Gelsenkirchen. Ein ungewöhnliches Projekt: In einem Schalker Mietshaus wurden Tauben im Dachboden angesiedelt. Warum sich die Vermieter dafür so offen zeigten.
Mit einem knackigen Salatblatt in der Hand schleppt sich Antonia Roth das Treppenhaus an der Liboriusstraße 64 in Schalke hoch. Die Tauben, für die das frische Grün gedacht ist, dürften in ihrem alten Leben höchstens an beschmierte Salatstückchen aus weggeworfenen Hamburger-Resten gekommen sein. Aber jetzt sind sie die ersten Bewohner des Taubenschlags hier auf dem Dachboden des Mehrfamilienhauses. Nicht nur für Schalke ist das Konzept eine Neuheit, es ist stadtweit ein einzigartiges Projekt – und soll das Tauben-Problem im Süden tierschutzgerecht lösen. „Ich hoffe stark, dass wir Nachahmer finden“, sagt Roth, Vorsitzende des Vereins „Schalker Täubchen“.
Taubenschlag in Gelsenkirchener Mietwohnung: Die Ziele und die Herangehensweise
Momentan leben etwa ein Dutzend Tiere hier auf dem Dachboden. Draußen auf Dach und Einflugbrett warten bereits zahlreiche hungrige Stadtvögel, hineingelassen zu werden, um endlich an artgerechtes Futter zu kommen. „Der Schlag muss aber mehrere Wochen zu bleiben“, erläutert Roth. Erst sollen die hier nun lebenden Tauben den Dachboden als ihr Brutgebiet identifizieren, sich hier ein Nest bauen und Eier legen. „Erst danach ist sicher, dass sie zurückkommen.“ Für die Tauben außerhalb fungieren sie dann als eine Art „Magnetschwarm“, der sie zum Umzug in den Dachboden motivieren soll.
Ziel ist es, so das Tauben-Problem in Schalke anzugehen und die Population der in der Nachbarschaft lebenden Tiere unter Kontrolle zu halten. Die echten Eier sollen deswegen in der Regel durch Gipseier ausgetauscht werden – die Tauben merken den Unterschied nicht. 40 bis 80 Tauben sollen hier am Ende ihr Zuhause finden und in dem Ikea-Regal ihre Nistplätze einrichten.
Warum der Bauverein Gelsenkirchen das ungewöhnliche Tauben-Projekt unterstützt
„Wir wollen hier Tierschutz, Mieterschutz, Bautenschutz und Naturschutz in Einklang bringen“, formuliert es Gerd Richter vom Vorstand des Bauvereins Gelsenkirchen, der die Wohnungen hier vermietet. Dass eine Wohnungsgenossenschaft einen Dachboden für Stadttauben herrichten lässt, ist natürlich keine Selbstverständlichkeit – und Richter gibt auch zu, dass es sicher nicht der erste Gedanke des Bauvereins gewesen sei, um dem Tauben-Problem hier im Umkreis Herr zu werden.
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Aushänge zum Taubenfütterungsverbot, das in Gelsenkirchen gilt, habe man in den Häusern hier in der Nachbarschaft angebracht, auch gezielte Anschreiben an die Mieter hierzu verschickt. Gitterstäbe an Fensterbänken und Dachrinnen habe man angebracht. Gebracht aber habe all das nichts – die Tauben pflanzten sich weiter fort, beschmutzen die Fassaden, die Hauseingänge und geparkten Autos. Nicht nur an der Liboriusstraße, auch an der Liebfrauen-, Luitpold- und Franz-Bielefeld-Straße.
All das klingt nach viel Ärger zwischen Mieter und Vermieter. Doch das ist Vergangenheit. Jetzt sprechen beide mit einer Stimme.
Denn Antonia Roths Vorschlag, mal einen anderen Weg zu gehen und einen Taubenschlag auf dem Dachboden einzurichten, sei dann im Bauverein offen „unter Abwägung aller Argumente diskutiert worden – mit dem Ergebnis, es zu versuchen“, sagt Richter. „Wer was ändern will, sieht Wege; wer was nicht will, der sucht Gründe“, formuliert es Roth von den „Schalker Täubchen“.
Nun ist der betreute Taubenschlag eine offizielle Zusammenarbeit zwischen Bau- und Taubenverein. Und Roth und ihre Helfer sorgen so nicht nur für mehr Frieden in der Nachbarschaft. Auch der Tierschützerin selbst gibt die neue Aufgabe offenbar viel. „Manchmal sitze ich jetzt hier und schaue den Tauben einfach nur zu. Es ist witzig, es ist schön, wie sie interagieren. Das sind einfach total soziale Tiere.“
Tauben-Haus in der Gelsenkirchener Innenstadt soll noch im Sommer 2022 entstehen
Verblüffend mag es eigentlich erscheinen, dass es ausgerechnet in Gelsenkirchen, wo die Taubenzucht eine solche Tradition hat, bis zum Jahr 2022 gedauert hat, solche Projekte entstehen zu lassen. Aber jetzt bewegt sich nicht nur etwas in Schalke, sondern auch woanders im Stadtsüden: In diesem Sommer soll der „Tauben-Container“ an der Robert-Koch-Straße errichtet werden. Eigentlich sollte dies schon im Mai passieren, doch der Zeitplan der Stadt verwunderte selbst diejenigen, die sich potenziell um das neue Taubenhaus im Süden kümmern sollten – den „Förderkreis Taubenhaus Buer e.V.“ und die „Stadtvogelhilfe“.
Der Buersche Verein und die Gruppe von Vogel-Freundinnen haben ihre Kräfte nun vereint und so den Generationenwechsel unter den Tauben-Rettern eingeleitet. Karl Henke, der sich jahrelang um das Taubenhaus in Buer kümmerte, hat sich zurückgezogen; Jasmin Tönnies und Vanessa Hares sind die neuen Vorsitzenden des Förderkreises. „Diese energiegeladenen Frauen werden den Tierschutz der Tauben in Gelsenkirchen weiter entwickeln, dabei aber den Ursprung der Maßnahmen, das Taubenhaus in Buer, nicht aus dem Auge verlieren“, verspricht Henke. Und natürlich haben jene Frauen auch ihre Finger beim Projekt in Schalke im Spiel: Die ersten Bewohner des dortigen Taubenschlags wurden von ihnen auf den Gelsenkirchener Straßen gefunden und aufgepäppelt.