Gelsenkirchen. Entsetzen und der Ruf nach Strafe: So haben Kirche, Einrichtungen, Parteien und Organisationen in Gelsenkirchen auf die Hass-Demo reagiert.
Die Hass-Demo in Gelsenkirchen hat zu einem breiten Schulterschluss von Parteien, Kirchen und Einrichtungen gegen Antisemitismus und Menschen verachtender Hetze geführt. Die Bandbreite der Reaktionen reicht von Scham über Entsetzen bis hin zur Forderung, diese Übergriffe mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aufzuklären und die Täter mit aller Härte zu bestrafen.
Die Kirchenvertreter
Franz-Josef Overbeck äußerte sich unmissverständlich: „Für Antisemitismus – egal von welcher Seite – ist bei uns im Ruhrgebiet kein Platz“, erklärte der Ruhr-Bischof. Ausdrücklich versicherte der Geistliche der jüdischen Gemeinde seine Verbundenheit: „Zusammen mit den Christen im Ruhrbistum stehe ich an ihrer Seite!“ So dramatisch die aktuellen Ereignisse in Israel und Palästina seien und so dringend die Menschen dort eine Friedensperspektive bräuchten, sei es „völlig fehl am Platz, den Konflikt aus dem Heiligen Land zu uns zu tragen“, betonte der Bischof. Vor diesem Hintergrund vor einer Synagoge in Deutschland zu protestieren sei genauso vermessen wie eine Kundgebung vor einer hiesigen Moschee. Egal ob aus islamistischen oder rechtsradikalen Motiven, „unser Staat und alle Teile unserer Gesellschaft müssen einem Erstarken des Antisemitismus mit aller Kraft Einhalt gebieten“.
Superintendent und Stadtdechant: Antisemiten sind unsere Gegner
Superintendent Heiner Montanus vom evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid und der katholische Stadtdechant Markus Pottbäcker gaben eine gemeinsame Erklärung zur Hass-Demonstration ab: „Mit Abscheu nehmen wir wahr, dass es in unserer Stadt zu antisemitischen Ausschreitungen nahe der Synagoge gekommen ist. Wir stehen an der Seite der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen und der jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen unserer Stadt. Wir stehen an ihrer Seite, weil wir Demokraten sind. Und weil wir Christen sind. Die Ausschreitungen haben Menschen in ihrer Würde verletzt. Diese Ausschreitungen waren nicht anti-israelisch, sondern anti-semitisch. Mit Antisemiten haben wir nichts gemeinsam. Sie sind unsere Gegner.“
Die Polizeipräsidentin
Klare Kante auch von Britta Zur, der Gelsenkirchener Polizeipräsidentin. Sie versprach Aufklärung: „Rassismus und Antisemitismus haben in Gelsenkirchen keinen Platz. Die schrecklichen Parolen, die in der Gelsenkirchener Altstadt skandiert wurden, sind durch nichts zu entschuldigen. Ich bin erschüttert über diesen Hass und verurteile das Auftreten dieser Personen auf das Schärfste. Die Polizei Gelsenkirchen wird alles dafür tun, die dafür verantwortlichen Personen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zur Rechenschaft zu ziehen.“
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Anlässlich des Nahost-Konflikts zwischen Israel und extremistischen Palästinensern hatten sich in Gelsenkirchen am Mittwochabend, 12. Mai, etwa 180 Menschen zu einer spontanen Demonstration versammelt. Fahnenschwenkend und „Kindermörder Israel“ skandierend zog der Protestzug gegen 17.40 Uhr über den Bahnhofsvorplatz in Richtung Synagoge. In der Nähe des Gebetshauses wurde der Tross von der Polizei gestoppt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat auf seinem Twitter-Profil auch ein Video davon veröffentlicht.
