Oberhausen. Die Oberhausener Gedenkhalle bewahrt nun den Nachlass des Heimatforschers Dieter Kusenberg. Seine Arbeit führte zur Umbenennung der Realschule.
Selbst im großzügigen Bibliotheksraum der Gedenkhalle wäre wahrlich kein Platz mehr gewesen für diese Dokumentenfülle: Nach zwölf Jahren im Duisburger „Exil“ füllt der Nachlass des Heimatforschers Dieter Kusenberg nun einen eigenen Raum im Informationszentrum an der Südwestecke des Kaisergartens. „Es ist eine unglaubliche Arbeit, die da drinsteckt“, sagt Gedenkhallen-Leiter Clemens Heinrichs vor der nüchternen Phalanx von Aktenschränken und Hängeregistraturen. „In Oberhausen kenne ich nichts Vergleichbares.“
Dabei schien diese akribische Fleißarbeit – ein Schatz vor allem für die biografische Forschung zu Personen des 20. Jahrhunderts – für Dieter Kusenbergs Heimatstadt fast verloren. Der Osterfelder hatte, wie nicht wenige andere, einige Sträuße mit dem früheren Leiter des Stadtarchivs auszufechten gehabt. Vor seinem Tod verpflichtete er seine Familie, den Nachlass seiner Forschungsergebnisse keinesfalls ans Stadtarchiv zu geben. „Dem wollten wir uns nicht widersetzen“, sagt sein Sohn Jens Kusenberg. Der Kaplan und Kapuzinermönch hatte sich eigens von seiner Münchner Kommunität zu einem Heimatbesuch aufgemacht – und holt nun staunend eine um die andere Handakte aus ihren Registraturen.
„Das alles habe ich ganz lange nicht mehr gesehen“, sagt Jens Kusenberg. Dabei sei er als Schüler oft neidisch gewesen auf Vaters Kellerzimmer „mit dem riesigen Schreibtisch“. Dieter Kusenberg (1943 bis 2007) wäre wohl gerne Historiker oder Archäologe geworden, meint sein Sohn, habe sich aber der Familie zuliebe für einen damals krisenfesten Arbeitgeber entschieden: „Er arbeitete als Diplom-Ingenieur bei Thyssen Schachtbau.“ Akribie war im Beruf wie bei seinem Forscherhobby gefragt.
„Verlorenes Wissen“ wurde kaum abgerufen
„Einen Schwerpunkt seiner Recherchen widmete er der NS-Zeit“, erklärt Clemens Heinrichs. Fürs Stadtarchiv hätte dieses Nachlass-Konvolut aus Akten- und Zeitungskopien sowie ausführlichen handschriftlichen Notizen wahrscheinlich ohnehin „eine Doppelung“ bedeutet. Nach dem plötzlichen Tod des in vielen Vereinen bestens vernetzten Freizeit-Forschers kam der Nachlass zunächst für zwölf Jahre an das Stadtarchiv in Duisburg. Clemens Heinrichs nennt es „eigentlich verlorenes Wissen“, das dort kaum abgerufen wurde.
Der Leiter der Gedenkhalle suchte den Kontakt zum Duisburger Archivleiter Andreas Pilger und zur Familie Kusenberg – und bahnte so den Ortswechsel dieses „Forschungsschatzes“ an. Nachdrücklichstes Beispiel für das Wirken von Dieter Kusenberg, das auch seinem Sohn noch sehr präsent ist, war die Umbenennung der heutigen Anne-Frank-Realschule vor 25 Jahren: Sie hieß bis dahin nach ihrem Gründer Karl Broermann (1878 bis 1947).
Schwacher Anschluss ans städtische Datennetz
„Idealerweise“, formuliert Clemens Heinrichs, gehöre der Nachlass von Dieter Kusenberg verbunden mit einer Datenbank. Allerdings sind die Büros der Gedenkhalle am Rande des Kaisergartens nur dürftig angeschlossen ans städtische Datennetz. „Mit Archivierungs-Software wären wir technisch überfordert“, meint der Leiter der Gedenkhalle.Technisch nachgerüstet wird dafür die Dauerausstellung im Schloss Oberhausen: Für die zehn Jahre alten Medien-Stationen hat der Kulturausschuss in seiner letzten Sitzung 20.000 Euro bewilligt.
Der Pädagoge und Literat tat sich schon vor der NS-„Machtergreifung“ 1933 mit propagandistischen Jugendschriften hervor wie „Albert Leo Schlageter, ein deutscher Held“ und „Aus Adolf Hitlers Reden. Bearbeitet für die Jugend“. Ende 1994 wurde durch Dieter Kusenberg diese Seite des Realschulgründers einer breiten Öffentlichkeit endlich publik. „Die Schüler wollten die Zeugnisse der Karl-Broermann-Realschule nicht mehr haben“, erinnert sich Jens Kusenberg. Die Recherchen und die öffentliche Debatte um Broermann füllen einen prallen Aktenordner des Nachlasses.
Von Tätern der NS-Zeit zu Mitläufern und zum Widerstand: Als Feierabend-Rechercheur ließ sich Dieter Kusenberg von einer Spur zur nächsten leiten. Clemens Heinrichs bescheinigt dem so entstandenen Bestand, der aus Archiven in ganz Deutschland schöpfte, „respektable Bandbreite und Systematik“. Sein Sohn erinnert sich an etliche schöne Städte-Touren von Berlin bis München, während der sein Vater für viele Stunden in den Archiven abtauchte: „Die Aufarbeitung der NS-Zeit hat mein Vater als politisches Engagement begriffen.“
Ein umfassendes „Wer war wer in Oberhausen?“
Bis hin zur Medizin-Historie ließe sich dieser Nachlass für die Forschung nutzen, meint Clemens Heinrichs. Für die Gedenkhalle bemüht er sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung um eine Förderung, dieses Vermächtnis zu erschließen: Ziel ist ein umfassender Sachkatalog – eine Arbeit, die das Duisburger Stadtarchiv mit einem ersten schmalen Band bereits begonnen hatte. Vom reaktionären Industriellen Paul Reusch bis zum in Bergen-Belsen umgekommenen Sozialdemokraten Hermann Albertz: Kaum ein Bestand, glaubt der Leiter der Gedenkhalle, ist so nah dran an einem umfassenden „Wer war wer in Oberhausen?“