Gelsenkirchen. Irene Mihalic (Grüne) und Marco Buschmann (FDP): Zwei Gelsenkirchener Abgeordnete verhandeln die Ampel-Koalition mit. Was sie verraten können.

Gelegentlich findet man auf den Social-Media-Profilen der Ampel-Koalitionäre ein Selfie beim Pils. Oder auch mal ein Foto von dem Verhandlungstisch, der für die anderen in der Arbeitsgruppe in scheinbar privaten Räumlichkeiten nett gedeckt wurde. Vielmehr aber drängt aus den 22 thematisch zugeschnitten AGs, die aktuell die Zukunft Deutschlands unter einer rot-grün-gelben Koalition aushandeln, nicht nach außen. Selbst um die Dauer oder den Ort der Gespräche machen die Politikerinnen und Politiker von SPD, Grünen und FDP ein Geheimnis. „Wir haben uns ein ganz strenges Regime auferlegt“, sagt die Gelsenkirchenerin Irene Mihalic.

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Mihalic ist eine der über 200 Bundes-, Landes- oder Europaabgeordneten, die in ein Verhandlungsteam berufen wurden. Sie repräsentiert die Grünen in der Arbeitsgruppe 16 für die Themen Innere Sicherheit, Bürgerrechte, Justiz, Verbraucherschutz und Sport. Natürlich. Mihalic ist seit 2016 innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, warb im Wahlkampf für einen Neustart beim Verfassungsschutz in Deutschland oder eine bessere Koordination beim Katastrophenschutz.

Zu wenig Transparenz? Was Grünen-MdB Mihalic zur Kritik aus der eigenen Reihe sagt

Die Stimmung in den Sitzungen der AG nennt die 44-Jährige „eher nüchtern“ und „recht unspektakulär“, man sei eben in einem „ganz normalen Konferenzzimmer mit Getränken, Schnittchen oder Eier-Brötchen“. Dass bis auf den Brötchenbelag keine Details öffentlich werden: Stört dies Anhänger und Mitglieder der eigenen Partei nicht am meisten? Schließlich sind es die Grünen, die seit jeher mehr Transparenz bei politischen Abläufen propagieren.

„Das ist nicht einfach, natürlich fragen mich auch viele Mitglieder, wie es so läuft“, sagt Mihalic. „Aber wir sind jetzt in die Situation gekommen, das Verhandlungsmandat bekommen zu haben, und da werbe ich um das Verständnis, dass wir nicht jeden Schritt kommunizieren können.“ Die Antwort, die sie allen Nachfragenden gebe: „Vertraut uns, dass wir das Bestmögliche da rausholen.“

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Immerhin: Mihalics Fachgruppe gilt nicht unbedingt als diejenige, bei der die Programmatik von SPD, Grünen und FDP am heftigsten aufeinanderprallen. Mit der CDU im Boot wäre es hier weitaus schwieriger geworden: Der Ausbau pauschaler Überwachung passt weder zum liberalen noch zum grünen Weltbild. Zu einem Demokratiefördergesetz für die Stärkung von Initiativen gegen Extremismus hat man sich bereits im Sondierungspapier verständigt. Und Themen wie eine bessere Ausstattung der Polizei, strukturelle Veränderungen beim Verfassungsschutz oder ein Umbau von Europol zu einer Art „europäischem FBI“ gelten ebenfalls als Punkte, bei denen eine schnelle Einigung realistisch scheint.

Mihalic verhandelt mit Wolfgang Kubicki (FDP) und Christine Lambrecht (SPD)

Mihalic diskutiert ihre Fachthemen mit bekannten Gesichtern der Ampel-Partner. Dabei sind die geschäftsführende Justiz- und Familienministerin Christine Lambrecht (SPD), die EU-Parlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD), Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) oder der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle.

