Gelsenkirchen. Geschafft! Große Spenden aus Gelsenkirchen sind in der Ukraine angekommen. Jürgen Hansen riskierte dafür nicht weniger als sein Leben.

Im Krieg findet man die positiven Nachrichten im Kleinen: Nicht nur ist der große Hilfskonvoi der Stadt unbeschadet heimgekehrt und hat mehrere ukrainische Familien mitgebracht. Auch Jürgen Hansen, der die Hilfsgüter an der rumänisch-ukrainischen Grenze entgegengenommen hat, ist mit den Spenden, unter anderem Medikamente im Wert von 100.000 Euro, gesund und munter im zentralukrainischen Krementschuk angekommen. Dort, wo er derzeit humanitäre Hilfe leistet. Allerdings hat der 64-jährige Sozialdemokrat eine Odyssee, die gefährlichste Reise seines Lebens, hinter sich.

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Montagfrüh ist Hansen gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, einer Dolmetscherin und mehreren ukrainischen Familien mit einem Mercedes und Kleinbus aufgebrochen. Eigentlich sollte auch noch ein weiterer Kleinbus mit. „Aber in der Nacht wurden seine Reifen zerstochen und die Batterie gestohlen“, erzählt Hansen. „Hier treiben sich von den Russen bezahlte Diversionsgruppen herum und stiften Chaos.“

Wie Gelsenkirchener Jürgen Hansen es schaffte, an einem Mega-Stau vorbeizukommen

Aber damit nicht genug: Mitstarten sollte eigentlich auch ein Lkw, mit dem die Hilfsgüter aus Gelsenkirchen nach Krementschuk gebracht werden sollten. Nur wurde der Lkw-Fahrer vom ukrainischen Militär abgefangen, das ihm den Befehl gab, Mehl nach Kiew zu bringen. „Er sagte uns dann: Wenn er das Mehl ausgeliefert hat, kommt er sofort nach.“ Also brach das Team auf – und geriet nach etwa 300 Kilometern in einen „unvorstellbar langen Stau.“

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„Wenn wir dort gewartet hätten, wären wir vielleicht heute noch nicht an der Grenze angekommen“, sagt Hansen. Doch dann, so schildert es der Gelsenkirchener, fuhr ein Bus mit Begleitschutz und Blaulicht an der Schlange vorbei. „Ich dachte mir: Jetzt oder nie!“ Also schaltete Hansen den Warnblinker an und hing sich an den Bus. „Natürlich gab es Tumult, die Leute waren aufgebracht, haben Steine geschmissen.“ Aber es funktionierte. „Man hat uns 50 oder 60 Kilometer durchgeschleift.“

„Und plötzlich waren drei Kalaschnikows auf mich gerichtet“

Als es längst dunkel geworden war, entschied sich die Truppe, noch 160 Kilometer vom Ziel entfernt, in der 90.000-Einwohner-Stadt Kamjanez-Podilskyj zu übernachten. Und hier geriet Hansen in die wohl gefährlichste Situation seines Lebens.

Denn als er sich von seiner Mannschaft trennte, um einen Schlafplatz zu finden, und die anderen schließlich mit seiner kilometerweit strahlenden Taschenlampe zu sich locken wollte, „da kamen plötzlich drei Militärpolizisten auf mich zugerast, umzingelten mich und schrien mich an. Jeder von ihnen richtete seine Kalaschnikow auf mich.“ Und als Hansen seinen Reisepass aus seiner Jacke ziehen wollte, „da haben dann alle drei durchgeladen.“

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Glücklicherweise schaffte es Hansens Freundin, die Situation zu entschärfen „Aber ich kann den Dreien keinen Vorwurf machen. Sie haben richtig gehandelt, auf eine mögliche Gefahr reagiert.“

Übernachten konnte das Team schließlich in einem Kindergarten, auf Kleinkindermatratzen. „Die Decken reichten nur über unsere Beine, aber wir waren so fertig, dass wir schnell eingeschlafen sind.“