Die Kunstschaffenden
„Das Musiktheater im Revier, aber auch ich persönlich schäme mich dafür, dass Juden in Gelsenkirchen und in ganz Deutschland sowie die Unversehrtheit von jüdischen Gotteshäusern erneut in nicht zu ertragender Art und Weise zum Ziel von Hass und Gewaltbereitschaft werden“, sagte Michael Schulz, Intendant des angesehenen Musiktheaters im Revier. Wiederholt haben Juden als Symbol für politisch motivierte Zielsetzung und Handlung herhalten müssen, die Leib und Leben, Hab und Gut in Gefahr bringen. „Das darf nicht sein!“, so Schulz weiter. „Das Musiktheater im Revier steht an der Seite der Bedrohten und Beschimpften und verurteilt die Übergriffe aus Wort und Tat auf das Schärfste.“
Anti-israelische Attacken auch in anderen Städten in Nordrhein-Westfalen
Die Regierungspräsidentin
Regierungspräsidentin Dorothee Feller hat der jüdischen Gemeinde ebenso ihre Solidarität versichert: „Wir sind an Ihrer Seite. Wir dulden keinen Antisemitismus. Sie, Ihre Gemeinde, Ihr Glaube und Ihre Geschichte gehören zu uns“, so die Regierungspräsidentin gegenüber der Vorsitzenden der Gelsenkirchener Gemeinde, Judith Neuwald-Tasbach.
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In Münster hatten Demonstranten versucht, vor der dortigen Synagoge eine israelische Fahne zu verbrennen. Es mache sie betroffen, so Dorothee Feller, dass die Eskalation des Gaza-Konflikts „zu diesen abscheulichen Vorfällen bei uns in Deutschland und in unserem Bundesland führen“. Antisemitische und anti-israelische Attacken gab es neben Gelsenkirchen und Münster auch in Düsseldorf, Bonn und Solingen.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
An die Seite der jüdischen Gemeinde stellt sich auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Knut Maßmann, Sprecher der Kreisvereinigung, versicherte der Gemeinde die Solidarität des Vereins. „Es darf nicht sein, das jüdisches Leben in Gelsenkirchen wie in Deutschland wieder bedroht ist“, so der Sprecher. Die VVN-BdA sei nach dem Nazi-Terror auch von Jüdinnen und Juden mit gegründet worden. „Daher stehen wir mit vielen anderen in Gelsenkirchen an der Seite der Gemeinde, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt.“
Die Parteien
Axel Barton, der Gelsenkirchener SPD-Fraktionsvorsitzende und der Gelsenkirchener SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Töns verurteilten mit ebenso deutlichen Worten die Ereignisse. Barton nannte es feige, dass die Demonstranten ihren blanken Hass auf Menschen jüdischen Glaubens hinter dem Deckmantel der Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung im Konflikt mit den Palästinensern versteckten. „Das Ziel dieser Menschen ist es, Hass zu schüren und Menschen einer anderen Religion das Menschsein, im Endeffekt das schlichte Recht zu leben absprechen“, so Barton.
Den „Missbrauch von Toleranz und Meinungsfreiheit“ nahm Markus Töns auf, um Hetzern den Kampf anzusagen: „Wer sie benutzt und missbraucht, um sie anderen abzusprechen, sie zu zerstören, zu entwürdigen oder gar anderen Menschen die Menschenrechte abzusprechen, der stößt auf entschiedenen Widerstand und zwar unabhängig davon, mit welcher kruden Begründung auch immer er das tut. Eben, weil es keine Begründung gibt, die das rechtfertigen kann.“
Der CDU-Kreisvorsitzende Sascha Kurth bezeichnete derartige Aufmärsche als „inakzeptabel“. „Antisemitismus und Hass sind keine Meinungsäußerung“, sagte Kurth. Wer meine, den Nahost-Konflikt in die Gelsenkirchener Stadtgesellschaft und auf gänzlich Unbeteiligte transportieren zu wollen, habe keinen Platz in unserer Gemeinschaft. „Mit allen Demokraten stehen wir fest an der Seite der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen.“
Die CDU-Kandidatin zur Bundestagswahl, Laura Rosen, ergänzt: „Solche Aufmärsche sollen verängstigen, sie zeigen Hass und machen leider auch deutlich, wie tief Antisemitismus in einigen Teilen der Gesellschaft sitzt. In Gelsenkirchen wie in ganz Deutschland ist kein Platz dafür!“
Hass-Demo in Gelsenkirchen: Erinnerung an das grausamste Kapitel deutscher Geschichte
Susanne Cichos, FDP-Fraktionsvorsitzende und Christoph Klug, sicherheitspolitischer Sprecher der FDP, zeigten sich „fassungslos und tief betroffen über die unerträglichen Übergriffe auf jüdisches Leben“. Diese Sprechchöre weckten Erinnerungen an das grausamste Kapitel deutscher Geschichte. „Das werden wir nie tolerieren“, so Cichos. „Nun müssen die Personen strafrechtlich verfolgt werden, die unverhohlen antisemitische Parolen grölten“, forderte Christoph Klug ergänzend.
