Mülheim. Das Theaterkollektiv KGI lädt zur Premiere in den Ringlokschuppen ein. „Ur-Heidi – Eine Heim-Suchung“ wird gezeigt. Ein spannendes Stück.
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Waren unsere Großeltern etwa Mittäter? Was wurde in der Familie über die Zeit des Nationalsozialismus erzählt? Wo klafften verdächtige Erinnerungslücken? Und wie bestimmt das Überlieferte das Denken und Fühlen der Enkel-Generation? Das Theater-Kollektiv „KGI: Büro für nicht übertragbare Angelegenheiten“ ist diesen Fragen nachgegangen und feiert mit einem investigativen Stück am Donnerstag, 27. Januar, um 20 Uhr Premiere im Ringlokschuppen. Es ist, wie der Zufall es so will, der internationale Gedenktag für die Opfer des Holocausts.
„Ur-Heidi – Eine Heim-Suchung“ heißt die Produktion, die sich aus Interviews der fünf Schauspieler mit ihren eigenen Eltern entwickelt hat. Assoziativ aneinandergereihte szenische Bilder und Sprachbilder, die „der Unlogik eines Alptraums“ folgen, kreisen das Thema ein. Die Darstellungen auf der Bühne wechseln sich ab mit Videoeinspielungen. „Wir haben rund 90 Prozent des Interviewmaterials verwendet“, berichtet Dominik Meder (KGI). Der rote Faden der Dramaturgie führt dabei von Generation zu Generation.
Heidi-Geschichte dient als Folie
Die Heidi-Geschichte, die vielleicht bekannteste Heimaterzählung des deutschsprachigen Raums, haben die Theaterleute als Folie für ihr Stück genutzt. „Heidi sollte zu ihrem Großvater ziehen, und der hatte eine düstere Vergangenheit, über die aber nichts erzählt wird“, erklärt Marie Vogt (KGI). Eine Parallele zur Kriegsgeneration? Haben die Großeltern über ihre Vergangenheit geschwiegen, haben sie etwas verschwiegen oder gar etwas erfunden, was nicht der Wahrheit entsprach?
Und: Haben ihre Kinder – also unsere Eltern – nachgefragt oder sich eher nicht zu fragen getraut? „Oft sind Gespräche abgebrochen worden, wenn sie an einem unangenehmen Punkt angelangt waren“, haben die KGI-Leute bei ihren Nachforschungen herausgefunden. Sie haben versucht, psychologische Prozesse bei allen Beteiligten zu erkennen und nachzuzeichnen und blinde Stellen näher zu beleuchten.
„Gefühlserbschaften“ auf der Spur
„Wir haben bei unseren Recherchen beispielsweise festgestellt, dass manche unserer Eltern gar nichts aus der Vergangenheit ihrer Eltern hören wollten, weil sie Mutter und Vater schützen und ein positives Bild von ihnen behalten wollten. Die Eltern wurden idealisiert“, gibt Simon Kubisch (KGI) ein Beispiel. „Wir beschäftigen uns mit Politik und Geschichte, halten die Erkenntnisse aber von uns selber – unserer eigenen Familie – lieber fern“, weiß Marie Vogt.
Gefühlserbschaften, also ganz bestimmten Denk- und Gefühlsmustern, die unbewusst von einer Generation zur nächsten übergegangen sind, sind die Schauspieler ebenfalls auf der Spur. Gibt es auch in der dritten Generation noch eine innere Abwehr gegen die (schmerzlichen, beschämenden) Erinnerungen? Reicht das Schweigen über den Nationalsozialismus und die Rolle, die man selber damals spielte, in unsere Gegenwart hinein?
Auch Wissenschaftler befragt
Neben den Mitgliedern des KGI-Kollektivs (Simon Kubisch, Dominik Meder, Maria Vogt), die auch Regie führten, sind zwei weitere Schauspieler an der Performance beteiligt: Albert Bork von Theater an der Ruhr und Mike Vojnar, der schon bei verschiedenen Produktionen im Ringlokschuppen mitgewirkt hat.
Bei der Beschäftigung mit dem Thema standen den Theatermachern zwei Wissenschaftler zur Seite, die Sozialpsychologen Prof. Dr. Angela Moré und Dr. Markus Brunner unterstützten sie auch bei der Beurteilung der Interviews und der Auswahl der Interview-Fragmente für die Produktion. „Das Stück ist aber überhaupt nicht theoretisierend“, so Marie Vogt. Es sei im Realen verhaftet und vergleichsweise intim. Ein hochspannender Abend erwartet die Zuschauer.
Eine zweite Vorstellung gibt es am Freitag, 28. Januar, um 20 Uhr. Tickets kosten im VVK 15/erm. 8 Euro. Info: www.ringlokschuppen.ruhr.