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Er gehört zu den Experten, die am Donnerstag im Düsseldorfer Landtag als Sachverständiger zum aktuellen NRW-Haushalt sprachen: Prof. Dr. Heinz-Josef
Bontrup
(58). Mit dem gebürtigen Halterner, der als Wirtschaftswissenschaftler an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen lehrt, sprach WAZ-Redakteur Andreas Rorowski über die Finanznot von Land und Städten.

Herr Bontrup, als einziger Experte haben Sie die Neuverschuldung NRW’s verteidigt. Schwimmen Sie gerne gegen den Strom?

Ja, ich schwimme schon gerne gegen den Strom, vor allem wenn die Politik falsch ist. Der neoliberale Wettbewerbsstaats wollte den Staat immer schlanker machen. Und wir sehen ja wo das geendet ist, in der schlimmsten Finanz- und Weltwirtschaftskrise seit den 20er Jahren.

Sie kritisieren die Steuerpolitik des Bundes der vergangenen 20 Jahre, die das Einnahmeproblem von Ländern und Kommunen verursacht habe. Würde eine ganz andere Besteuerung die Haushalte retten?

Natürlich. Aber da spielt die Musik in Berlin. Vor dem Hintergrund der Nichtkreditaufnahme-Möglichkeit ab 2020, der sogenannten Schuldenbremse, wird das alles noch viel enger werden. Es ist völlig daneben zu glauben, die Länder könnten bis 2020 ausgeglichene Haushalte vorlegen. Sie werden trotzdem versuchen, ihre Ausgaben zu verringern. Damit gießen sie aber Öl ins Feuer, weil das Wachstum kosten wird und das führt zu noch weniger Steuereinnahmen, so dass dieser Teufelskreis nicht durchbrochen werden kann.

Sind die Städte mit ihren hohen Verschuldungen noch zu retten?

Die Kommunen in NRW haben ganz, ganz große Probleme, weil der Bund sich mit seiner falschen Politik schadlos gehalten hat zu Lasten der Länder. Und die Länder haben dies weitergereicht an die Kommunen, so dass die im Grunde genommen alle unterfinanziert sind. Dass NRW den Stärkungspakt eingeführt hat, ist eine richtige Maßnahme gewesen. Aber das wird nicht ausreichen, um den Kommunen wirklich zu helfen, damit sie aus ihrer Unterfinanzierung für ihr wichtigen kommunalen Leistungen auch herauskommen. Was im übrigen auch der Wirtschaft nützen würde. Es wird immer der Gegensatz aufgemacht, ein starker Staat schade der Wirtschaft. Ganz falsch. Ein starker Staat nützt der Wirtschaft. Dieses Denken ist abhanden gekommen und das müssen wir dringend zurückholen.

Ein Beispiel: Recklinghausen muss womöglich zusätzlich 20 Millionen Euro jährlich einsparen, um in sechs bis zehn Jahren einen ausgeglichen Haushalt gestalten zu können. Was muss in einer Kommune passieren, um das zu erreichen?

Das würde mich auch mal interessieren. Sachverständige, die das pauschal fordern, müssten mal konkret sagen, wo gespart werden soll: bei den Personalausgaben, in den Kindergärten, bei der Polizei, in den Schulen und Hochschulen oder sogar in Krankenhäusern. Das aber ist die völlig falsche Politik und wird auch nicht gelingen. Die Schuldenbremse ist falsch und im Ansatz krank.

Fakt ist, es gibt auf allen Ebenen weltweit das Problem hoher Schulden. Was ist das zu tun?

Schulden ist die eine Seite der Medaille, die andere Seite ist Vermögen. Wenn in einer Wirtschaft die Schulden wachsen, wächst auf der anderen Seite das Vermögen gleich mit. Und man muss fragen, warum gibt es denn diese Schulden? Sie sind deshalb entstanden, weil unter der neoliberalen Politik eine gigantische Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen stattgefunden hat. Die Vermögenden haben am Ende nicht mehr gewusst wohin mit dem Geld, haben es spekulativ angelegt und haben damit die Welt angesteckt. Nachdem sie die Welt angesteckt haben, haben sie den Staat wieder gerufen. Da war der Staat wieder derjenige, der helfen sollte, der heilen sollte. Vorher wollten sie vom Staat nichts wissen. Nun ist von riesigen Staatsverschuldungen die Rede, die aber von Privaten ausgelöst wurden. Sie bedienen sich an der Schuld der Staaten mit enormen Zinszahlungen, damit ihr Vermögen noch größer wird. Die Lösung ist: Wir brauchen einen radikalen Vermögensschnitt. Überall auf der Welt. Da muss Politik das Gewaltmonopol walten lassen.