Oberhausen. Eine Gelenkbus irrt mit 40 Theatergästen theatralisch von Styrum nach Sterkrade. Leider bietet platter Lokalpatriotismus kaum Erkenntnisgewinn.

Einen besseren Tag als den Märzausklang mit Regen, Dunst und Düsternis kann man sich selbst bei überbordender Fantasie nicht vorstellen, um über die jüngste Produktion der „Open Haus“-Sparte des Theaters Oberhausen zu berichten. Die heißt nämlich „Obermünchhausen“, was aufs Schönste nicht nur die„Hauptstadt der Kellner“, wie die Musikkabarettistin Marie Diot erst unlängst witzelte, mit dem Namen des berühmten Lügenbarons verbindet, sondern obendrein auch noch den schicken Charme der Voralpenmetropole ins elende Spiel um heimische Minderwertigkeitsgefühle bringt.

Auch wenn folglich auf Teufel komm raus gelogen wird, dürfen Sie (halbwegs) sicher sein, dass niemand die Absicht hat, seine Leser nun kräftig in den April zu schicken. Sehr wohl aber auf eine Rundreise durch die nächtliche Stadt – vom Ebertplatz über Styrum bis weiß der Kuckuck wohin. Denn was die aus Hamburg stammende Regisseurin Anne Verena Freybott eigentlich als stationäre Inszenierung für eine an der Marktstraße gelegene Büroetage mit Blick auf den Altmarkt als „Einbürgerungsparcours“ geplant hatte, musste recht kurzfristig (Mietwunder gibt es immer wieder) in einen Gelenkbus der Stoag verlegt werden.

Süße Appetithäppchen reichte Samia Dauenhauer zum Beginn der Theatralen Bustour „Obermünchhausen
Süße Appetithäppchen reichte Samia Dauenhauer zum Beginn der Theatralen Bustour „Obermünchhausen" © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Prinzipiell eine interessante Idee, (er)fahrenderweise ein Theaterstück auf Erkundungstour zu schicken, doch mit ungeahnten Tücken behaftet, wie der trotz des geringen Platzangebots erstaunlicherweise nicht ausverkaufte Premierenabend zeigte. Der fiel zwar nicht gänzlich ins Wasser, wurde aber doch ein Opfer desselben. Es regnete nämlich wie . . . Obelix’ Lieblingsspeise, weshalb das durchnässte Publikum im Bus – der übrigens, voll normal im ÖPNV, mit acht Minuten Verspätung startete – dampfte wie frischgebrauter Zaubertrank.

Enttäuschung: keine „Magical Mystery Tour“

Folglich guckte man für den Rest des Abends nicht auf avisierte Oberhausener Stadtattraktivitäten, sondern durch dichtbeschlagene Fensterscheiben ins Nebulöse. Konnte man aber durchaus auch als Gnade empfinden und dabei an Frank Goosen denken – na, Sie wissen schon. Wer da hoffte, nun immerhin eine „Magical Mystery Tour“ zu erleben, wurde bitterlich enttäuscht und von wechselnden Protagonisten mit heimischen Klischees und arg plattem Lokalpatriotismus satte 90 Minuten lang vollgetextet.

Mit schwerem Gepäck enterte Maria Lehberg den verspäteten – aber dafür mit Mikrofonen ausgestatteten Stoag-Bus.
Mit schwerem Gepäck enterte Maria Lehberg den verspäteten – aber dafür mit Mikrofonen ausgestatteten Stoag-Bus. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Dafür hatte Anne Verena Freybott aus 20 Interviews mit Gesprächspartnern „von 30 bis Mitte 70“ fünf individuelle, dem Titel „Obermünchhausen“ (wie es in unserem Vorbericht hieß) „würdige Plädoyers“ für die vielfach verkannte größte Stadt Deutschlands ohne Hochschule kompiliert. „Unser Bus wird so zum Forschungsschiff“ schwärmte sie. Weshalb man ja durchaus frohgemut gewillt war, unterwegs „Eine Seefahrt, die ist lustig“ anzustimmen. Nur wurde es weder eine Seh-Fahrt noch sonderlich lustig, auch wenn eine „Ingeborg Emscher-Bachbreite“ als imaginäre Stadtdichterin für einiges Gekicher sorgte und ein Kanalarbeiter in typisch oranger Latzhose Schlauheiten über den Oberhausener Untergrund und seine Abwasserflüsse verbreitete.

Mit Jens Schnarre im augenpulverisierenden Sakko schlingerte die abendliche Busfahrt in Richtung Schlagertour.
Mit Jens Schnarre im augenpulverisierenden Sakko schlingerte die abendliche Busfahrt in Richtung Schlagertour. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Die gereifte Mädelsgang auf dem Weg zur Turbinenhalle war dagegen nur ein müder Abklatsch der Wirklichkeit. Da bietet jede Fahrt mit der Essener „Kulturlinie 107“ vom Nobelvorort Bredeney nordwärts bis zum Gelsenkirchener Musiktheater mehr pralles Leben: „Isch schwör disch, Alder!“ Und schlicht peinlich, vielleicht aber auch nur Geschmackssache, wie Moderator „Manni“ als singendes Guildo-Horn-Imitat sein Publikum im Bus umarmte. Vom jubelnden „Oberhausen“ auf die famose Melodie von „New York, New York“ mal ganz zu schweigen.

Trost an der renaturierten Emscher

Einziger Erkenntnisgewinn nach einem nebulösen Theaterabend: Oberhausen hat augenscheinlich viel mehr süddeutsche Lidl-Märkte als heimische von Feinkost Albrecht. Trösten Sie sich an der renaturierten Emscher mit Gershwin: „Sommerzeit und die Fische hüpfen“. Noch besser: Basteln Sie sich Ihr eigenes „Obermünchhausen“ in echt – Fahrkarten gibt’s beim VRR, ungelogen.

Bei Münchhausens gelten keine VRR-Tickets

Weitere Busfahrten mit Münchhausens folgen am 13., 16., 27. und 29. April. Der Stoag-Gelenkbus startet jeweils um 19.30 Uhr zu der rund 90-minütigen Expedition durchs Stadtgebiet.Karten zu 15 Euro gibt’s unter 0208 8578 184, per Mail an service@theater-oberhausen.de. VRR-Tickets gelten hier allerdings ebenso wenig wie ab Mai das Deutschlandticket.