Oberhausen. Sechs Wochen nach der Wahl kann man gelassen zurückschauen – und analysieren: Warum hat die SPD Oberhausen eigentlich so viele Wähler verloren?

Innerhalb von gut zehn Jahren hat die Oberhausener SPD bei den Wahlen zum Stadtrat massiv an Zustimmung in der Bevölkerung eingebüßt: Entschieden sich 2009 mit 44,0 Prozent der Wähler noch 33.462 Oberhausener für die Sozialdemokraten, so waren es Mitte September 2020 nur noch 20.754 Wähler (31,7 Prozent). Das ist ein Rückgang von 12,3 Prozentpunkten – oder anders gerechnet: 12.708 Wähler kehrten der SPD den Rücken zu – ein Verlust von 38 Prozent seit dem Jahr 2009. Erstmals in der Stadtgeschichte wählten bei dieser Wahl mehr Oberhausener die CDU als die SPD – sie hat einen Stimmenvorsprung von 717 Stimmen.

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Seit sechs Wochen diskutiert die örtliche SPD in all ihren Gliederungen und Arbeitsgemeinschaften, manchmal auch nur am Bistrotisch im Zwiegespräch, über die Ursachen dieses Niedergangs. Das ist nicht einfach, das ist manchmal bitter, obwohl große Teile der Oberhausener SPD ohnehin mit Verlusten bei dieser Kommunalwahl gerechnet hatten: Amtsbonus des CDU-Oberbürgermeisters Daniel Schranz, die durch die Corona-Krise gestärkten Regierungen, das Wegbrechen alter Wählerklientel aus dem Industrie-Milieu, der fehlende Rückenwind einer seit Jahren schwächelnden Bundes- und Landes-SPD.

Führen seit gut einem Jahr die Fraktion der SPD im Stadtrat: Sonja Bongers (r.) als Vorsitzende und Silke Jacobs als Stellvertreterin. Sie stellen sich am Sonntag ihrer neuen Fraktion zur Wahl.
Führen seit gut einem Jahr die Fraktion der SPD im Stadtrat: Sonja Bongers (r.) als Vorsitzende und Silke Jacobs als Stellvertreterin. Sie stellen sich am Sonntag ihrer neuen Fraktion zur Wahl. © FFS | Gerd Wallhorn

Am Ende betrug das Minus an Oberhausener Wählern im Vergleich zu 2014 über sieben Prozentpunkte. Die CDU konnte im Gegenzug aber nicht zulegen. Deshalb hört man selbst von Spitzenpolitikern der Partei auch Tröstliches: Man habe mit 19 Sitzen nur vier Mandate verloren und die gleiche Ratsmandatszahl wie die CDU errungen, es hätte alles noch viel schlimmer kommen können – und der bis April nahezu unbekannte SPD-Oberbürgermeisterkandidat Thorsten Berg habe ja mit dem Einzug in die Stichwahl, bei der er immerhin 37,9 Prozent der Wähler überzeugte, ein mehr als achtbares Ergebnis erzielt.

Trotzdem sollte die Oberhausener SPD aus Eigeninteresse der Versuchung widerstehen, sich mit diesen dünnen Trostpflastern zufriedenzugeben. Gerade den jüngeren Parteimitgliedern ist klar, dass Fraktion und Partei einen Neustart benötigen: Am Sonntag konstituiert sich erstmals die 19-köpfige SPD-Ratsfraktion – mit vielen neuen Gesichtern. Sonja Bongers stellt sich als Fraktionschefin zur Wahl, Silke Jacobs will ihre Stellvertreterin werden. Beide hatten erst ein Jahr in diesen Ämtern der alten SPD-Fraktion gearbeitet.

Fundament für die nächste Wahl wird nun gelegt

Wenn die alte politische Weisheit stimmt, dass am Anfang einer Wahlperiode das Fundament für die Chancen bei der nächsten Wahl gelegt wird, sollte die Partei ihr Augenmerk auf eigene Schwächen lenken, um diese auszumerzen. Dazu aus Sicht der Redaktion ein paar Beobachtungen aus dem Wahlkampf – Mängel, die der SPD negativ zu Buche geschlagen haben dürften:

Wurde erst sehr spät der Öffentlichkeit vorgestellt: SPD-Oberbürgermeisterkandidat Thorsten Berg am Abend der Stichwahl, bei der er knapp 38 Prozent der Stimmen holte.
Wurde erst sehr spät der Öffentlichkeit vorgestellt: SPD-Oberbürgermeisterkandidat Thorsten Berg am Abend der Stichwahl, bei der er knapp 38 Prozent der Stimmen holte. © FFS | Franz Naskrent

Erstens: Wer einen unbekannten Oberbürgermeisterkandidaten ohne bisheriges politisches Amt aufstellt, sollte die Person nicht erst fünf Monate vor der Wahl der Öffentlichkeit präsentieren.

