Bochum.
In Mietwohnungen kann man sich seine Nachbarn meist nicht aussuchen. Intensive Kontaktpflege funktioniert nur noch bei jahrzehntelang gewachsenen Hausgemeinschaften. In der Regel bleiben die Bewohner für sich.
Vor fast sechs Jahren machte sich in Bochum ein Verein auf, aus diesen Strukturen auszubrechen. „Nawobo – Nachbarschaftlich Wohnen in Bochum – wurde gegründet, um eine neue Form des Zusammenlebens zu erproben. Jürgen Elias (56) gehört zu den Initiatoren des Projekts. Sieben Jahre mussten er und seine Frau Petra warten: Im Frühjahr dieses Jahres konnten sie ins „Mehrgenerationenhaus“ einziehen. An der Wasserstraße wurden zwei Gebäude errichtet nach den speziellen Wünschen des Vereins. Der suchte sich dazu einen Bauherrn und fand ihn in der Genossenschaft „Bochumer Wohnstätten“.
"Im Alter ne einsame Kiste"
„Unangenehme Nachbarn“ waren es, die die Elias einst motivierten, sich für die Idee des „Nawobo“ zu erwärmen. „Wir suchten eine Umgebung, wo die Leute sich verstehen, wo Kommunikation herrscht.“ Die Eheleute haben keine Kinder. Schon vor vier Jahren erklärte Jürgen Elias im Gespräch mit der WAZ: „Das wird im Alter eine ganz schön einsame Kiste.“
Der Verein sucht sich seine Bewohner aus, die möglichst alle Altersstufen und Lebensformen spiegeln: Familien/Alleinerziehende mit Kindern, Singles, Leute mittleren Alters und „flotte Alte“, wie die Vorsitzende Bärbel Stanger sagt. „Wir versuchen zu dritteln, damit keine Gruppe überrepräsentiert ist.“ Das Gros der Bewerber um eine Wohnung ist zwischen 50 und 60 Jahre alt. „In diesem Alter denkt man eher über die Zukunft nach und darüber, später nicht allein leben zu wollen.“ Im Vorfeld gab’s viele Treffen und Ausflüge, damit die Mieter sich beschnuppern konnten, ob sie zueinander passen.
Senioren passen auf Kinder auf
Das Prinzip dieses Wohnprojektes ist es, eine echte Nachbarschaft zu pflegen, von der alle partizipieren können. Senioren passen auf die Kinder der Jungen auf, die Älteren haben Gesellschaft und bekommen Hilfe etwa beim Schleppen von Getränkekisten. – Sich kümmern, aber nicht aufopfern: „Da suchte jemand eine Wohnung für seine 85-jährige pflegebedürftige Mutter. So etwas können und wollen wir nicht leisten. Natürlich gehen wir einkaufen für einen erkrankten Nachbarn. Aber ein Ersatz für den Pflegedienst sind wir nicht“, so Bärbel Stanger.
Von den Gründungsmitgliedern sind drei übrig geblieben, die in die Mehrgenerationenhäuser einzogen. Heute wohnen dort 25 Erwachsene, acht Kinder (1 bis 15 Jahren), drei Hunde, eine Katze, Kaninchen und Schildkröten in 17 Wohnungen. Tiere sind ausdrücklich erwünscht. Das Miteinander drückt sich auch in der 18. Wohnung aus, die von allen genutzt wird. Hier wird gefeiert, geklönt, zusammen gekocht und gespielt. Margarete Bender: „Wir haben Arbeitsgruppen gebildet, jeder hat seine Aufgabe, ob Gartenpflege oder Feste organisieren.“ Petra Elias ergänzt: „Die soziale Isolation ist aufgebrochen. Man entwickelt sich weiter durch die Mitarbeit.“
Investor gesucht
Das zweite Wohnprojekt ist in Vorbereitung; „wir suchen aktuell einen Investor für 15 bis 20 Wohnungen nach dem Vorbild Wasserstraße“, sagt Bärbel Stanger. 26 Personen wollen mitmachen. Wer sich darauf einlässt, sollte wissen, dass das Projekt nicht billig wird. Die Wohnungen in Weitmar (52-97 qm) kosten 6,90/m2, das nächste Haus werde teurer. „Mit 8 Euro muss man rechnen. Klar ist also, dass man sich kleiner setzt, wenn man mit uns zusammenzieht.“ Die Mehrkosten liegen an den architektonischen Besonderheiten wie Niedrigenergiestandard, extra breite Laubengänge als Kommunikationsorte, Aufzugsanlagen (barrierearmes Wohnen), Miete für die Gemeinschaftwohnung. „Dieses Projekt ist mir einen Euro mehr wert“, sagt Bärbel Stanger, dann selbst dort einziehen wird, schließlich gibt’s auf den Hausfluren mehr als nur ein freundliches „Guten Tag“.