Gelsenkirchen-Beckhausen. Wieso sich der Gelsenkirchener Geistliche so gut in Arbeitslose einfühlen kann. Und wie er zum Priesterjubiläum auf seine Anfänge zurückblickt.
„Fachkräfte“ wie er sind heute verzweifelt gesucht, herrscht doch an katholischen Priestern akuter Mangel. Trotzdem: Das Gefühl, beruflich nicht gebraucht zu werden, kennt Pastor Bernd Steinrötter von der Pfarrei St. Hippolytus nur zu gut. Frisch ausgebildet als Schlosser, stand er mit 18 Jahren über Monate auf der Straße, „weil niemand mich wollte“. Im Rückblick aber ist er überzeugt: Die Arbeitslosigkeit war fast ein Glück. Wer weiß, ob er ohne sie vor 25 Jahren geweiht worden wäre?
Diese Zeit 1982 ohne Job jedenfalls, sie prägte den jüngsten Sohn eines Horster Bäckers/Konditors und einer Hausfrau. „Ich wusste lange nicht, wie es weitergehen sollte“, berichtet der 58-Jährige und schmunzelt, als er an den Berufswunsch Polizist oder Bundesgrenzschutz denkt. „Damals war St. Hippolytus mein Rettungsanker, eine zweite Heimat, wo ich Freunde hatte und meine Freizeit verbrachte.“
Engagierter Kaplan gab den entscheidenden Impuls für die Berufung des Gelsenkirchener
Rainer Streich war es dann, damals Kaplan in St. Hippolytus, den entscheidenden Impuls gab mit der Frage: „Ob Du nicht das machen könntest, was ich mache?“ Und der ihm die Angst nahm, noch mal die Schulbank zu drücken, um auf dem Kolleg in Bad Driburg das Abitur nachzuholen.
Mit Erfolg: Steinrötter studierte Theologie in Bochum und Freiburg und wurde am 16. Mai 1997 vom Essener Bischof Hubert Luthe geweiht. Nach Stationen in Mülheim (St. Engelbert) und Gladbeck (St. Lamberti) kam er 2002 als Stadtjugendseelsorger nach Gelsenkirchen, wo er 2010 Pastor in Liebfrauen in Beckhausen wurde.
Gelsenkirchener wurde nicht auf die dramatischen Veränderungen der Kirche vorbereitet
Was ihn vor Ort erwartete, dafür war er freilich kaum gewappnet: der dramatische Rückgang der Mitgliederzahlen etwa (1997 zählte Gelsenkirchen 114.000 Gläubige, mittlerweile sind es knapp 77.000); der Vertrauensverlust als Folge des Missbrauchsskandals; der Frust über den Umgang der Amtskirche mit gleichgeschlechtlichen Paaren oder wiederverheiratet Geschiedenen; die Kirchenschließungen infolge finanzieller Probleme.
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Pastor feiert Priesterjubiläum mit einer heiligen Messe
Sein 25-jähriges Priesterjubiläum (Weihespruch: „Einer sät, ein anderer wird ernten“) feiert Pastor Bernd Steinrötter am Sonntag, 15. Mai, mit einem Gottesdienst um 10.30 Uhr in St. Hippolytus an der Essener/Industriestraße. Die heilige Messe wird vom Jugendchor St. Laurentius und dem Vokalensemble unter der Leitung von Gregor Schemberg musikalisch gestaltet. Eine Begegnung im Anschluss gibt es wegen der Unvorhersehbarkeit der Coronalage nicht. Wegbegleiter und Interessierte sind aber eingeladen, zu Gunsten von Ukraine-Flüchtlingen in der Pfarrei zu spenden auf das Konto der Katholischen Kirchengemeinde St. Hippolytus (IBAN: DE 53 3606 0295 0016 2100 13), Stichwort: Ukrainehilfe.
„Wir wurden darauf vorbereitet, Pfarrer zu werden. Aber dann kam es für viele von uns ja ganz anders durch die Zusammenlegung von Gemeinden“, so der 58-Jährige, durchaus „nicht böse“, eben doch keine Pfarrei zu leiten, sondern „nur“ Pastor zu sein. „Ich will nah bei den Menschen sein und sehe mich eher als Seelsorger, nicht als Manager.“
Pastor aus Gelsenkirchen verurteilt „veraltete Sexualmoral“ gegenüber Homosexuellen
Der einstige Kolping-Diözesanpräses (2006-2013) hat sich dennoch nie davor gedrückt, für die Amtskirche unbequeme Positionen zu vertreten und „politisch“ zu agieren. Als Rom im März 2021 erklärte, gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen zu versagen, kritisierte Steinrötter das scharf als „veraltete Sexualmoral“ und kündigte an, sich auch weiterhin nicht daran zu halten („Priester sind keine Richter, sondern Botschafter Gottes“).
Er sprach sich in Bezug auf die Initiative „#OutInChurch“ dafür aus, das kirchliche Arbeitsrecht zu überdenken, das Beschäftigten in homosexueller Partnerschaft und wiederverheiratet Geschiedenen mit einer Kündigung droht. Und er ärgert sich unverhohlen darüber, „dass wir hier vor Ort noch so gut arbeiten können, uns manche Autoritäten in Köln aber die Petersilie verhageln und wir alle darunter leiden müssen.“
58-jähriger Gelsenkirchener geht mit seinem Burnout offen um
Offen geht er auch mit seinem Burnout vor einigen Jahren um, das ihm wegen Arbeitsüberlastung eine fast einjährige Pause aufnötigte. „Seither passe ich besser auf mich auf und gönne mir mehr Pausen.“ Ehrenamtliche Laien, gerade auch Frauen zu „befähigen“, wie er sagt, ist ihm ein besonderes Anliegen. Was er feiern will, ist die Liturgie, aber auch die Vielfalt in der Kirche („wir sind nicht nur eine Männerkirche“). [Lesen Sie auch:Erstmals: Rumänisch-Orthodoxe nutzen Gelsenkirchener Kirche]
Auch wenn es am Ende anders kam als geplant und sein Alltag von Veränderungen geprägt ist (aktuell steht der Verkauf des Liebfrauen-Grundstücks an einen Investor an): „Ich würde mich jeden Tag wieder für den Weg als Priester entscheiden. Einfach weil ich gerne Menschen umfassend begleite, auch solche, die am Rand stehen. Und weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass wir von Gott getragen werden. Es gibt mehr als nur das, was wir sehen.“
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