Oberhausen. Der Familienvater war vorsichtig, doch er infizierte sich mit Corona – vor über einem Jahr. Seitdem leidet er unter den Folgen.
Wenn Stefan Becker (Name von der Redaktion geändert) mit seinen beiden kleinen Kindern zehn Minuten um den Block geht, muss er sich danach für zwei Stunden hinlegen. Manchmal steht er morgens auf und fühlt sich, als hätte er überhaupt nicht geschlafen. Hinzu kommen Muskelschmerzen, die er manchmal nur mit Schmerzmitteln ertragen kann. Stefan Becker hat Long Covid, er leidet unter Dauerfolgen einer Corona-Erkrankung.
Bevor Becker sich vor mehr als einem Jahr mit dem Coronavirus infizierte, war er ein gesunder Enddreißiger. Er arbeitete gerne in seinem Beruf im Oberhausener Kulturbereich – trotz stressiger Phasen und gelegentlicher Überstunden. Mit der Pandemie gingen er und seine Familie nach seiner Darstellung äußerst verantwortungsbewusst um. Impfungen gab es damals ja noch nicht, aber „wir waren nicht leichtfertig und haben uns an die Schutzmaßnahmen gehalten“.
Kinder haben sich offenbar nicht angesteckt
Darum dachte er auch gar nicht an Corona, als es ihm im Herbst 2020 nach der Arbeit nicht gut ging. Erst war ihm übel, dann bekam er Fieber. Ein Magen-Darm-Infekt, glaubte er. Doch dann erwischte es auch seine Frau: Halsschmerzen, Husten – ganz andere Symptome als seine. Aber eines einte die beiden: „Wir haben die volle Windel unserer Tochter nicht mehr gerochen.“
Das stimmte beide dann doch skeptisch. Sie ließen einen PCR-Test machen. 24 Stunden später gab es Gewissheit: „Sie haben Corona.“ Wo und wie sie sich infiziert haben, wissen Becker und seine Frau bis heute nicht. Die beiden kleinen Kinder steckten sich aber offenbar nicht an.
Das Fieber hielt sich hartnäckig
Es folgten zwei intensive Wochen in Isolation. „Mein Allgemeinzustand war nicht gut, aber auch nicht richtig schlecht“, erinnert sich Becker zurück. Im Vergleich zur Grippe, die ihn ein paar Jahre zuvor „richtig weggehauen“ habe, sei die Corona-Infektion eher moderat verlaufen. Zwar kämpfte er mit vielen verschiedenen Symptomen wie Muskel- und Gliederschmerzen, kurzzeitig auch der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, er fühlte sich schlapp, müde, verschnupft. Doch er ging davon aus, seine Arbeit nach der Quarantäne wieder ganz normal aufnehmen zu können.
Bei seiner Frau klappte das auch. Aber „bei mir wurde es nicht besser“, erzählt Becker. Das Fieber hielt sich hartnäckig, er fühlte sich weiterhin schlapp, hatte Schmerzen in Armen und Beinen. An Weihnachten 2020 dann das Gefühl: Es geht bergauf. Heute muss der 39-Jährige fast lachen, wenn er zurückdenkt: „Ich dachte wirklich, ich könnte im nächsten Jahr wieder zur Arbeit gehen.“ Doch dann kam das Fieber zurück und „es ging immer weiter bergab“.
Verschiedene Tests führten zu keiner konkreten Diagnose
Becker machte Tests bei verschiedenen Ärzten, die zu keiner konkreten Diagnose führten. Long Covid – „das war ein Nischenthema“. Erst als er im Frühjahr 2021 als Patient zur Post-Covid-Ambulanz des Universitätsklinikums Essen kam, wurde klar, dass seine Symptome keinem neuen Infekt zuzuschreiben sind. Es sind Langzeitfolgen seiner Corona-Erkrankung. Seitdem weiß er auch: „Ich habe Diabetes.“ Ebenfalls eine Folge der Infektion.
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Zwar hat Beckers Leiden nun einen Namen, eine Heilung für Long Covid gibt es aber nicht. Stattdessen werden die Symptome behandelt. Wegen des Diabetes hat er etwa seine Ernährung radikal umgestellt. Um trotz Muskelschwäche und Schmerzen mobil zu bleiben, macht er Physiotherapie. Ein Kraftakt für den 39-Jährigen. Ihm fehlt die Energie. „Sport kann ich gar nicht machen.“ Außerdem erhält er Schmerzmittel, die er aber nur im Notfall nimmt – um nicht abhängig zu werden.
Die Folgen seiner Erkrankung werden ihn sein Leben lang begleiten
Noch heute fühlt sich Becker manchmal, „als wäre ich einen Marathon gelaufen“. Er kann sich kaum bewegen, obwohl er sich gar nicht angestrengt hat. Fatigue-Syndrom nennt man dieses Krankheitsbild. Betroffene können ihren Alltag zum Teil nicht mehr bewältigen. Wer am Fatigue-Syndrom leide, erklärt Becker, müsse besonders achtsam mit seinem eigenen Leistungslimit umgehen und dieses nicht überschreiten. Sonst drohe der Zusammenbruch.
Post-Covid Ambulanz in Essen
Die Post-Covid-Ambulanz der Essener Universitätsmedizin bietet eine interdisziplinäre Spezialsprechstunde für Genesene an. Sie ist eine Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten, die nach einer Corona-Infektion weiterhin Beschwerden haben. Zur Vorstellung sollten Betroffene sämtliche Vorbefunde mitbringen – insbesondere den PCR-Nachweis ihrer Corona-Infektion sowie eine fachärztliche Überweisung.Kontakt ist möglich per Mail an nachsorge-covid@uk-essen.de oder telefonisch unter 0201 7234744 (Mo-Do 13-15 Uhr, Fr 12-14 Uhr). Mehr Infos auf https://infektiologie.uk-essen.de/index.php?id=4562
Ein Jahr lang lebt er nun schon mit den Schäden, die das Coronavirus in seinem Körper hinterlassen hat. „Ich hole mir Schritt für Schritt meinen Alltag zurück.“ Ob er jemals wieder die 100 Prozent erreichen wird, die er vor seiner Infektion leisten konnte, kann er nicht einschätzen. Nach vielen Aufs und Abs fühlt er sich aktuell bei 70 bis 80 Prozent. Darum versucht er, sich langsam an immer größere Herausforderungen heranzutasten. Zum Jahresbeginn startete seine Wiedereingliederung in den Job.
Die Folgen seiner Erkrankung werden ihn aber sein Leben lang begleiten: „Wenn man einmal Diabetiker ist, ist man immer Diabetiker. Aber es ist in den Griff zu kriegen“, ist Stefan Becker überzeugt. Was seine Muskelschmerzen und die Erschöpfung angeht, hat der 39-Jährige „Hoffnung, dass der Körper nur noch etwas Zeit braucht“. Dass es ausgerechnet ihn getroffen hat, ist für Becker reiner Zufall. Er war nicht vorerkrankt, fit, es ging ihm gut. „Es kann jeden treffen“, sagt er. „Man sollte die Pandemie nicht auf die leichte Schulter nehmen.“