Mülheim. Musik-Kabarettistin Nessi Tausendschön trat im Mülheimer Ringlokschuppen vor nur zwölf Besuchern auf. Veranstalter: Wir müssen Vertrauen gewinnen.

Musik-Kabarettistin Nessi Tausendschön und Gitarrist William Mackenzie geben alles. Ihre poetischen und witzigen Worte und Klänge umarmen das Publikum. Sie gewähren ihm einen Urlaub vom Alltag und erzählen melancholisch bis komisch von all dem, was uns in unserem Menschenleben so bewegt: Das andere Geschlecht, Liebe, Lust und Leidenschaft, aber auch Trauer, Frust, Konsum. Und der ganz normale Wahnsinn, an dem man irre werden könnte, wenn man nicht auch über ihn lachen könnte an diesem Kabarettabend im kleinen Saal des Ringlokschuppens. Der Ort ist gut gewählt. Denn es sind gerade mal zwölf Zuschauer gekommen. 36 hätten hier, unter Einhaltung der Abstands- und Hygiene-Regeln, Platz gefunden.

Die großen Veranstaltungsräume scheinen auch in Mülheim weit weg zu sein

Die größeren Auditorien im Nachbarsaal des Ringlokschuppens oder draußen, vor der Tür, auf der Drehscheibe, scheinen wie von einer anderen Welt. Weit weg, an diesem eben nicht ganz normalen Kabarettabend in Corona-Zeiten. Das Publikum gibt alles, jeder klatscht für zehn Leute. „Danke für das schöne Geräusch“, sagt Nessi Tausendschön immer wieder. Sie lässt ihre Zuhörer in ihre Seele schauen, wenn sie von den Schwierigkeiten berichtet, als freischaffende Kleinkünstlerin im auftrittsfreien Lockdown witzige und kreative Texte zu schreiben.

Künstlerin fordert das Publikum auf, wieder zu den Veranstaltungen zu gehen

„Man wird bescheiden. Und ich fühle mich in die Anfänge meines Bühnenlebens zurückversetzt, als ich meinen ersten Live-Auftritt vor fünf Zuschauern hatte. Da sind wir heute deutlich drüber, dank Ihnen, liebes Massenpublikum!“ Tausendschön hat auch bei ihrem zweiten Live-Auftritt nach der Corona-Zwangspause die Lacher auf ihrer Seite. Aber auch die sind im Angesicht der Tatsachen und mangels Masse nicht so vollmundig wie gewohnt. Am Ende ihres zweistündigen Programms erinnert Nessi Tausendschön nicht nur an die CD- und Streaming-Angebote, die sie und ihr Kollege Mackenzie nicht nur in der Corona-Pause produziert haben, sondern fordert das Publikum auf: „Gehen Sie wieder ins Kabarett, auch zu den Kollegen, die Sie noch nicht kennen. Denn die Kultur hält uns zusammen.“

Für Tobias Fritzsche vom Team Ringlokschuppen steht indes fest: „Wir bewegen uns wieder in Richtung Normalität. Für die Künstler und das Publikum wird es jetzt wieder leichter, in die Interaktion des gemeinsamen Lachens und Feierns einzutreten, die durch keine noch so aufwendige Online-Videoproduktion ersetzt werden könnte.“

Veranstalter: Zeit der Massenveranstaltungen ist vorerst vorbei

Das sieht seine Kollegin Britta Lins genauso. Und so wie Fritzsche, traut auch Lins sich zurzeit keine Prognose für den Live-Kultur-Betrieb zu. Sie betont: „Wir müssen bescheidener werden und mehr schätzen, was wir haben. Zum Glück gibt es staatliche Förderprogramme für die Kultur. Wir müssen lernen, mit der Corona-Pandemie zu leben und das Vertrauen des Publikums mit kleinformatigeren Veranstaltungen gewinnen. Die Zeit der Massenveranstaltungen ist vorerst vorbei. Denn die Menschen haben einfach noch Angst. Es kommen deutlich weniger Zuschauer zu den Live-Veranstaltungen. Und selbst Leute, die vorab eine Eintrittskarte gekauft haben, entscheiden sich manchmal dann doch noch dagegen, zur Veranstaltung zu kommen.“

Die Fans in Mülheim: Den Kontakt zur Bühne kann keine TV-Übertragung ersetzen

Was sagen die Kabarettfans, die sich am Samstag trotz Corona in den Ringlokschuppen getraut hatten? „Ich habe gezielt gegoogelt. Ich bin schon oft hier gewesen, weil mir das Programm und die Atmosphäre im Ringlokschuppen gefallen. Ich hoffe, dass das hier mit den zunehmenden Impfungen sicher weitergeht. Denn ohne geht es nicht. Youtube ist gut, um sich zu informieren. Aber gegen live kommt nichts an“, meint Helga Rühl.

„Das Bedürfnis, an so einer Live-Veranstaltung teilzunehmen, war sehr groß. Der Kontakt zur Bühne und zum Künstler ist einfach anders. Das kann keine Fernsehübertragung ersetzen. Außerdem habe ich die Not der Künstler mitbekommen und freue mich, sie jetzt wieder unterstützen zu können“, sagt Stefan Brinkmann. Und Lisa Dolny unterstreicht: „Ich liebe das Kabarett und habe es deshalb sehr vermisst und bin deshalb jetzt sehr froh darüber, dass ich meinen Nachholbedarf befriedigen kann.“