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Kuhle und andere Mitglieder der Arbeitsgruppe kennt Mihalic bereits durch ihr Wirken im Innenausschuss, mit Kubicki saß sie „auf dem einen oder anderen Podium.“ Das hilft. „Man weiß, wo Schwerpunkte der anderen liegen, man weiß, was den anderen wichtig ist.“ Genau hier habe ein großes Problem bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen 2017 gelegen, die Mihalic damals nur aus der Ferne beobachtete. Trotzdem weiß sie: „Die FDP ist die vier Jahre davor nicht im Bundestag gewesen. Man kannte niemanden. Da gab es kein Grundvertrauen. Das ist jetzt anders, weil wir schon vier Jahre zusammen erlebt haben.“

Gelsenkirchener Marco Buschmann sitzt in der Hauptverhandlungsgruppe

Sechs Seiten soll am Ende jede Arbeitsgruppe erstellen, mehr sollen es nicht werden. Die Formalien, Zeilenabstand und Schriftgröße sind festgelegt, wie bei einer Uni-Arbeit. Vorgelegt werden sollen die Positionspapiere bis zum 10. November dann einer 18-köpfigen Hauptverhandlungsgruppe, zu der ein weiterer Gelsenkirchener gehört – Marco Buschmann, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, dessen Gesicht derzeit in gefühlt jeder Polit-Sendung zu sehen ist. Und dabei stets besonders für die vereinbarte Vertraulichkeit zwischen den Ampel-Koalitionären steht.

Hat ein Machtwort bei den Ampel-Koalitionsgesprächen: Dr. Marco Buschmann (FDP) ist in der 18-köpfigen Hauptverhandlungsgruppe.
Hat ein Machtwort bei den Ampel-Koalitionsgesprächen: Dr. Marco Buschmann (FDP) ist in der 18-köpfigen Hauptverhandlungsgruppe. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Sie war ein Erfolgsfaktor bei den Sondierungen. Dabei soll es bleiben“, schreibt Buschmann der WAZ und bezeichnet die Gespräche bislang als „professionell, fair und vertrauensvoll.“ Selten habe es eine größere Chance gegeben, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu modernisieren. „Diese Chance wollen wir nicht verstreichen lassen.“

Buschmann (FDP): „Keine inszenierten Nachtsitzungen“

Dass die Verhandlungen – bei dem, was man überhaupt mitbekommt – bislang so anders wirken als die Jamaika-Gespräche, zu denen man noch Bilder von Sondierern mit Augenringen und spätabendliche Rauchpausen auf einem Balkon im Regierungsviertel in Erinnerung hat, das führt Buschmann auf die „intensive und professionelle Vorbereitung“ zurück. „Das erspart uns nun die inszenierten Nachtsitzungen früherer Verhandlungen und ermöglicht uns eine Konzentration auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen.“

Dass die Sitzungen dieses Mal etwas humaner gestaltet sind, heißt übrigens auch: Die Ampel-Abgeordneten müssen sich nicht in Berlin verbarrikadieren. Irene Mihalic zum Beispiel war erst letztes Wochenende wieder in Gelsenkirchen – um Halloween mit dem Nachwuchs zu feiern.

Was macht Markus Töns (SPD)?

Markus Töns (SPD) hat den Wahlkreis Gelsenkirchen gewonnen. Er sitzt in keiner Arbeitsgruppe, aber übernimmt nach eigener Aussage beratende Gespräche für Ressorts wie Wirtschaft und Energie. „Da werden weitere Fachpolitiker hinzugezogen“, sagt er. Expertise bringt Töns vor allem bei Themen wie den Brexit-Folgen oder dem Finanzrahmen der Europäischen Union mit. Neben Irene Mihalic (Grüne) sitzen in der Arbeitsgruppe 16 Innere Sicherheit, Bürgerrechte, Justiz, Verbraucherschutz und Sport folgende SPD-Politiker: Christine Lambrecht, Katarina Barley, Thomas Hitschler, Georg Maier, Mahmut Özdemir, Johannes Fechner.Für die Grünen: Konstantin von Notz, Lamya Kaddor aus Duisburg, Sergey Lagodinski, Manuela Rottmann, Verena Schaeffer.Für die FDP: Wolfgang Kubicki, Svenja Hahn, Konstantin Kuhle, Dr. Matthias Schulenberg, Benjamin Strasser, Stephan Thomae.