Oberhausen. Mit einer nicht nur unkritischen Ode an Jugoslawiens Pop-Madonna starten in Oberhausen die vier Festivaltage von „New Stages South East“.

Die Gastgeberinnen vom Theater Oberhausen dürften erfreut durchatmen: Das Wagnis, im Westen unbekannte Dramen für die vier Festivaltage von „New Stages South East“ in die Stadt zu holen, zeigte sich am Auftaktabend vollauf gelungen. Vor allem jene weiblichen Fans des jugoslawischen Superstars Lepa Brena, die sich für diesen Abend besonders schick gemacht hatten, zeigten augenfällig: Hier kommt mal ein anderes Publikum zum Will-Quadflieg-Platz.

Dabei präsentiert sich das „Lepa Brena Projekt“ nur für kurze Moment als Mitsing-Liederabend und ist keineswegs eine beflissene Eloge an seine heute 62-jährige Heldin, die noch mit ihren späten Comebacks die Stadien von Belgrad bis Sofia füllte und rund 25 Millionen Tonträger verkaufte. Gleich vier groß aufspielende Schauspielerinnen – und ein Schauspieler – nähern sich stilvoll den Facetten eines Lebens, von dem man sagen müsste, wäre es ein fiktiver Dramentext: viel zu ausgedacht, total übertrieben.

Zackig: Diese Disco-Queen sollte eigentlich als Soldat zum Militär.
Zackig: Diese Disco-Queen sollte eigentlich als Soldat zum Militär. © Theater Oberhausen | Sanjin Strukic

Denn die Tochter einer bosnisch-muslimischen Familie, die als 19-Jährige mit der Band „Slatki Greh§" („Süße Sünde“) bereits einen beachtlichen Karriere-Frühstart hinlegte, hat wahrlich kein Klischee ausgelassen: von den Stadion-Tourneen in extravaganten Bühnen-Outfits über die Ehe mit einem serbischen Tenniscrack (ein Fest für alle Boulevard-Blätter des Balkans) bis zur Entführung ihres Sohnes durch Erpresser, die das Kind gegen ein mutmaßliches Millionen-Lösegeld nach fünf Tagen freiließen. Selbst mit dem zweifelhaften Action-Darsteller, Putin-Fan und US-russisch-serbischen Dreifachstaatsbürger Steven Seagal ist sie aufgetreten.

Die schrillste „Lepa Brena“ sollte Soldat werden

Diese Episode lässt das „Lepa Brena Projekt“ denn doch aus. Obwohl die schneidig inszenierten Auftritte schon einen meist hochtourigen Galopp durch diese wildbewegte Biografie bieten. Da ist die (im Habitus der jungen Nena ähnliche) naive Lepa Brena der Anfangsjahre, die mit großer Stimme (ganz anders also als Nena) Hymnen auf die friedvolle und gerechte Einheit Jugoslawiens singt. „Jugonostalgikerin“ sollte die Sängerin noch lange nach Ende des Staates mit dem roten Stern bleiben. Die Flagge und ein altarähnliches Pultmöbel sind übrigens das komplette Bühnenbild dieser Produktion von „Flying Ginger“ und „Bitef Teatar“ aus Belgrad.

Musikalisch setzt das „Lepa Brena Projekt“ auf radikale Kontraste: Den gefühlvollen Folk-Balladen mit einer Intensität, wie Westeuropäer sie vielleicht vom portugiesischen Fado kennen, folgen prompt stumpfe Disco-Stampfer, die auch textlich nur Frohsinns-Klischees zu bieten haben (vorausgesetzt, die sehr gut lesbaren Übertitel vereinfachen nicht zu sehr). Es sind die schrillen Glitzer-Momente für jene „Lepa“ („die Schöne“) im Minikleidchen und auf Plateausohlen, die ihren Vater so bitter enttäuschte – weil sein Sohn doch ein strammer Soldat werden sollte. Der Vorwurf „Wenn alle so wären wie du, hätte Krieg keinen Sinn“ erntet die Lacher des Abends. Vladimir Aleksić, der hier so freudig aufdreht, ist mit seiner Kollegin Olga Dimitrijević übrigens der Regisseur des Projekts.

Die jugoslawische Flagge ist das entscheidende Utensil des Abends: Zunächst schlaff drapiert wie ein Leichentuch, später in patriotischem Trotz erhoben.
Die jugoslawische Flagge ist das entscheidende Utensil des Abends: Zunächst schlaff drapiert wie ein Leichentuch, später in patriotischem Trotz erhoben. © Theater Oberhausen | Sanjin Strukic

Die wahre Grande Dame aber erscheint im weißen Hosenanzug mit mondäner Perücke und rauchiger Stimme, um in bester Las Vegas-Manier mit den abgeklärten Weisheiten eines Show-Stars zu tändeln. Auch ihre angeraute Stimme kleidet (leider nur für ein Lied) den Lepa-Brena-Sound vorzüglich. Erst als sie von der Angst um ihren entführten Sohn erzählt, zerbricht diese Luxus-Fassade.

„Brena-Bauten“ spiegeln der Zerfall Jugoslawiens

Apropos Luxus: Es gibt ja auch noch Lepa Brena, die „Bauingenieurin“: Offensichtlich firmierten große Wohnblocks in Jugoslawien lange als „Brena-Bauten“ – zu ihrer besten Zeit als Musterbeispiele modernen Wohnens. Ihr Verfall zu Wohnorten für verzweifelte Selbstmörderinnen ist in diesem Drama das Spiegelbild für den Zerfall Jugoslawiens. Lepa Brena aber, das schöne Mädchen aus Brčko am Dreiländereck von Bosnien, Kroatien und Serbien war den Kriegen in ihrer Heimat längst nach Miami, Florida, entkommen.

Flucht oder Verrat oder trotziger Patriotismus? Das „Lepa Brena Projekt“ bietet seinem Publikum auch eine an deutschen Stadttheatern immer rarere Qualität: nämlich große Monologe, eindrucksvoll gesprochen. Beim Schlussapplaus erheben sich immer mehr Zuschauer und danken fünf strahlenden Lepa Brenas.

Festival-Finale mit Roadshow und Kurzfilmen

Der längste der vier Festivaltage startet am Samstag, 22. April, bereits um 11 Uhr mit einem „Stadtfrühstück“ im Innenhof des Theaters bei freiem Eintritt. Am Nachmittag folgen gleich drei Lesungen aus neuen Dramentexten plus Gespräche mit den Autorinnen und Autoren. Als Highlight des Samstags darf um 19.30 Uhr im Studio „Turbovolk 3000“ aufdrehen, eine theatrale Roadshow (aus München, in deutscher Sprache).Das Sonntagsprogramm am 23. April beginnt um 12.30 Uhr mit Lesungen und Gesprächen. Um 16.30 Uhr präsentiert das Große Haus einige Kurzfilme von Alina Serban. Die vielseitige Romni – aktiv als Schauspielerin, Regisseurin, Autorin und Filmemacherin – zeigt dann um 18 Uhr zum Festivalausklang im Studio ihr neues Bühnensolo „The Best Child in the World“ (in englischer Sprache, deutsch übertitelt).Karten für die beiden Studio-Shows kosten jeweils 15 Euro, für die anderen Angebote gelten Tageskarten zu 5 Euro, 0208 8578 184.