Gutachter.
Stehender Beifall zum Schluss. Nach der Belegschaftsversammlung am Dienstag beim Eisenbahnzulieferer Wabtec scheinen die Beschäftigten mehr denn je bereit zu sein, für den Erhalt ihres Werks in Bochum zu kämpfen. Das Unternehmen hatte im November angekündigt, bis Ende 2023 werde die gesamte Produktion nach Italien verlegt und daher 200 von insgesamt 300 Stellen gestrichen.
Kündigungen bei Wabtec: Gutachter kritisiert Management
70 Beschäftigte haben an dem mehr als vierstündigen Treffen im Jahrhunderthaus an der Alleestraße teilgenommen. Weitere 136 waren nach Angaben des Betriebsrats online dazu geschaltet. Vor allem Informationen haben sie sich im Vorfeld erhofft.
„Es gibt immer wieder neue Gerüchte“, sagt Frank Secchi (55), der seit 40 Jahren im Unternehmen arbeitet und damit einer der dienstältesten Beschäftigten sein dürfte. Einmal heiße es, schon weit vor 2023 würden Arbeitsplätze gestrichen; dann wieder sei zu hören, 80 bis 100 Beschäftigte der Produktion blieben doch vor Ort. „Wir würden uns schon mehr Informationen vom Betriebsrat wünschen“, so Secchis Arbeitskollege Michael Gutacker (47).
IG-Metall-Vorstand schwört Belegschaft ein
Tatsächlich mache sich allmählich Unruhe in der Belegschaft breit, räumt Tanja zum Dohme ein. „Aber ich glaube heute wurde der Informationshunger umfassend gestillt“, so die Betriebsratsvorsitzende. Der Beifall der Beschäftigten für IG-Metall-Vorstandsmitglied Thomas Kalkbrenner, der die Wabtec-Belegschaft auf den Kampf für den Erhalt des Standorts eingeschworen hat, wertet sie auch als Unterstützung für die Arbeit vor Ort. „Darüber bin ich sehr glücklich und auch ein bisschen gerührt“, gesteht sie.
Mit den Vorschlägen des Unternehmens zum Interessenausgleich und zum Sozialplan habe sich die Mitarbeitervertretung noch gar nicht beschäftigt. „Wir wollen erst alle Informationen vorliegen haben“, so zum Dohme. Und am liebsten wäre es, es käme überhaupt nicht zu solchen Gesprächen.
Gutachter sieht Standort Bochum vorne
Denn: Der als Gutachter eingeschaltete Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup (68), einst Professor an der Westfälischen Hochschule, habe in seinem zweistündigen Vortrag klar herausgearbeitet, dass Bochum nicht schlechter dastehe als das italienische Werk in Poli. Im Gegenteil. „Es gibt keinen rationalen Grund für die Aufgabe der Produktion in Bochum“, so Tanja zum Dohme.
„Wenn überhaupt, dann müsste die Produktion aus Italien nach Bochum verlagert werden“, so der Gutachter im Gespräch mit der WAZ. Das Wabtec-Management argumentiere, in Italien seien die Lohnkosten deutlich geringer. Bontrup: „Aber hier sind die Produktivität und der Mehrwert größer.“ Das sei entscheidend. Die geplante Verlagerung von Arbeitsplätzen ist aus seiner Sicht „mit heißer Nadel gestrickt.“ Und: „Sie macht überhaupt keinen Sinn.“
Belegschaft ist immer noch verwundert über Pläne zur Verlagerung
Das Signal in Richtung Belegschaft ist klar: „Wenn wir zusammenhalten, ist alles möglich“, hieß es zu Beginn der Belegschaftsversammlung. „Und jetzt habe ich den Eindruck, alle sind noch kämpferischer als vorher“, so die Betriebsratsvorsitzende am Nachmittag.
Umzug von Witten nach Bochum
2017 hat der US-Konzern Wabtec das französische Unternehmen Faiveley Transports und damit auch das Faiveley-Werk in Witten übernommen.2020 ist Wabec mit seinem Werk aus Witten nach Bochum gezogen. Auf Mark 51/7 hat der Eisenbahnzulieferer ein vom Immobiliengiganten Panattoni erstelltes, neues Werk übernommen.Damals hieß es, das neue Werk biete die Möglichkeit, höchste Produktivitäts- und Qualitätsstandards zu erfüllen. Die Rede war außerdem von einem zukunftsorientierten Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter.
Verblüfft ist die Wabtec-Belegschaft derweil weiterhin darüber, dass es kurz nach dem Umzug von Witten nach Bochum in das moderne Werk auf Mark 51/7 plötzlich heißt, Bochum sei nicht mehr wettbewerbsfähig. „Das verstehen wir einfach nicht“, so Michael Gutacker und Frank Secchi. Die Anlagenführer sehen zwar angesichts des wachsenden Facharbeitermangels durchaus Chancen,neue Jobs ergattern. „Aber dann würde ich bestimmt 800 bis 1000 Euro netto monatlich verlieren“, fürchtet Secchi. Und der Vorruhestand komme noch nicht in Frage. „Ein paar Jahre muss ich schon noch arbeiten.“
Und am liebsten möchte er möglichst bald wissen, wo das sein wird.