Oberhausen. Warum sich Vertreter der Oberhausener Stadtgesellschaft nahezu einstimmig für die Abschaffung des Paragrafen 219a aussprechen.
Wichtige Vertreterinnen und Vertreter der Oberhausener Stadtgesellschaft haben sich nahezu einstimmig für die Abschaffung des Paragrafen 219a ausgesprochen. Oberste katholische Kirchenvertreter hatten sich in der vergangenen Woche für den Fortbestand des Informationsverbots bei Abtreibungen eingesetzt. Ihr Statement hatte bei Oberhausenerinnen und Oberhausenern große Empörung ausgelöst.
Insbesondere für eine Aussage des Katholikenratsvorsitzenden Thomas Gäng hagelte es Kritik: „Wir befürchten, dass es das eigentliche Ziel ist, Abtreibung als normale Methode der Familienplanung, als Gesundheitsleistung wie alle anderen einzustufen.“ Das Recht auf Selbstbestimmung der Frau, so heißt es in einem Brief von Gäng und Stadtdechant André Müller, müsse hier eine Grenze finden, da es um das Leben eines anderen Menschen gehe.
Caritas Oberhausen wirbt für den Dialog
Am Montag bezogen 22 Repräsentanten von Frauenberatungsstellen, Pro Familia, evangelischem Kirchenkreis, aus dem Bereich der Jugendarbeit und viele mehr dazu Stellung. Auch die Caritas, der römisch-katholischen Kirche zugehörig, beteiligte sich an der Diskussion – und warb für Verständnis und Dialogbereitschaft.
Ein paar Formulierungen im Brief Gängs und Müllers seien „nicht sonderlich glücklich“, räumt der Caritas-Direktor Michael Kreuzfelder ein. Doch er ist sich sicher: „Die beiden wollten sicher niemanden verletzen.“ Doch die Aufgabe der katholischen Kirche und auch der Caritas, die auch Beratung für Schwangere anbietet, sei es nun mal, „dem Leben zum Gelingen zu verhelfen“.
Zonta-Club Oberhausen: Katholische Stadtkirche hat sich ins Aus manövriert
Darum plädiert er – als Einziger der Anwesenden – für eine Reform von Paragraf 219a, nicht für dessen Abschaffung. Denn eine Streichung nähre die Befürchtung aufseiten der katholischen Kirche, dass Hürden fallen, Schwangerschaftsabbrüche leichter zugänglich sein könnten und „der Schutz für das ungeborene Leben aufgeweicht wird“.
Während Nicole Bittner, Präsidentin des Zonta-Clubs Oberhausen, die Dialogbereitschaft der katholischen Kirche lobt, wirft sie ihren Vertretern Gäng und Müller vor, es in ihrem Brief gerade daran mangeln zu lassen. Dieser sei „nicht dialogisch aufgebaut, sondern diffamierend“. Aus ihren Aussagen spreche ein „zutiefst patriarchales Gedankengerüst“ und ein „unfassbar lebensverachtendes Frauenbild“. Damit habe sich die katholische Stadtkirche „ins Aus manövriert“.
