Mülheim. Künstliche Intelligenz nutzt so gut wie jeder – meist sogar unbewusst. Eine Mülheimer Professorin forscht dazu und erklärt Vor- und Nachteile.

Künstliche Intelligenz ist nicht mehr wegzudenken und verändert unser Leben massiv. Nicht nur Unternehmen arbeiten damit. Auch jede Bürgerin und jeder Bürger dürfte die Technologie wohl nutzen. Zumindest ist die Liste von Geräten lang, in denen sie zum Einsatz kommt: Sie geht vom Smartphone, Tablet, Computer und Navigationsgerät über Smarthome- und Sprachsteuerungssysteme bis hin zur digitalen Armbanduhr.

Anne Stockem Novo ist Professorin für Angewandte Künstliche Intelligenz an der Hochschule Ruhr-West in Mülheim. „Ich gehe davon aus, dass sich unser Zusammenleben deutlich verändern wird. Das kann auch gefährlich sein“, sagt die 38-Jährige. Im Interview gibt sie einen Einblick in die verschiedenen Bereiche und warnt am Ende vor dem Einsatz von zu viel Technologie – aus mehreren Gründen.

Mülheimer Professorin: Künstliche Intelligenz hat in der Corona-Pandemie stark geholfen

„Künstliche Intelligenz im Sinne von maschinellem Lernen ist immer dann wichtig, wenn ich aus Daten lernen möchte“, erklärt Prof. Dr. Anne Stockem Novo. Seit mehreren Jahren forscht sie etwa zum autonomen Fahren, einem großen Aspekt der künstlichen Intelligenz, kurz KI. Am Institut für Informatik an der Hochschule Ruhr West in Mülheim lehrt sie zu dem Thema. Sie kennt sich aber auch mit anderen Bereichen aus, in denen die Technologie eingesetzt wird.

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Besonders in der Corona-Pandemie habe KI geholfen. Nicht nur Patientendaten wie Anzahl und Symptome werden eingespeist, um daraus zum Beispiel Risikofaktoren abzuleiten. Auch Zeitungsartikel oder Flugtickets werden verwendet. Damit lassen sich Vorhersagen treffen, wo das Virus als Nächstes auftritt. „Für Menschen ist es sehr schwierig, aus so einer riesigen Menge von Daten bestimmte Regeln abzuleiten. Die KI modelliert das innerhalb kürzester Zeit.“ Je mehr Werte verfügbar sind, desto besser die Ergebnisse.

Künstliche Intelligenz hat einen Einfluss beim Krieg und Klimaschutz

So funktioniert die Künstliche Intelligenz

Die Künstliche Intelligenz (KI) kann Daten analysieren und Algorithmen entwerfen. In Unternehmen hilft das System zum Beispiel dabei, Störungen vorherzusagen und somit den Betriebszustand zu verbessern. Davon versprechen sich die Firmen vor allem mehr Effizienz und weniger Stillstand. Bisher nutzen vor allem große Konzerne die Technologie. Kleine Betriebe ziehen aber nach, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gibt verschiedene Bereiche im Alltag, in denen KI zum Einsatz kommt. Die wohl geläufigste Form sind Systeme mit Spracherkennung oder Sprachassistent. „Alexa, wie ist das Wetter heute?“, fragt man dabei zum Beispiel – und erhält wenige Sekunden später die Antwort.Die KI verbessert sich durch „Machine Learning“, also maschinelles Lernen, von alleine. Systeme mit Spracherkennung erkennen zum Beispiel gewisse Muster in den gespeicherten Daten. Mit der Zeit werden die Antworten dann immer präziser. Ein Beispiel dafür: Wer Smarthome-Systeme nutzt, kann per Sprachsteuerung die Lichtverhältnisse ändern. Sobald die KI genügend Daten gesammelt hat, passt sie die Beleuchtung nach den Vorlieben des Nutzers automatisch an. Ein weiteres Beispiel sind die sozialen Medien. Facebook erkennt zum Beispiel durch Klicks, Kontakte und Nutzungsgewohnheiten, mit wem man am meisten in Kontakt steht. Diese Personen werden dann immer ganz oben in der Freundesliste angezeigt. Durch die Like- oder Follower-Optionen weiß das System auch über die individuellen Interessen Bescheid, sodass es zielgerichtete und personalisierte Werbung schalten kann. Gleiches gilt für Apps wie Spotify, die Musiklisten ganz nach dem Geschmack der Hörer gestalten. Weitere Applikationen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten: die Kamera von Smartphones, digitale Übersetzungsprogramme, assistiertes Fahren mit Navigation.

Auch zum Klimaschutz trägt die intelligente Technologie bei. Durch Bilder aus dem All können zum Beispiel gefährdete Bereiche bei einem Unwetter klassifiziert werden. Mit solchen Satellitenbildern ist aber noch mehr möglich: Die Feinstaubbelastung kann in Echtzeit ausgewertet werden – und im Krieg können die Aufnahmen dazu dienen, Ziele zu definieren.

Ein weiterer Bereich ist die Bildung. „Deutschland liegt im Ländervergleich ziemlich weit zurück“, sagt Prof. Dr. Anne Stockem Novo. Dennoch wird künstliche Intelligenz auch in diesem Bereich angewendet. So gibt es Programme, die Klausuren bewerten. „In Mathe ist das natürlich ziemlich einfach. Da kann die Antwort nur richtig oder falsch sein. Anders sieht es bei geschriebenem Text aus.“ Dafür gibt es mittlerweile Systeme, die anhand von Ähnlichkeiten bestimmen, wie nah das Ergebnis an der richtigen Antwort liegt.

Künstliche Intelligenz schafft ein bequemes Leben – aber mit fatalen Folgen

Auch im privaten Alltag kommt kaum jemand an der Technologie vorbei. „Wir haben schon überall Kontakt mit künstlicher Intelligenz. Meistens merken wir das nur nicht“, erklärt Prof. Dr. Anne Stockem Novo. Ein Standardbeispiel sei die Vergabe von Krediten. Dabei wird bewertet, inwiefern der jeweilige Kunde kreditwürdig ist. Seine Daten werden dazu mit Personen verglichen, bei denen ein Kredit erfolgreich vergeben worden ist.

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Künstliche Intelligenz ist aber auch auf jedem digitalen Gerät und in vielen digitalen Anwendungen verbaut. Auf dem Smartphone gibt es zum Beispiel eine automatische Vervollständigung von geschriebenem Text. Ist ein Wort falsch geschrieben, wird es automatisch korrigiert. Außerdem gibt es Vorschläge von Wörtern, die folgen könnten. Aber auch Apps, die zum Beispiel Schritte oder Kalorien zählen, gehören dazu.

Der Vorteil von solchen Anwendungen liegt auf der Hand. „Man kann viel mehr machen und die Zeit effizient nutzen. Das finde ich klasse“, so Stockem Novo. Aber die HRW-Professorin warnt auch davor. „Wir verlernen zu schreiben und eigenständig zu sein. Wenn Programme uns vorgeben, was wir essen und wie viele Schritte wir gehen sollen, geben wir unsere Kontrolle ab.“ Menschen würden dadurch bequemer und fauler werden. „Wir müssen den Einsatz von künstlicher Intelligenz in jedem Fall vorantreiben. Aber wir sollten immer darüber nachdenken, ob man nicht auch mal etwas selbst machen kann.“