Bochum. Die Bochumer Wohnstätten erheben schwere Vorwürfe gegen den Evangelischen Betreuungsverein. Mehrfach seien unter Betreuung stehende Mieter in ihren Wohnungen vernachlässigt worden.
Jüngster Fall: eine 64-jährige Behinderte, die – so vermutet die Genossenschaft – an der Hofsteder Straße möglicherweise jahrelang in Dreck und Chaos gelebt hat. Der Betreuungsverein weist die Vorwürfe zurück.
Türen und Möbel mit Vogelkot übersät, Böden, Tische und Sessel voller Unrat, eine schäbige Matratze vor dem Fernseher im Wohnzimmer, die Küche eine übel stinkende Abstellkammer. „Der Kühlschrank lebt“, schaudert es Angelika Möller, Mieterbetreuerin der Wohnstätten eG. Vor zwei Wochen hat Erika Schmidt (Name von der Redaktion geändert) ihr behindertengerechtes Zuhause verlassen und ist in ein Pflegeheim gezogen.
Angelika Möller ist entsetzt: über den Zustand der verwahrlosten Bleibe, deren Entrümpelung und Renovierung auf 10.000 Euro veranschlagt wird; mehr noch über „die Tatsache, dass Frau Schmidt in den vergangenen Jahren unter gesetzlicher Betreuung stand, ohne dass die Betreuer etwas unternommen haben. Sonst würde die Wohnung nicht so aussehen“.
Verwahrloste Wohnräume kein Eintelfall
Die Wohnstätten sind in besonderem Maße aufgeschreckt. Denn der Evangelische Betreuungsverein, der sich um Erika Schmidt kümmern soll, ist bei der Genossenschaft hinreichend bekannt. „Bei zwei Mieterinnen, die gleichfalls von dem Verein betreut wurden, war es ganz schlimm. Auch hier waren die Wohnräume verwahrlost.
Eine Dame, die aus ihrer Wohnung geholt wurde, ist auf dem Weg zur Klinik verstorben“, heißt es bei der Wohnungsgesellschaft, die im Fall Erika Schmidt sofort aktiv wurde. „Doch beim Amtsgericht fühlte sich niemand zuständig. Und die Geschäftsführung des Betreuungsvereins meinte: ,Was wollen Sie eigentlich von uns?’“, schildert Angelika Möller und fragt sich: „Wofür kassieren die Betreuer bzw. der Verein Steuergelder von bis zu 44 Euro pro Stunde?“
Die Diakonie Ruhr, unter deren Dach der Betreuungsverein in Bochum insgesamt 380 Menschen betreut, spricht von einem „schwierigen Fall“. Die Seniorin an der Hofsteder habe sich „nicht immer kooperativ verhalten“, deutet Diakoniesprecher Felix Ehlert an. Der Betreuungsauftrag sei jedoch „in vollem Umfang erfüllt worden. Das ist auch dokumentiert“. Die Betreuerin sei zuletzt im Januar und Februar jeweils zweimal in der Wohnung gewesen: häufiger, als es die Regel ist. Nach der WAZ-Anfrage habe sie „glaubhaft versichert, dass die Wohnung damals nicht so aussah wie jetzt“. Die Mitarbeiterin sei ihren Pflichten nachgekommen; die Vorwürfe der Wohnstätten werden „entschieden zurückgewiesen“.
5164 Betreuungsverfahren
Nach Angaben der Diakonie Ruhr ist beim Evangelischen Betreuungsverein eine Vollzeitkraft für 38 bis 40 Betreute zuständig. „Sie werden als betroffener Mensch nicht anonym verwaltet, sondern persönlich unterstützt“, heißt es auf der Internetseite.
Die Zahl der Betreuten in Bochum (altersverwirrt, psychisch erkrankt, körperlich oder geistig behindert) steigt seit Jahren. Das Amtsgericht führt aktuell 5164 Betreuungsverfahren. 2004 lag die Zahl noch bei 4377. Die größte Gruppe der unter Betreuung stehenden Menschen sind Senioren, die an der Alzheimerkrankheit oder einer anderen Demenz leiden.