Oberhausen. Die SPD war in Oberhausen über 60 Jahre die dominierende Kraft. Das ist vorbei. Die neue SPD-Generation will vieles ändern.

Wenn Parteien über viele Jahre hinweg wie selbstverständlich Wahlsiege einfahren, dann neigen Funktionäre und Mitglieder dazu, die Ärmel unten zu lassen und sich in gepolsterten Sesseln zurückzulehnen. Wenn es jahrzehntelang Erfolg versprach, oben im kleinen Kreis bei Bier und Pfeife die Politik zu bestimmen und alle anderen folgen, dann ist es schwer, solche eingeübten Bahnen zu verlassen - auch wenn sich die Zeiten revolutionär ändern.

In Oberhausen ist die einst so mächtige SPD-Partei-Elite weitgehend endgültig abgetreten, wenn auch einige immer noch versuchen, Fäden im Hintergrund zu ziehen: Michael Groschek, Wolfgang Große Brömer, Klaus Wehling, Hartmut Schmidt, Wolfgang Grotthaus.

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Eine neue Generation von Sozialdemokraten versucht nun, die Geschicke der Stadt und damit das Wohl und Wehe von 210.000 Oberhausenern mitzubestimmen - mit einem anderen Stil, mit einer anderen Politik als früher. Das von Groschek postulierte "Basis statt Basta", also urdemokratische Entscheidungswege von unten nach oben, will die neue Führung von Bundestagsabgeordneten und SPD-Unterbezirkschef Dirk Vöpel und SPD-Ratsfraktionschefin Sonja Bongers nun tatsächlich leben: Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten.

SPD-Kommunalwahl aus Hunderten von Ideen der Mitglieder

So wurde das SPD-Programm zur Kommunalwahl aus Hunderten von Ideen der Mitglieder zusammengeschnipselt - allerdings mit recht magerem Erfolg. Die SPD stürzt bei der Wahl am 13. September 2020 ab – und erzielt ihr schlechtestes Ergebnis seit den 1950er Jahren. Erstmals in der Stadtgeschichte wählten bei dieser Wahl mehr Oberhausener die CDU als die SPD – sie ging mit einem Vorsprung von 717 Stimmen ins Ziel. Jahrzehntelang war für viele Oberhausener undenkbar, dass die "Schwatten die Roten schlagen" - jetzt ist es geschehen. Die SPD verlor vier Ratsmandate - und ist mit 19 Sitzen nur noch gleichauf mit der CDU im Rat (ebenfalls 19 Sitze).

Innerhalb von gut zehn Jahren hat die Oberhausener SPD bei den Wahlen zum Stadtrat massiv an Zustimmung in der Bevölkerung eingebüßt: Entschieden sich 2009 mit 44,0 Prozent der Wähler noch 33.462 Oberhausener für die Sozialdemokraten, so waren es Mitte September 2020 nur noch 20.754 Wähler (31,7 Prozent). Das ist ein Rückgang von 12,3 Prozentpunkten – oder anders gerechnet: 12.708 Wähler kehrten der SPD den Rücken – ein Verlust von 38 Prozent seit dem Jahr 2009.

Ist die SPD noch glimpflich davongekommen?

Zwar trösten sich führende Oberhausener Sozialdemokraten damit, dass alles noch hätte schlimmer kommen können: Den miesen Bundes- und Landestrend führt beispielsweise Sonja Bongers im Gespräch mit der Redaktion an, nennt die teilweise noch herberen Verluste von Sozialdemokraten in anderen Ruhrgebietsstädten bei dieser Wahl. Vergleichsweise seien die Oberhausener also sogar noch glimpflich davon gekommen. Aber klar, nicht nur die Parteiführung weiß mittlerweile: Es muss sich deutlich etwas verändern, wenn sich die Lage der SPD in Oberhausen bessern soll.

