Gelsenkirchen. „Sie werden für den schönsten Tag des Lebens gebucht und enden auf der Straße:“ Die Stadtvogelhilfe sorgt sich um verirrte Hochzeitstauben.

Gerupft und völlig abgemagert: Einen Glücksboten im Pech hat die Stadtvogelhilfe Gelsenkirchen am Schloss Horst eingesammelt. „Die weiße Taube war nur noch Haut und Knochen“, sagt Tierliebhaberin Jasmin Tönnies. „Die Tiere werden für den schönsten Tag des Lebens gebucht und enden dann nicht selten auf der Straße, werden quasi obdachlos.“ Aus Symbolen der Treue und des Friedens werden Ausgestoßene. Tönnies findet: Das geht so nicht.

Stadtvogelhilfe Gelsenkirchen spricht von Tierquälerei bei weißen Tauben

Es war schon der zweite weiße Vogel in kurzer Zeit, auf den der Taubenrettungstrupp aufmerksam gemacht wurde. „Die andere Taube wurde im Tierheim abgegeben, die ebenfalls in der Nähe des Schlosses gefunden wurde“, erzählt Tönnies. Gründe dafür, dass die Hochzeitstauben nicht nach Hause finden, gibt es nach Auffassung der 23-Jährigen viele.

“Nur noch Haut und Knochen“: Diese weiße Taube wurde in Gelsenkirchen in der Nähe von Schloss Horst gefunden.
“Nur noch Haut und Knochen“: Diese weiße Taube wurde in Gelsenkirchen in der Nähe von Schloss Horst gefunden. © Stadtvogelhilfe Gelsenkirchen | Stadtvogelhilfe Gelsenkirchen

„Sie sind Haustiere, haben kein gutes Immunsystem, um zu überleben. Und sie haben kaum Orientierungssinn.“ Zudem sei das auffällige Gefieder eine Gefahr für die kleinen Tiere – für Raubvögel sind sie ein leichtes Ziel „Die Tiere sind eigentlich nur ‘Dekoration’. Sie wissen gar nicht, wie ihnen in der Stadt oder Natur geschieht“, sagt die angehende Altenpflegerin und Mutter.

Wie groß die Gefahr für die Tauben wirklich ist, unterscheidet sich jedoch nach Art. Weiße Brieftauben kommen besser klar. „Aber es gibt ja zum Beispiel auch Pfautauben, die können kaum fliegen,“ weiß Tönnies. Sie hält insbesondere die Verwendung solcher Rassetauben an Hochzeiten für Tierquälerei. „Wegen Corona ist es aufgrund der vielen ausgefallenen Hochzeiten weniger geworden, aber gerade im Sommer kommt es öfter vor, dass wir solche Tiere finden und aufpäppeln.“ Nun also auch im Winter - Corona hin oder her.

Gelsenkirchener Tauben-Freunde machen schlechte Erfahrungen mit Züchtern

Meist versucht die Stadtvogelhilfe in solchen Fällen über Angaben auf dem Ring Kontakt zum Züchter aufzunehmen – was jedoch nicht immer etwas Gutes für die Tauben bedeute. „Eine Bekannte hat eine Taube, die sie gepflegt hatte, wieder dem Züchter überreicht – und er hat dann vor ihren Augen das Genick des Tieres gebrochen“, erzählt Jasmin Tönnies. Die Vegetarierin glaubt: Wenn es eine Taube nicht zurückschaffe, dann sei sie auch für den Züchter kaum mehr zu verwerten.

Jasmin Tönnies von der Stadtvogelhilfe Gelsenkirchen, hier im Jahr 2019, päppelt verletzte Tauben wieder auf.
Jasmin Tönnies von der Stadtvogelhilfe Gelsenkirchen, hier im Jahr 2019, päppelt verletzte Tauben wieder auf. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Beim Förderkreis Taubenhaus Buer hat man ähnliche Erfahrungen gemacht. „Kommt eine Taube nicht zum Schlag zurück, verliert sie durchaus die Sympathie des Züchters. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man sie dann nicht zurückhaben möchte“, sagt Karl Henke vom Förderkreis. „Sie konnten ihre Leistungsfähigkeit nicht beweisen und gehören dann zum Ausschuss. So streng sind da teils die Bräuche.“ Verirrte Hochzeitstauben seien Henke aber noch nicht aufgefallen. „Das wäre für mich ein neues Thema.“

Brieftaubenzüchter-Verband nimmt Stellung: „Tiere sind trainiert“

Nach mehr Differenzierung verlangt dagegen Elena Finke, Sprecherin des Verbands Deutscher Brieftaubenzüchter mit Sitz in Essen nahe der Grenze zu Gelsenkirchen. „Wenn es sich bei einer weißen Taube um eine Brieftaube handelt, dann ist die in der Regel darauf vorbereitet, wieder nach Hause finden zu können, dann wird sie mit tierschutzgerechtem Training darauf vorbereitet.“

Eigenständige Rückkehr

Normalerweise läuft es wie folgt: Die weißen Tauben werden mit einem Käfig oder in Kisten zu der Hochzeitsfeier gebracht. Wenn die Tauben dann fliegen gelassen werden, sollen sie eigenständig zu ihrem Heimatschlag zurückfinden. Der Deutschen Tierschutzbund kritisiert, dass die Tiere dabei nicht selten unter Stress gesetzt werden. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die Tiere auch zügig zurückkehren, würden die monogamen Taubenpaare teils von ihrem Nachwuchs getrennt, zu dem sie dann schnell heimkehren wollen.

Für Taubenzüchter, die sich nicht auf Brieftauben spezialisiert haben und andere weiße Tauben züchten, könne Finke zwar nicht sprechen, für ihren Verband gelte jedoch: „Wir haben in der Satzung verankert, dass jeder Züchter jedes Tier zurücknehmen und sich um dieses kümmern muss. Wenn wir Informationen über Verletzungen des Tierschutzes haben, gehen wir auch dagegen vor.“ Zwar obliege es einem Züchter auch, mal eines seiner Tiere zu töten, um es zu essen – aber dieses Schicksal treffe nicht automatisch jene Tauben, denen es nicht gelingt, von alleine zurückzufinden. „Schließlich kann ein Tier auch durch den Angriff eines Fressfeindes seine Orientierung verlieren.“

Was die Geschichte der weißen Taube vom Schloss Horst ist, darüber kann Jasmin Tönnies von der Stadtvogelhilfe nur spekulieren. Ihr Zustand sei kritisch, sagt die Gelsenkirchenerin. „Wir hoffen“, sagt sie, „dass sie es überlebt.“