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Als besonders unerträglich empfinde es die FDP, dass Juden scheinbar von Menschen auf offener Straße beschimpft worden seien, die größtenteils selber in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. „Das ist beschämend.“
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Auch die Bündnisgrünen, vertreten durch die Kreisvorsitzende Tanja Honka, den Vorsitzenden Jan Dworatzek und die Gelsenkirchener Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic verurteilten den antisemitischen Übergriff. „Die jüdische Gemeinde ist ein wichtiger Teil unserer Stadt. Solidarität und Unterstützung der gesamten Stadtgesellschaft sollten jetzt und immer eine Selbstverständlichkeit sein“, erklärte Honka.
„Es ist erschreckend, wie türkische Nationalisten und andere Gruppen den Konflikt in Israel für ihre Zwecke missbrauchen. Die einzige Seite, auf die man sich mit solchen antisemitischen Übergriffen stellt, ist die der Hamas. Einer Terrororganisation, die tagtäglich das Leben von Juden bedroht, während sie die eigene Bevölkerung in Gaza unterdrückt und als menschliches Schild missbraucht“, ergänzt Dworatzek.
Einladung an Bundesinnenminister Horst Seehofer zur Aufarbeitung der Vorfälle auf höchster Ebene
Irene Mihalic forderte als Konsequenz der Vorfälle in Gelsenkirchen und anderen Städte ein „klares Signal des Bundesinnenministers“. Die Grünen werden ihn daher zur Lageeinschätzung und Schilderung seiner Pläne in den Innenausschuss einladen. „Wir müssen alles dafür tun, dass Jüdinnen und Juden bei uns sicher sind und nicht in Angst leben müssen“, so Mihalic.
Für Michael C. M. Schmitt, den stellvertretenden Vorsitzenden der Jungen Union Gelsenkirchen erinnern die Ereignisse „an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“. Personen, die sich in dieser Art und Weise vor eine Synagoge stellten und Sprechchöre skandierten, wie man sie aus dem Dritten Reich kenne, zeigten, dass sie kein Teil unseres freiheitlich, demokratischen Landes sein wollten. „Wenn dabei auch noch fremde Fahnen geschwenkt werden, zeigt das eine fehlende Integration in unsere Gesellschaft und das Ablehnen unserer Grundwerte. Mit Trauer, Wut und Unverständnis gucken wir alle auf dieses Ereignis zurück, das wir nicht unbestraft und unvergessen lassen dürfen“, so Schmitt.
Hissen der israelischen Fahne als Zeichen der Solidarität
Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Thomas Irmer erklärte: „Auch Gelsenkirchen blieb von Hass-Demonstrationen auf deutschem Boden nicht verschont. Wir werden endlich ein Bekenntnis zu Israel von den politischen Parteien in Gelsenkirchen einfordern. Diese Szenen sind unentschuldbar.“
Und AfD-Sprecherin Enxhi Seli-Zacharias ergänzte: „In diesen angespannten Zeiten und der Verlagerung des blutigen Nah-Ost-Konflikts auf unsere Straßen müssen auch wir als Kommunalpolitiker uns in besonderer Weise zu dem Existenzrecht Israels bekennen und importierten muslimischen Antisemitismus entschieden bekämpfen. Das Hissen der israelischen Fahne wäre dafür ein starkes Zeichen von Solidarität. Wer die israelische Fahne vor unserem Rathaus nicht erträgt, soll Deutschland verlassen!“
Jan Specht, AUF: „Für die auf der Demonstration gerufenen antisemitischen Parolen und Drohgebärden in Richtung der Gelsenkirchener Synagoge gibt es keinerlei Akzeptanz und keine Rechtfertigung.“ Die Forderung des Bürgerbündnisses laute daher: „Nein zu Antisemitismus“. Die Existenzberechtigung des Staates Israel wird von uns uneingeschränkt unterstützt.“
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