Zweitens: Wenn ein Oberbürgermeisterkandidat Schwächen aufgreift (fehlende Digitalisierung in Schulen, Wirtschaftsförderung der Stadt, zu starke Konzentration auf Logistiker), sollte man diesen Kurs mit eigenen Vorschlägen aus der gesamten Partei und Fraktion unterstützen – und den Spitzenkandidaten nicht alleine laufenlassen.

Drittens: Wähler verstehen es in der Regel nicht, wenn ein Kandidat der Partei wie Thorsten Berg Beschlüsse ablehnt, denen seine eigene Partei vorher im Rat zugestimmt hat (Edeka-Ansiedlung, Prüfung der Verlagerung des Rotlichtviertels). Die bestimmenden Wahlkampfthemen muss man zuvor weitsichtig vorbereiten, indem man im Rat mehr eigene Vorschläge macht, die dann vielleicht von der Mehrheit abgelehnt werden, aber als Lösungen im Wahlkampf präsentiert werden können.

Erstmals acht Parteien im Stadtrat

Erstmals in der Stadtgeschichte sitzen acht Parteien im Stadtrat – und verteilen sich auf 58 Mandate. SPD (minus vier) und CDU (minus eins) haben mit je 19 Sitzen die gleiche Zahl an Ratspolitikern. Die Grünen errangen acht Mandate (plus drei), die Linken nur noch drei (minus zwei).

Die erstmals bei der Ratswahl angetretene AfD zieht mit vier Politikern in den Rat. Zwei Sitze haben jeweils BOB (minus drei) und FDP (keine Veränderung). Offen für Bürger (OfB) ist mit einem Ratsmitglied vertreten.

Viertens: Im Wahlkampf nützt es durchaus, auf eigene Erfolge der SPD in der Vergangenheit hinzuweisen, beispielsweise auf den erfolgreichen Einsatz zur Schaffung von über 100 öffentlich geförderten Jobs für Langzeitarbeitslose oder die Gründung der neuen Quartiersbüros zur Beratung von Senioren. Das unterblieb weitgehend.

Fünftens: Das Kommunalwahlprogramm bestand zwar aus einer Fülle von Detail-Ideen, die vor allem die Basis aufgeschrieben hat, doch es fehlte der rote Faden, es fehlte ein Vorschlag, der die Bürger aufrüttelt und fasziniert. Es wurde insgesamt nicht klar, wohin die SPD Oberhausen führen will.

Kommunalwahl-Ergebnisse in Oberhausen seit 1946.
Kommunalwahl-Ergebnisse in Oberhausen seit 1946. © funkegrafik nrw | Anda Sinn

Sechstens: Die SPD hat in einer Pressekonferenz vor der Wahl darauf hingewiesen, dass man sich unabhängig von den drei Oberhausener Innenstädten mehr um die einzelnen Stadtteile und ihre Bewohner kümmern müsse. Das ist ein guter Vorstoß, doch etwas Entscheidendes wurde vermisst: Wer Schwächen diagnostiziert, sollte auch Lösungsvorschläge dazu erarbeiten und den Bürgern präsentieren.

Spricht man mit Oberhausener Sozialdemokraten, dann fällt auf, wie klar diese die Probleme ihrer Partei benennen können, wie schwierig es aber für sie ist, einen Weg aus der Misere zu finden. „Wir müssen wieder Kümmerer-Partei werden, an die sich die Bürger bei Problemen wenden“, sagt einer. Ein anderer erfahrener Sozialdemokrat sieht das genauso, doch zweifelt er an der Umsetzung: „Wir haben viele Häuptlinge, die gut analysieren können, aber zu wenige Indianer, die sich tatsächlich um ihr Stadtviertel kümmern.“