Menschliche Tragödien an der ukrainisch-rumänischen Grenze

War zuletzt vor 30 Jahren am Steuer eines 18-Tonners, aber musste für seine Ukraine-Mission ans Lenkrad: Gelsenkirchener Jürgen Hansen ist an seine Grenzen gegangen.
War zuletzt vor 30 Jahren am Steuer eines 18-Tonners, aber musste für seine Ukraine-Mission ans Lenkrad: Gelsenkirchener Jürgen Hansen ist an seine Grenzen gegangen. © Privat | Jürgen Hansen

Am nächsten Tag dann erreichte die Truppe tatsächlich die Grenze. Doch der Lkw war noch immer Hunderte Kilometer entfernt. Und bis der Gelsenkirchener Konvoi seine Waren an Hansen übergeben konnte, sollte es ebenfalls noch viele Stunden dauern – Stunden, in denen Hansen mit „bürokratischem Irrsinn und Amtsschimmel“, aber auch mit vielen „menschlichen Tragödien“ konfrontiert wurde. „Männer wurden mit Gewalt von ihren Familien getrennt, weil sie nicht mitdurften, Söhne, die gerade mal 18 Jahre geworden sind, mussten hinter der Grenze bleiben.“ Selbst ein gelähmter junger Mann habe die Grenze nicht passieren dürfen. „Da sagte man: Die Lähmung muss erst ein Militärarzt bestätigen. Dabei hat die ein Blinder mit dem Krückstock gesehen!“

Auch bei der Hilfstruppe aus Gelsenkirchen auf rumänischer Seite sei man irgendwann sehr unruhig geworden, als der Lkw nach stundenlanger Warterei immer noch nicht eintraf. „Da liegen die Nerven auch mal blank, da kriegt man sich natürlich auch mal in die Haare“, sagt Hansen.

„Geh doch mal zum Hansen, der findet immer einen Weg“

Doch irgendwann traf der Fahrer dann tatsächlich ein – nachdem er unter Beschuss geraten war, sich durch zerbombte Gebiete schlug. Nur die Grenze passieren durfte er dann als Ukrainer nicht. Also musste sich Hansen – der zuletzt vor 30 Jahren am Steuer eines 18-Tonners saß – in den Transporter setzen.

„Ich habe geschwitzt wie ein Schwein in dem Wagen und Angst gehabt, Leute zu überfahren.“ Aber irgendwie gelang es ihm, den Transporter über die Grenze zu manövrieren. Die Übergabe der Spenden aus Gelsenkirchen konnte endlich stattfinden.

Die Spenden aus Gelsenkirchen sind nun in einer Turnhalle in Krementschuk in der Zentral-Ukraine angekommen.
Die Spenden aus Gelsenkirchen sind nun in einer Turnhalle in Krementschuk in der Zentral-Ukraine angekommen. © Privat | Jürgen Hansen

Jetzt lagern all die Waren in einer Turnhalle in Krementschuk. „Die Leute sind an die Decke gesprungen, als ich zurückgekommen bin“, erzählt Hansen, der auf seinem Rückweg keine brenzligen Situationen mehr erleben musste. Ob er nicht mal kurz gedacht hat, dem Kriegsgebiet den Rücken zu kehren, wo er doch schon die Füße auf EU-Grund gesetzt hatte? „Nein“, sagt er, „die Leute, die ich hier kennengelernt habe, haben ein blindes Vertrauen in mich. Da heißt es: Geh doch mal zum Hansen, der findet immer einen Weg.“

Zahl der Ukraine-Flüchtlinge

Ursprünglich rechnete die Stadt mit 32 Menschen aus der Ukraine, die per Hilfskonvoi ins Kloster St. Mariä Himmelfahrt gebracht werden sollten. Bis nach Gelsenkirchen wurden nun aber nur neun Flüchtlinge gebracht, viele sind in anderen Zwischenstationen in Deutschland ausgestiegen. Neben dem Konvoi der Stadt ist auch jener der Firma Medishop heimgekehrt – nach Angaben der Stadt mit 34 Menschen, darunter acht Kindern. Sie sind nun erst einmal im Hotel Zum Schwan untergebrachtInsgesamt haben seit Kriegsausbruch 73 Vertriebene aus der Ukraine ihren Weg nach Gelsenkirchen gefunden.