Bochum. Ein offener Brief der Diakonie zu Besuchen in Altenheimen entfacht Kritik. Sorgen bereitet Angehörigen auch die Impfbereitschaft der Mitarbeiter.
Ein offener Brief der Diakonie Ruhr an die Angehörigen von Altenheim-Bewohnern entfacht Protest. Das Schreiben sei "ein Schlag ins Gesicht", meint eine Bochumer Familie, die NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) eingeschaltet hat. Der Wohlfahrtsverband spricht von einem Missverständnis.
In der Vorweihnachtswoche hatte die Diakonie Ruhr, die in Bochum sieben Pflegeheime betreibt, den Brief auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Jens Fritsch, Fachbereichsleiter Altenhilfe, übt darin scharfe Kritik an der Besuchsgarantie, die die NRW-Landesregierung für Altenheime ausgesprochen hat. Das sei "fahrlässig und verantwortungslos", so Fritsch.
Ärger um Diakonie-Brief: Besuche auf das Nötigste beschränken
Der Bereichsleiter warnt vor der Annahme, die Heime seien sicher, und verweist u.a. auf die Schnelltests. Sie seien "fehleranfällig und nicht geeignet, den Eintrag des Virus zu verhindern". Öffentliche Aufgaben würden auf die Einrichtungen übertragen. Dort seien die Mitarbeiter bereits maximal belastet. Es seien "schlicht keine Personen vorhanden, die in der Lage wären, ausreichend Testungen durchzuführen".
In zwei Diakonie-Heimen sei es bereits zu größeren Infektionen und Todesfällen gekommen. "In beiden betroffenen Einrichtungen wurde das Virus vermutlich über Besuchskontakte unwissentlich unter Wahrung aller Schutzvorkehrungen eingetragen", erklärt Fritsch und appelliert an die Angehörigen, die Besuche auf das Nötigste zu begrenzen: "Uns ist bewusst, wie wichtig und ersehnt der Kontakt zu Ihren Liebsten ist – dennoch geht es zur Zeit darum, Menschenleben zu retten. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung."
Familie: Regeln im Heim einhalten
"Mit welcher bornierten Selbstherrlichkeit erlauben Sie sich, sich derart über die Angehörigen auslassen zu dürfen?", entgegnet die Bochumer Familie, die aus Furcht vor Repressalien darum bittet, ihren Namen nicht zu veröffentlichen. Seit März lebe ihre 83-jährige Mutter in einem Bochumer Diakonie-Heim. "Vier Monate durfte ich sie gar nicht sehen", sagt die Tochter unter Tränen.
Im aktuellen Lockdown erneut die Angehörigen aussperren zu wollen und die Senioren allein zu lassen, sei skandalös, so die WAZ-Leserin. Die Behauptung, Besucher hätten das Coronavirus in die Heime getragen, sei in keiner Weise gesichert. Statt das Leid der Bewohner und deren Familien zu verstärken, solle die Diakonie dafür sorgen, dass die Corona-Regeln in ihren Häusern eingehalten werden.
Diakonie: Kritik geht an Landesregierung, nicht an Angehörige
Fahrlässig seien nicht die Besucher, die sich in aller Regel so vorsichtig wie möglich verhielten. Fahrlässig sei auch nicht die "Entscheidung des Herrn Laumann, wofür wir ihm aus ganzem Herzen danken. Es ist Ihr Personal, welches sich hier grob fahrlässig verhält", schreiben die Angehörigen sowohl an die Diakonie als auch an den NRW-Gesundheitsminister.
Selbstverständlich würden alle Hygiene-Vorgaben in den Heimen strikt befolgt, entgegnet Diakonie-Sprecher Jens-Martin Gorny. Die Familie habe den offenen Brief offenbar missverstanden. "Die Schuldzuweisung richtet sich nicht gegen die Angehörigen, sondern gegen die Landesregierung. Bis auf die eine Familie haben wir ausschließlich positive Reaktionen erhalten", so Gorny.
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SBO befürwortet Besuche
Von einem "zweischneidigen Schwert" spricht Frank Drolshagen. Frühzeitig hatte der Geschäftsführer der Senioreneinrichtungen Bochum (SBO) eine Rückkehr zu Besuchen befürwortet. Die psychischen Folgen einer Kontaktsperre würden sonst "immer dramatischer", warnte Drolshagen bereits im Frühjahr. Ausdrücklich unterstützt er auch heute die Möglichkeit für Angehörige, ihre Liebsten in den vier SBO-Heimen mit 588 Wohnplätzen unter strengen Corona-Bedingungen zu treffen.
"So wenig Quarantäne wie nötig, so viele soziale Kontakte wie möglich!", fordert Drolshagen. Die Hygiene-Maßnahmen, etwa mit Schnelltests und FFP2-Masken für Gäste, hält er für ausreichend und umsetzbar, um Besuche - anders als noch im Frühjahr - zuzulassen. Der Landesregierung Fahrlässigkeit vorzuwerfen, sei verfehlt.
Impfquote im SBO-Heim bei 50 Prozent
Sorgen bereiten vielen Angehörigen derweil die aktuellen Zahlen über die Impfbereitschaft der Pflegekräfte in Altenheimen. Dr. Eckhard Kampe, Bezirksleiter der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, spricht gegenüber der WAZ von 50 bis 70 Prozent der Mitarbeiter, die sich impfen lassen wollen.
Die SBO bestätigt die Quoten. Im Haus an der Grabelohstraße, in dem am vergangenen Sonntag die Impfaktion in Bochum begonnen hatte, waren die Mitarbeiter zuvor gefragt worden, ob sie sich impfen lassen wollen. "60 Pflegekräfte stimmten zu. Das ist gut die Hälfte", sagt Geschäftsführer Drolshagen.
AWO appelliert an Mitarbeiter: "Lassen Sie sich impfen"
Die Arbeiterwohlfahrt Westliches Westfalen mit ihren vier Senioreneinrichtungen in Bochum könne sich noch kein einheitliches Bild von der Impfbereitschaft der Beschäftigten machen, erklärt Sprecherin Katrin Mormann.
In einem Mitarbeiterbrief der AWo vom 18. Dezember wird appelliert: "Lassen auch Sie sich impfen und helfen dadurch der Gemeinschaft in Ihrem Seniorenzentrum." Zugleich wird die Freiwilligkeit betont: "Aus einer Ablehnung der Impfung entstehen Ihnen selbstverständlich keinerlei berufliche Nachteile."
Pflegekraft: "Erst mal abwarten"
SBO-Chef Drolshagen ist zuversichtlich, die Quote alsbald zu steigern. Für "allgemein verbreitet" hält er die Skepsis einer Altenpflegerin, die anonym bleiben möchte und im WAZ-Gespräch sagt: "Ich will erst mal abwarten, ob es bei den ersten Impfungen irgendwelche Nebenwirkungen gibt."
Die ersten Ergebnisse seien ermutigend, berichtet die Kassenärztliche Vereinigung. Es sei zu keinen nennenswerten Folgeerscheinungen gekommen. Anlass für Drolshagen, an seiner Wunsch-Quote von mindestens 70 Prozent bei den Beschäftigten festzuhalten. Nächster Impftermin bei der SBO ist in 14 Tagen im Haus am Glockengarten.