Personell hat sich die SPD-Fraktion im Rat schon runderneuert, ein großer Teil der SPD-Fraktion ist nun mit Neulingen im Politik-Geschäft besetzt. Die Fraktion wird nun neben der Rechtsanwältin (Sozialrecht, Insolvenzrecht) Sonja Bongers (44 Jahre) auch von Goethe-Institut-Lehrerin Silke Jacobs (59 Jahre) und dem Osterfelder Bezirksbürgermeister Thomas Krey (42 Jahre) geführt - alle drei gehörten bereits dem alten Rat an, nur Bongers ist aber seit 2009 dabei.

Bongers selbst sieht sich - anders als ihr Vorgänger, der fast zwanzig Jahre als SPD-Fraktionschef amtierende Wolfgang Große Brömer - zunächst einmal in einer moderierenden und vermittelnden Rolle. "Ich kann aber auch ein Machtwort sprechen, wenn es notwendig ist", macht die Juristin aber zugleich klar, wer im Zweifel die Kapitänin an Bord des SPD-Dampfers ist. Bei ihr müssen nicht mehr neue Ratsmitglieder jahrelang warten, ehe sie Verantwortung übernehmen dürfen: Sprecher der Fraktions-Arbeitskreise, die die Ausschüsse spiegeln, können auch Jungspunde sein, die mit frischem Engagement und wilden Ideen den Laden ruhig mal aufmischen sollen.

Einer der SPD-Schwerpunkte: Die soziale Frage in den Stadtteilen

Inhaltlich will die SPD-Fraktionschefin Schwerpunkte setzen: die sozialen und infrastrukturellen Probleme in einigen Stadtteilen angehen, die Mobilitätsangebote für Oberhausener verbessern (ein nachhaltiges Radwegenetz, Fahrradgaragen, die Überprüfung der Parkgebühren), die Planung neuer bezahlbarer Wohnungen (etwa auf dem John-Lennon-Platz) vorwärts treiben und die Wirtschaftspolitik zur Schaffung neuer Arbeitsplätze schärfen ("Wir dürfen wertvolle Flächen nicht verscherbeln").

Mit Blick auf die Arbeit der Stadtverwaltung, urteilt Bongers: "Wir haben schon lange kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem." Ein Beispiel sei der 150-seitige Sozialbericht 2020, der die 2017 ermittelten Sozialfaktoren der Stadtquartiere aktualisiert. "Die Probleme sind bekannt, doch wo sind vernünftige Lösungsstrategien, konkrete Maßnahmen, um die Situation vor Ort zu verbessern? Bisher passiert hier viel zu wenig. Wenn aber die Stadtverwaltung nicht handelt, da muss die Politik den Anstoß geben - und das werden wir. Wir wollen in sechs bis acht Monaten ein Konzept mit konkreter Ausgestaltung sehen", sagt die Ratsfrau, die im Wahlbezirk Lirich-Süd direkt gewählt worden ist.

Arbeit der Stadtverwaltung in der Kritik

Denn auch das will Bongers, die seit 2009 im Rat arbeitet, ändern: Den früher oftmals von der SPD-Mehrheitsfraktion so betulich-vorsichtigen Umgang mit der von der Rathaus-Führung und ihren Stadtbediensteten abgelieferten Arbeit. "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Deutliche Kritik muss möglich sein, wenn es nicht vorangeht."

Insgesamt sieht Sonja Bongers in den nächsten Jahren gute Chancen, Oberhausen nach vorne zu bringen. "Wir haben nun im Rat fünf Jahre Zeit, gemeinsam vernünftige Projekte einzustielen." Die SPD-Fraktion setze nach ihren herben Wahlverlusten nicht auf irgendeine Blockade-Politik oder will sich mit ihrem Engagement zurückhalten, sondern wolle pfiffige Ideen mit wechselnden Mehrheiten umsetzen - unabhängig ob diese aus der eigenen Feder oder beispielsweise von der CDU, der FDP oder den Linken stammen.

Bisher keine Koalition oder Kooperation im neuen Stadtrat

Denn eine Koalition oder Kooperation ist im neuen Rat bisher nicht zustande gekommen. "Schon am Ende der vergangenen Ratsperiode hat sich gezeigt, dass man auf diese Art und Weise gute Vorhaben für die Stadt und ihre Bürger erreichen kann."