Bochum/Wien. Henning Eßkuchen wuchs in Bochum auf, lebt heute in Wien. Bei seiner Auswanderung dachte er, der Kulturschock bliebe aus - doch es kam anders.
Er überschritt die Grenze am 28. März 1996 um kurz vor sieben mit einem VW Golf. "Das ist jetzt Auswandern light", dachte sich Henning Eßkuchen damals. Denn seine neue Heimat lag gerade einmal einen Katzensprung entfernt - in der österreichischen Hauptstadt Wien. Und auch durch seine damalige Freundin und heutige Ehefrau fühlte sich Eßkuchen bestens auf seine Auswanderung vorbereitet, erwartete keinen Kulturschock.
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Heute, 25 Jahre später, weiß der 52-Jährige es besser: "In der Summe machen die Kleinigkeiten doch einen ziemlichen Unterschied", sagt er. Das fängt beim Januar an, der in Österreich Jänner heißt, geht weiter mit der Kaffeehauskultur bis hin zum charakteristischen Humor der Wiener, dem "Wiener Schmäh".
Kleine große Unterschiede
"Der größte Unterschied ist die gemeinsame Sprache. Schon beim ersten Atemzug hören die Österreicher, dass ich nicht dort geboren bin", sagt Eßkuchen und lacht. Lieben gelernt hat er aber die österreichische Gelassenheit. "Sie hat ein angenehmes Ausmaß - nicht so, dass alles Kopf steht, aber etwas entspannter als in Deutschland", beschreibt er. Dennoch denke er sich manchmal "Bursche, komm in die Gänge!" und gilt damit schon als grob.
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In Bochum wuchs Eßkuchen im Ehrenfeld auf, besuchte die Drusenberg-Grundschule, später das Graf-Engelbert-Gymnasium. "Ich habe lange Basketball im TC Südpark gespielt, war außerdem Pfadfinder in St. Meinolphus", erinnert sich der Vater eines 12-jährigen Sohnes. "Wesentliche Orte meiner jugendlichen Sozialisation waren die Zeche, das Jago am Schauspielhaus und das Mandragora", sagt Eßkuchen. An der Ruhr-Universität studierte er Wirtschaftswissenschaften, machte dabei bereits ein Praktikum in Moskau.
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Lebenswerteste Stadt der Welt
"Mir war eigentlich immer klar, dass ich einmal aus Deutschland weg möchte", sagt der Bochumer. Nicht, weil es ihm in seiner Heimat nicht gefalle, sondern weil ihn die Ferne reizte. Erst liebäugelte er mit Neuseeland, als er aber seine österreichische Frau traf, die ihrerseits ein Praktikum bei der Sparkasse machte, fiel die Entscheidung auf Deutschlands Nachbarland.
"Wien ist für mich gerade richtig - nicht zu groß wie London oder New York, aber trotzdem Reich an Kulturangeboten und allem, was man braucht", so Eßkuchen. Mittlerweile würde er sofort unterschreiben, dass Wien eine der lebenswertesten Städte weltweit ist. In der Mercer-Studie, die die Lebensqualität einer Stadt bewertet, landete Wien zehn Mal hintereinander auf dem ersten Platz.
Finanzanalyst in Wien
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"Für mich ist es aber immer noch gewöhnungsbedürftig, dass hier alles paniert wird - nicht nur das Wiener Schnitzel", sagt Eßkuchen. Auch Spargel, Käse und Vanilleeis seien ihm schon paniert angeboten worden. In Wien arbeitet der Familienvater als Finanzanalyst für die Erste Bank, Spitzeninstitut der österreichischen Sparkassengruppe. Eßkuchen ist auf Zentral- und Osteuropa spezialisiert.
Normalerweise kommt er einmal im Quartal nach Bochum, ein Fiege-Pils und eine Dönninghaus-Wurst sind dann - wie bei so vielen Auswanderern - fester Programmpunkt. "Wenn man auswandert, nimmt man Dinge, bei denen man dachte, sie seien gar nicht wichtig, noch einmal ganz anders wahr", erklärt Eßkuchen. Erst durch sein Leben in Österreich wisse er ein kühles Fiege-Pils richtig zu schätzen.
Beispiel für Wert der EU
Auch Auswirkungen auf sein Selbstbild hat die Auswanderung für ihn gehabt: "Ich sage nun: Ich bin ein Europäer", so Eßkuchen. Ein Jahr vor seiner Ankunft war Österreich der EU beigetreten, die Auswanderung für den Bochumer deshalb kein großer formaler Akt mehr. "Ich habe anfangs zwar noch einen sogenannten Lichtbildausweis für Fremde gebraucht, aber schnell war für mich alles so, wie für andere Österreicher", sagt er. Das zeige, was uns die EU wert sein sollte, meint Eßkuchen.
Will er dauerhaft in Österreich bleiben? "Ich kann mir auch gut vorstellen, meinen Ruhestand in einem anderen Land zu verbringen", sagt der 52-Jährige. Dann sei aber wesentlich mehr Vorplanung nötig: In einen VW Golf passt sein Hausstand - wie damals als 27-jähriger frischer Uniabsolvent -nämlich sicherlich nicht mehr.
Wien als Touristenmagnet
Wien ist die Hauptstadt Österreichs und gleichzeitig eines der neun Bundesländer. Mit etwa 2,8 Millionen Einwohnern lebt etwa ein Drittel der österreichischen Gesamtbevölkerung im Großraum Wien.
Bauwerke aus der Gründerzeit, im Barock- und Jugendstil, prägen Wien architektonisch. Als kaiserliche Reichshauptstadt war Wien kulturelles und politisches Zentrum Europas.
Das historische Zentrum von Wien und Schloss Schönbrunn sind UNESCO-Weltkulturerbe. Mit jährlich 7,5 Millionen Touristen zählt Wien zu den meistbesuchten Städten Europas.