Werne. Flüchtlingsberaterin Angela Kluge über das Leben im und die Kritik am Übergangswohnheim an der Krachtstraße
Das städtische Übergangsheim Krachtstraße war in letzter Zeit öfters Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Mal beklagten sich Anwohner über Müll- und Lärmbelastungen. Dann war die marode Bausubstanz der Häuser ein Problem. Die Bezirksvertretung Ost lädt deshalb die städtische Fachverwaltung zum mündlichen Bericht in der nächsten Sitzung am Donnerstag, 16. Juni, ab 15 Uhr, ein. Ziel ist, so der Antrag der Mehrheitsfraktion aus SPD und Grünen: Aktuelle Zahlen und Fakten zu den Flüchtlingen, zum Zustand der Häuser sowie zum Umfeld der Wohnanlage zu bekommen.
Flüchtlingsberaterin Angela Kluge vom Arbeitskreis Asyl der evangelischen Kirche in Bochum unterstützt seit dem 1. Juli 2009 die Bewohner an der Krachtstraße. Im Gespräch mit Wicho Herrmann gibt sie eine Innenansicht zur Situation im Hause.
Wie ist die Situation?
Die Stimmung ist eigentlich gut. Unter den Bewohnern gibt es kaum Streit. Sie bleiben zumeist ethnisch unter sich. Ärger gibt es ab und zu beim Waschen, weil jedes Haus nur eine Waschmaschine und einen Trockner hat. Bei Familien mit vielen Kindern, die deshalb häufiger waschen müssen, gibt es dann Probleme.
Wieviele und welche Flüchtlinge wohnen hier?
126 Personen aus 15 Nationen wohnen hier. Davon sind 78 Kinder und Jugendliche. In den Spitzenzeiten der 90er Jahre waren es über 200 Leute. Die meisten kommen aus Serbien/Montenegro, dem Kosovo und aus Mazedonien. Hinzukommen Familien aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Georgien. Mehrere Einzelpersonen wohnen zudem hier.
Wie lange besteht die Krachtstraße? Wieviele Übergangsheime gibt es?
Das Übergangsheim gibt es seit über 40 Jahren. Es besteht aus neun Häusern. Die Anlage gehört heute zu den wenigen noch verbliebenen Wohnstätten für Asylsuchende. Ende der 90-iger Jahre waren es noch 30 Standorte. Heute sind es nur noch drei: die Anlagen „Wohlfahrtstraße“, „Emilstraße“ und hier. Die Stadt versucht, möglichst viele Flüchtlinge in Privatwohnungen unterzubringen.
Kommt der Krachtstraße eine besondere Aufgabe zu?
Im Gegensatz zur „Wohlfahrtstraße“ können hier gut Familien zusammen wohnen. Darüber hinaus haben wir als einziges Haus Sozialräume, in denen Kinder betreut werden sowie niederschwellige Sozialangebote und Sprachkurse stattfinden.
Wir haben auch eine gute Infrastruktur für die Versorgung der Menschen, von der vor allem die Kinder profitieren. Sie bekommen Plätze in den Kindergärten und den beiden Grundschulen. Die Offene Tür im Erich-Brühmann-Haus kümmert sich um Jugendliche. Weiterführende Schulen gibt es in Langendreer, weil die ortsnahe Schule nur selten Kinder aufnimmt. Ärzte und Geschäfte sowie weitere Hilfsangebote von der Tafel und der Pfarr-Caritas sind nahe bei. Es wäre deshalb schade für die Arbeit, das Haus aufzugeben, so wie es derzeit diskutiert wird.
Ein Problem soll die marode Bausubstanz sein?
Wer über Jahre nichts an den Häusern instand setzt, muss sich anschließend auch nicht wundern, wenn langfristig Schäden eintreten. Ich sehe das mehr als eine vorgeschobene Diskussion an, um den Außendruck für eine Schließung zu erhöhen.
Thema Außendruck. Welche Müllprobleme gibt es?
Im Grunde genommen haben wir keine. An jedem Tag säubern die Samo Mawali aus Syrien und Artjom Mkrtchyan aus Armenien die gesamte Außenanlagen. Als im Winter der Müll auch hier nicht abgeholt werden konnte, haben die beiden den ganzen Abfall in große blaue Säcke umgepackt und verwahrten ihn auf der Anlage, bis die Müllabfuhr wieder kam.
Mitarbeiter der Stadt räumen die restlichen Gegenstände für den Sperrmüll aus leer gezogenen Wohnungen zum Abholtermin aus. Das geschieht allerdings öfters, weil viele Leute - im Wortsinne - nur übergangsweise hier wohnen.
Wie sieht es mit der Lärmbelastung aus?
Das letzte Mal, als die Polizei deshalb nach dem Anruf eines Nachbars hier war, stellte sich heraus, dass der Lärm durch Feiernde beim Osterfeuer vor dem benachbarten Pfarrsaal von Herz Jesu entstand.
In Teilen sind solche Vorwürfe reine Schikane, weil die Stimmung uns gegenüber schlecht ist. Beim jährlichen Sommerfest (von 15 bis 18 Uhr), zu dem wir immer auch die Nachbarn einladen, kam im letzten Jahr die Polizei zu einem Musikauftritt. Dabei hatten wir eine Sondergenehmigung dafür.
Wo sollen die Flüchtlinge hin, wenn das Haus geschlossen werden sollte?
Die Stadt sucht derzeit an verschiedenen Standorten günstigen Wohnraum, um dort Flüchtlinge unter den beengten Bedingungen eines Übergangswohnheims unterzubringen. Das heißt zum Beispiel, dass eine mir bekannte Familie mit drei Personen auf gerade 45 Quadratmetern wohnt.
Auf dem freien Wohnungsmarkt können Flüchtlinge ebenfalls Wohnungen beziehen, da die Stadt die Miete in einem gewissen Rahmen übernimmt. Sie trägt auch die fällige Kaution per Garantieerklärung. Das Problem ist jedoch: Wer vermietet an jemanden, der möglicherweise von einem auf den anderen Tag das Land verlassen muss?