Oberhausen. In „Die fünfte Nacht“ erzählt der Bayer aus Berlin vom „Dorf“ Oberhausen und von stadtbekannten Wirts- und Geschäftsleuten.

„Tolle Sachen deuten sich an.“ Besser gestimmt lässt sich ein Gespräch kaum eröffnen – und der Literaturhaus-Vorsitzende hat doppelten Grund zur Freude: Zum einen scheint ein Ende des „Exils“ für die Literaturhäusler in Sicht, die mit dem Ende des Lockdowns ihr Domizil an der Marktstraße 146 räumen mussten. „Wir haben jetzt mehrere Optionen“, sagt Hartmut Kowsky-Kawelke. Mit dem neuen Jahr könnte man sich in einem neuen Quartier einrichten.

Die Menschen der Marktstraße, die Ralph Hammerthaler als Autor porträtierte, fotografierte Markus Paul Smieja: hier Felicitas Höltge in ihrem Dessous-Geschäft.
Die Menschen der Marktstraße, die Ralph Hammerthaler als Autor porträtierte, fotografierte Markus Paul Smieja: hier Felicitas Höltge in ihrem Dessous-Geschäft. © Literaturhaus Oberhausen | Markus Paul Smieja

„Total befangen“, aber nicht minder stolz, erklärt sich der Vereinsvorsitzende gegenüber dem jetzt druckfrisch vorliegenden Oberhausen-Roman von Ralph Hammerthaler, dem „Marktstraßenschreiber“. Schließlich habe das „kleine Literaturhaus“ mit seiner Künstler-Residenz für den in Berlin lebenden Oberbayer geleistet, was sonst Rathäuser mit üppiger dotierten Stadtschreiber-Stipendien möglich machen: die Recherche für ein großes, 300 Seiten starkes Werk.

Den Roman „Die fünfte Nacht“, erschienen im Berliner Quintus Verlag, stellt der 55-jährige Romancier am Freitag, 15. Oktober, im „Solidarność“ am Altmarkt vor. Kennen Sie nicht? Nun, so heißt halt das „Gdanska“ in Hammerthalers Geschichte vom Straßenbahnfahrer Paul, der zuhause ausziehen muss, weil er sich mit Séverine eine viel zu junge Freundin angelacht hat. Wer Hammerthalers Reportagebüchlein „Marktstraße“ kennt – oder sich auch nur in Alt-Oberhausens einst so stolzer Einkaufsmeile auskennt – der dürfte nicht nur Zuzanna und Mirek als höchst lebendige Romanfiguren vor sich sehen.

Mit der Straßenbahn in den Bergwerksstollen

Auch der afrikanischen Community aus Nigeria und Ghana näherte sich der Romancier in „Die fünfte Nacht“, hier Dako Prommes in ihrem Afroshop.
Auch der afrikanischen Community aus Nigeria und Ghana näherte sich der Romancier in „Die fünfte Nacht“, hier Dako Prommes in ihrem Afroshop. © Literaturhaus Oberhausen | Markus Paul Smieja

„Es gibt mir einen neuen Blick auf die Region“, sagt Hartmut Kowsky-Kawelke über „Die fünfte Nacht“. Und dieser Blick ist unverstellt von der sonst allzu gerne gepflegten Bergbau-Nostalgie. Ganz im Gegenteil: Die große Beunruhigung im Leben des andere Fährnisse stoisch abschmetternden Straßenbahnfahrers ist die Sorge, vor ihm könnte sich der Asphalt zu einem Tagesbruch auftun, der ihn und seine Fahrgäste in den Abgrund reißt. In einem geradezu beschwingt-surrealen Tagtraum sieht sich Paul mitsamt Bahn und Passagieren in den Untergrund rauschen – und auf den Gleisen der RAG-Loren im tiefen Stollen weiterfahren.

Skurril und makaber gibt sich auch der große Roman „Wiesenstein“ von Hans Pleschinski – bleibt aber der dokumentierten Historie eng verbunden: Während im März 1945 Hunderttausende vor der Roten Armee aus Schlesien fliehen, kehrt der greise Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1862 bis 1946) zurück in seine schlesische Luxusvilla Wiesenstein. Der Großbürger und – mit „Die Weber“ – einstige Theaterrevolutionär darf bleiben, protegiert vom sowjetischen Kulturoffizier. Die Frage „Bin ich noch in meinem Haus?“ sind als Hauptmanns letzte Worte überliefert.

Großes Zeitpanorama des Kriegsendes

Hans Pleschinski präsentiert dieses große Zeitpanorama der Hybris und des Kriegsendes am Freitag, 22. Oktober, um 19 Uhr im AKA 103 der Ruhrwerkstatt, Akazienstraße 103.

Auch Michael Kumpfmüller kehrt zum Literaturhaus zurück

Karten für die beiden Lesungen mit Ralph Hammerthaler im Gdanska-Theater und Hans Pleschinski im AKA 103 kosten jeweils 10 Euro, ermäßigt 5 Euro. Online ist eine Anmeldung erforderlich über literaturhaus-oberhausen.de. Für den Frauensalon im AKA 103 ist bei freiem Eintritt ebenfalls eine Anmeldung erforderlich.Ein weiteres Literaten-Porträt folgt als November-Highlight am Freitag, 12.11., mit Michael Kumpfmüllers „Ach, Virginia“, seinem kurzen Roman über die letzten Tage im Leben von Virginia Woolf.

Zum Ausklang eines starken Monatsprogramms öffnet dort am Mittwoch, 27. Oktober, um 19 Uhr auch der „fortgesetzt unverschämte“ Frauensalon: mehrfach angekündigt und mehrfache Lockdown-Kausalität. Endlich erkunden nun die Gastgeberinnen unter dem Motto „literarische Ausflüge in erotische Zonen“ die einst gefürchtete oder verleugnete weibliche Lust. Mit ihrer Erkundung erotischer Texte wollen sie „einige Schleier lüften“. Dazu trägt die Hamburger Sängerin Maria Grunwald-Siebert einige Chansons aus den verruchten 1920ern vor.