Mülheim. Karl Erich Wessler ist 70 Jahre alt und genießt seinen Ruhestand am liebsten auf Weltreise mit dem Fahrrad. Warum er von Mülheim aus startete.
Einfach nur rumzusitzen, ist nicht Karl Erich Wesslers Art. Während unseres Telefonats hockt er bei sich zu Hause auf dem Heimtrainer und radelt auf der Stelle. 70 Jahre ist der Mann alt und genießt seinen Ruhestand am liebsten in Bewegung. In diesem Jahr hatte er davon besonders viel, denn es ging mit dem Rad von Mülheim nach Marrakesch – in 48 Tagen legte der Mann aus Beverungen stolze 4860 Kilometer zurück. Warum tut man sich das an? „Seit ich im Ruhestand bin, mache ich jedes Jahr eine längere Radtour. Ich war schon auf Sardinien und bin bis nach Athen gefahren.“ Auch diesmal sollte das Reiseziel innerhalb Europas liegen. „Aber dann stieß ich bei der Internetrecherche auf dieses Bild von einem Café mitten in Marrakesch und dachte mir: Da musst du hin.“
Und so nimmt das Abenteuer seinen Lauf: Am 14. September startet er gemeinsam mit zwei Mitstreitern in Mülheim. „Meine Tochter hat dort ein Yoga-Studio. Ich bin öfter in der Stadt“, sagt er. Außerdem sei Mülheim geografisch ein guter Treffpunkt gewesen, denn seine Mitreisenden kommen aus Lüdenscheid und Barntrup.
Zehn Kilo Gepäck – mehr muss nicht sein
+++ Alles zum Thema Reise in der WAZ lesen Sie hier +++
Über Brügge geht es zu den Kreidefelsen in Mers-Les-Bains und per Boot nach Le Havre. In Frankreich verabschiedet sich der Mitreisende aus Barntrup, der wohl mit den Höhenunterschieden zu kämpfen hat. Da sind es nur noch Karl Erich Wessler und Paul Stania aus Lüdenscheid, die sich der weiteren Route stellen. Etwa einhundert Kilometer am Tag legt das Duo zurück. Als Gepäck haben sie lediglich zwei Garnituren Sportbekleidung, ein Abendoutfit und den Kulturbeutel dabei. Zehn Kilo Gepäck – „mehr muss nicht sein“, erklärt der Radsportler und ergänzt: „Es gehört sowieso zur Routine, jeden Abend zu waschen – und zwar das Rad, die Klamotten und sich selbst.“
Insgesamt läuft die Reise auf europäischem Boden bis auf ein paar Tage Regen und einen geschwollenen Knöchel gut. Doch ein Erlebnis bleibt Karl Erich Wessler besonders in Erinnerung. „In Südfrankreich hat uns das Navi in eine Landschaft gelotst, in der zuvor ein Waldbrand gewütet hat. Wir sind an Hunderten abgebrannter Häuser, Autos und Ferienanlagen vorbeigefahren. Das waren Bilder wie aus einem Kriegsgebiet“, erinnert er sich. Weiter geht es über Spanien bis nach Portugal und von dort schließlich nach 28 Tagen übers Meer nach Tanger.
Plötzlich stehen sie mitten in Marokko ohne Bett für die Nacht da
In Marokko erleben die Radfahrer Gegensätze, die krasser nicht sein könnten. Im marokkanischen Küstenort Asilah finden sie für gerade einmal 36 Euro pro Nacht ein modernes Appartement, in dem es an nichts mangelt. Auf dem Weg von Casablanca nach Marrakesch dann das genaue Gegenteil. Erst am Abend kommen sie an ihrem Zielort an und stellen fest: Das gebuchte Hotel ist 500 Kilometer weit weg. Offenbar ist etwas bei der Google-Suche schiefgelaufen. Mitten auf der Straße bietet ihnen ein Mann einen Platz für die Nacht an.
Lesen Sie auch:
- Mit dem Rad unterwegs in NRW
- Urlaub im Sattel: So gelingt die große Radreise
- Duisburger radelt nach China
Doch der Blick in den Verschlag ist ein Schock für Karl Erich Wessler. „Das war so eine Art Hühnerstall, richtig versifft und übersät mit Zigarettenkippen. Ich wollte lieber an der Straße sitzen und auf den Sonnenaufgang warten, als darin zu schlafen.“ Der Fremde schickte die beiden erst einmal ein paar Häuser weiter zum Essen. Als sie wiederkamen, war ein Wunder geschehen. Der Verschlag war ausgefegt und zwei Betten standen bereit. „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Da wäre nichts anderes mehr gekommen.“
Das Ziel der nächsten Reise steht auch schon fest
Nach 3700 gefahrenen Kilometern und bei 34 Grad erreichen die beiden Männer schließlich ihr Ziel – und Karl Erich Wessler macht ein Foto von sich in genau jenem Café, das ihn bei seiner Internet-Recherche so sehr fasziniert hat. Hat sich die beschwerliche Reise gelohnt? Wenn man Karl Erich Wesslers Schwärmereien von Marrakesch zuhört, dann ganz sicher.
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, seinen Ruhestand im Sattel zu verbringen? Man kann ihn förmlich durch den Hörer schmunzeln hören beim Reden: „Als meine Tochter die Leitung eines Robinson Clubs auf Mallorca übernommen hat, habe ich gesagt, dass ich mit dem Rad hinkomme, wenn ich im Ruhestand bin. Und das habe ich dann auch gemacht.“ Zuvor war er Produktmanager für Gartenmöbel beim Traditionsunternehmen Kettler. Damit erübrigt sich für ihn auch die Frage nach dem richtigen Fahrrad: Es ist ein Tourenrad, natürlich aus dem Sortiment des ehemaligen Arbeitgebers.
Die nächste Reise steht bereits fest. 2023 geht es nach Kuba. Aktuell sucht er Mitstreiter über die Mitradelzentrale des ADAC. Sein Plan: „120 Kilometer am Tag, einmal um die Insel rum.“