Mülheim. Corona treibt mehr und mehr Mülheimer in die Natur. Doch wohin mit der Notdurft, wenn Restaurants und öffentliche Toiletten geschlossen sind?
Wenn Corona mehr und mehr Mülheimer in die Natur treibt – wohin dann mit der Notdurft? Die Restaurants zumindest sind dicht, die öffentlichen Gebäude der Stadt nur eingeschränkt betretbar. Gerade einmal drei öffentlich zugängliche Toiletten hält die Stadt vor, eine ist eingelagert, die zweite seit Wochen außer Betrieb. Die Folge? Der Ärger über Wildpinkler wächst. Und die vor Jahren eingeschlafene Diskussion über öffentliche Toiletten wacht wieder auf: Gehören sie zu einer attraktiven Stadt?
CDU: „Öffentliche Toiletten gehören zu einer attraktiven Innenstadt“
Zumindest für die Innenstadt würde Hansgeorg Schiemer, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Bezirksvertretung 1, das so unterschreiben: „Wir haben vor langer Zeit ein Standortkonzept für öffentliche Toiletten gefordert. Sie gehören in die ganzheitliche Betrachtung einer attraktiven Innenstadt.“ Dazu zählte ebenso die Idee, eine solche in den Bahnbögen unter dem Radschnellweg unterzubringen.
Doch vor Jahren ist die Debatte politisch eingenickt. Ein Grund: Öffentliche Toilettenanlagen sind eine freiwillige Aufgabe der Kommunen, es gibt keine gesetzliche oder sonstige Verpflichtung zum Bau und Betrieb von Toilettenanlagen, betont Baudezernent Peter Vermeulen. Mit rund 100.000 Euro sollen die drei Anlagen der Stadt – von denen eben nur eine am Hauptbahnhof derzeit in Betrieb ist – zu Buche schlagen. Mangels Betreiber und mangels Fördermittel fiel auch die Toilette am RS1 (Bahnbögen) unter den Tisch.
Stadt: „Das Schamgefühl von Wildpinklern ist gesunken“
Ein weiterer Grund: Für den Bau- und Umweltdezernenten ist fragwürdig, ob das Wildpinkeln wirklich zugenommen hat oder durch ein Angebot von öffentlichen Toiletten unterbunden werden könnte. Zahlen dazu gibt es nicht und – nach Erkenntnis der Stadt – auch keine zunehmenden Beschwerden. „Ich habe den Eindruck, dass es vielleicht nicht mehr sind, aber dafür das Schamgefühl, das Geschäft in der Öffentlichkeit zu verrichten, gesunken ist. Diese Menschen würden solche Toiletten auch nicht nutzen.“
Das sieht Margarete Wietelmann, Fraktionsvorsitzende der SPD-Opposition, nicht nur ,naturgemäß’ anders: „Wir haben einige Hinweise von Bürgern, dass sich die Situation etwa in der Müga verschärft hat, seit das Restaurant Ronja nicht öffnen darf und nur noch Essen ,to go’ anbieten kann. Die menschlichen Bedürfnisse sind ja da – wir müssen deshalb einen Weg finden. Zumal sich ja die Pandemie offenbar weiter zuspitzt und damit auch das Problem der Notdurft.“
Ronja-Chef Sinan Bozkurt bestätigt die Problematik in der Müga: „Wir können unter Corona-Bedingungen nicht das notwendige Personal bereitstellen, um die Hygiene zu gewährleisten.“ Im Notfall öffnet das Ronja zwar die Toilette, aber kann sie nicht dauerhaft offen halten. So sei es auch mit der Stadt und in der Bezirksvertretung kommuniziert worden. Doch das Problem der öffentlichen Toilette stelle sich auch ohne Corona, so Bozkurt, denn der Andrang sei groß: „Wir haben viele Müga-Besucher aus den Nachbarstädten. Sie ist eine Visitenkarte der Stadt, deshalb wäre eine weitere öffentliche Toilette wünschenswert.“
SPD: „Wir brauchen praktische Lösungen und keine ideologische Debatte“
Wo sind öffentliche Toiletten in der Stadt
Neben Toiletten auf Friedhöfen und an einigen anderen öffentlichen Einrichtungen im Stadtgebiet gibt es im Bereich Innenstadt zwei öffentliche Toiletten, die von der Stadt Mülheim betrieben werden. Am Bahnhof (Betrieb durch die Hectas GmbH) und auf der Schleuseninsel (Betrieb PIA e.V.). Weitere öffentlich zugängliche Toilette Toiletten gibt es im Medienhaus sowie in den Rathäusern, die aber aufgrund der Corona-bedingten Einschränkungen während der Öffnungszeiten eingeschränkt zugänglich sind. Darüber hinaus gibt es im Forum eine private Toilette, die öffentlich zugänglich ist. Die von der Leineweberstraße entfernte Toilette ist eingelagert. Es wird geprüft, ob sie in der MüGa aufgestellt werden kann, um dort eine dringend notwendige Toilette anbieten zu können.
Was allerdings zu tun ist, darüber scheiden sich noch die Geister - eine Frage offenbar des Menschenbilds und beruflich bedingter Erfahrung: „Wir beobachten seit Jahren eine soziale Verwahrlosung. Aus meiner Sicht brauchen wir deshalb eine stärkere Identifikation der Menschen mit ihrer Stadt, um dem entgegenzuwirken“, glaubt Baudezernent Peter Vermeulen.
Wietelmann hält dagegen: „Wir sollten die Ideologie hier außen vor lassen und die Sache praktisch behandeln.“ Die SPD hat noch kein Konzept, aber grundsätzlich plädiert die Fraktionsvorsitzende dafür, „mit denjenigen Leuten über Lösungen zu reden, die möglicherweise Toiletten zur Verfügung stellen können“.
Hansgeorg Schiemer (CDU) sieht das ähnlich, will allerdings „erst feststellen, wie groß der Handlungsdruck an welchen Stellen ist, denn wir haben keine verlässlichen Daten. Dann sollten wir ein Standortkonzept erstellen und am Ende mit möglichen privaten Partnern sprechen, damit es am Ende nicht zu hohen Kosten für die Stadt kommt.“