Oberhausen. Eine breite Diskussion über den Abtreibungs-Info-Paragrafen 219a haben sie ausgelöst, jetzt entschuldigen sich die obersten Katholiken-Vertreter.
Die massiven tagelangen empörten Debatten über ihren Vorstoß, den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches (Infoverbot zu Abtreibungsmethoden) zu erhalten, haben die obersten Vertreter der katholischen Kirche in Oberhausen überrascht – und sichtlich beeindruckt.
Thomas Gäng, Vorsitzender des Katholikenrates, und Propst André Müller, seit November 2021 neuer Stadtdechant in Oberhausen, bleiben zwar inhaltlich fest bei ihrer Argumentation, bedauern allerdings Formulierungen in ihrem Schreiben an Bundestagsabgeordnete und Parteien – und bitten um Verzeihung. „Wenn wir Frauen durch unglückliche Formulierungen verletzt haben, dann tut uns das aufrichtig leid. Ich bitte auch um Entschuldigung dafür. Niemand von uns unterstellt bei der Frage einer Abtreibung einen verantwortungslosen Umgang“, sagt Gäng in einem Videogespräch mit der Redaktion. „Wir wollten die notwendige sachliche Debatte zu einem hochsensiblen Thema anregen und dabei die Haltung der katholischen Kirche einbringen.“
Weitere Berichte zu dem Thema:
- Das Original-Schreiben der Katholischen Stadtkirche von Oberhausen ist auf der Seite stadtkirche-oberhausen.de zu finden.
- So argumentiert die Katholische Kirche für Paragraf 219a
- Katholiken für Abtreibungs-Infoverbot: Frauen sind empört
Selbstkritisch zeigt sich im Videogespräch auch Propst André Müller: „Wir wollten eigentlich einen sachlichen Austausch erreichen, dies ist uns leider im ersten Aufschlag nicht gelungen. Bei diesem Thema geht es immer um das Spannungsfeld zwischen der Selbstbestimmung von Frauen und dem grundgesetzlich geschützten Lebensschutz. Es war nicht beabsichtigt, Frauen zu verletzen, wenn das so rübergekommen ist, tut mir das aufrichtig leid und ich bitte um Entschuldigung.“
Viele Verbände der Katholiken gegen Streichung von Paragraf 219a
Beide Vertreter der katholischen Kirche beteuern, dass ihre Haltung, den Paragrafen nicht zu streichen, von einer breiten Basis ihrer Kirche geteilt wird: Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (KFD), der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB), der Caritasverband, die Bischofskonferenz – und auch der frühere Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm – warnen davor, das im Paragraf 219a enthaltende Werbeverbot für Abtreibungen zu kippen. Im Januar hatte die Ampelkoalition einen Gesetzentwurf zum Aus für § 219a vorgelegt.
Erst Anfang 2019 hatte der alte Bundestag allerdings den Paragrafen 219a gelockert: Seitdem dürfen Ärzte und Kliniken öffentlich ohne Risiko der Strafverfolgung zumindest darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen – und Links auf Infoangebote neutraler Stellen setzen. Nicht erlaubt sind aber ausführliche eigene Infos der Praxen und Kliniken über die angewendeten Abbruch-Methoden.
Gäng und Müller wollen diesen Kompromiss des Bundestages erhalten – aber eben nicht streichen. „Niemand kann etwas dagegen haben, dass die betroffenen Frauen und Paare noch besser mit Informationen versorgt werden.“ Eine umfassende Information sei schon heute gewährleistet, auch in der Beratung der Caritas vor Ort. „Hier wird über die Methoden der Abtreibung ausführlich informiert“, versichert Stadtdechant Müller. Es sei eine schmale Gratwanderung zwischen reiner Information von Ärzten über Abtreibungsvarianten und offener Werbung.
Ist die Streichung des Paragrafen 219a eine Scheindebatte?
Was beide Katholiken zutiefst umtreibt: Sie sehen die Diskussion um die Streichung des Paragrafen 219a als Scheindebatte, die eigentlich zum Ziel haben könnte, den Abtreibungs-Paragrafen 218 auszuhöhlen, der nach harten Debatten seit Mitte der 70er Jahre Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei ermöglicht. Frankreich habe bereits ein Recht auf Abtreibung in der EU-Grundrechtscharta verankern wollen, die Niederlande haben die vorgeschriebene Bedenkzeit zwischen Beratung und Abtreibung gestrichen. Und im Referentenentwurf zum 219a-Wegfall des Bundesjustizministers sei eine Prüfung des Paragrafen 218 angeregt: Er solle aus dem Strafrecht herausgenommen und als Ordnungswidrigkeit behandelt werden.
Propst Müller spürt in seinen Gemeinden in Oberhausen und Gladbeck, dass nicht nur Christen dieses Thema umtreibt. „Der Diskussionsbedarf ist groß.“ Auch von Katholikinnen habe es Widerspruch zu seiner Haltung gegeben. „Im Kern geht es hier um eine Güterabwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Schutz des ungeborenen Lebens“, erläutern Gäng und Müller. „Wir betonen dabei besonders den Schutz des werdenden Lebens. Diese Haltung muss man nicht teilen, aber wir wollen sie rechtzeitig in die Diskussion einbringen, bevor der Bundestag am Ende entscheidet.“
Müller: Trotz tiefer Krise nicht schweigen
Dass die tiefe moralische Krise der katholischen Kirche durch die Vielzahl an Sexualverbrechen und deren Vertuschungen in der Vergangenheit Auswirkungen auf andere Debatten über ethische Themen hat, erlebt Stadtdechant André Müller. „Man hat uns natürlich kritisch gefragt, warum wir ausgerechnet jetzt über den Schutz des beginnenden Lebens reden.“Seiner Meinung nach sollte die katholische Kirche trotzdem nicht über die ihr wichtigen Themen schweigen. „Wegen der schlimmen Krise, in die wir uns selbst hineinmanövriert haben, dürfen wir uns nicht bei entscheidenden Diskussionen zurückziehen.“ Der Referentenentwurf zum §219 sei eben vor kurzem vorgelegt worden.