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Auch Christine Gathmann, stellvertretende Leiterin der Oberhausener Beratungsstelle von Pro Familia, findet klare Worte: „Solange die katholische Kirche Waffen segnet, Kindesmissbrauch nicht demütig eingesteht und nicht getauften Kindern Kindergartenplätze verweigert, spreche ich ihr die moralische Kompetenz ab, in Fragen des Lebensschutzes zu urteilen.“
Paragraf 219a erschwert den Zugang zu fachlichen Informationen
Sie fragt: „Wann verschwindet endlich die wahnsinnige Vorstellung, Frauen würden gerne, einfach mal so oder zur Familienplanung, die die katholische Kirche ja auch untersagt, Schwangerschaftsabbrüche durchführen lassen?“ In ihrer 34-jährigen Tätigkeit bei Pro Familia, bei knapp 500 Schwangerschaftskonfliktberatungen pro Jahr, sei ihr kein einziger Fall begegnet, auf den das zutreffe. „Ich bekam immer Lebensgeschichten zu hören, die nur schwer zu ertragen sind.“
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Suna Tanis, Leiterin des Frauenhauses Oberhausen. Frauen, die ungewollt oder gezwungen schwanger sind, häusliche Gewalt erleben, wüssten sehr genau, ob sie eine Abtreibung wollen oder nicht. Paragraf 219a erschwere ihnen aber den Zugang zu Informationen, auf deren Grundlage eine überlegte Entscheidung erst möglich sei. Tanis: „Die Frauen fühlen sich gedemütigt und entwürdigt.“
„Alten weißen Männern“ Grenzen aufzeigen
Dass professionelle Beratung, Unterstützung und Information für ein selbstbestimmtes Leben essenziell sind, betont auch Carina Brühl vom Evangelischen Jugendreferat und dem Netzwerk „Mädchen in Oberhausen“. Die Reaktion der Mädchen auf die Aussagen Thomas Gängs und André Müllers: „Wir brauchen keine alten weißen Männer, die uns zeigen, wo unsere Grenzen sind.“
Hennes Rother, Leiter des Jugendreferats, ergänzt: „So ein Umgang mit Frauen ist nicht möglich in unserer Stadt.“ Gängs Befürchtung, Abtreibung könne als normale Methode der Familienplanung betrachtet werden, nennt er eine „unverschämte Unterstellung und Grenzüberschreitung gegenüber jeder Frau“ – und fordert eine Entschuldigung.
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Dem schließt sich Joachim Deterding, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises, an. Thomas Gäng, der ehemals sein Nachbar war, kenne er also persönlich und er weiß: „Er hat sich selbst mal als konservativen Katholiken bezeichnet.“ Darum überraschte ihn, Deterding, dessen Standpunkt auch nicht. „Ich glaube, dass diese Unterstellung Frauen aufs Tiefste verletzt.“ Das habe Gäng zwar sicherlich nicht beabsichtigt, die Aussage sei trotzdem inakzeptabel. Darum richtet der Superintendent an seinen früheren Nachbarn einen persönlichen Appell: „Bitte, Thomas Gäng, entschuldige dich!“
Evangelische Kirche: Das Thema auch sachlich betrachten
Wichtig ist ihm außerdem, dass Thema nicht zu emotional, sondern auch sachlich zu betrachten. Doch auch in dieser Hinsicht positioniert sich Deterding deutlich pro Abschaffung des Paragrafen 219a. Dieser habe seit seiner Einführung im Jahr 1933 viel Schaden angerichtet. Es sei an der Zeit, dass medizinisch fundierte Aufklärung zur Abtreibung durch Ärztinnen und Ärzte nicht mehr unter Strafe gestellt werde.
Die Kriminalisierung dieser Aufklärung müsse ein Ende haben, fordert auch Mauno Gerritzen, Geschäftsführer vom Paritätischen Oberhausen. Schon die Bezeichnung „Werbung“ sei irreführend. „Es geht um fachliche Information.“ Eine Wortwahl, die auch die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Britta Costecki, als stigmatisierend bewertet. „Und wenn die deutsche Gesetzgebung etwas kann, dann genau formulieren.“
Bei allen Differenzen lenkt Costecki den Blick aber auch auf das Positive, das diese Auseinandersetzung hervorgebracht habe: „Die immense Solidarität in unserer Stadtgesellschaft“. Daraus könne man – und frau – Kraft schöpfen.
Paragraf 219a
Der Paragraf 219a („Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“, Strafgesetzbuch) wurde von der NSDAP ins Leben gerufen. Auch davor waren Schwangerschaftsabbrüche strafbar, die „Werbung“ beziehungsweise Information darüber ist es aber erst seit 1933.Bis 2019 durften Ärztinnen und Ärzte in keiner Weise darauf aufmerksam machen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Nun dürfen sie zwar darüber informieren, dass sie Abbrüche anbieten, nicht aber über die möglichen Methoden.