Mülheim. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine ist die Bestürzung auch in Mülheim groß. Was OB Marc Buchholz einem ukrainischen Amtskollegen schrieb.
Die großen Mülheimer Kirchen und Oberbürgermeister Marc Buchholz haben am Donnerstag ihre Bestürzung zum Einmarsch russischer Kriegstruppen in die Ukraine zum Ausdruck gebracht. Auch SPD-Parteichef Rodion Bakum äußerte sich. Er hat ukrainisch-russische Wurzeln.
OB Buchholz veröffentlichte einen Brief, mit dem er dem Bürgermeister der ukrainischen Stadt Charkiw, Ihor Terechov, die Solidarität der Stadt Mülheim mit den Menschen in der mit 1,5 Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt der Ukraine ausdrückt. Gemeinsam mit der Stadt Charkiw ist Mülheim Europapreisträgerstadt. In diesem Zusammenhang hatte es auch schon einen Besuch der Mülheimer Städtepartnerschaftsabteilung in Charkiw gegeben.
Mülheims OB Buchholz: Schwer zu begreifen in einer zivilisierten Welt
„Ich schließe mich den Worten unseres Bundeskanzlers, Olaf Scholz, an, der diesen Tag ,einen furchtbaren Tag für die Ukraine und einen dunklen Tag für Europa’ nennt, so OB Buchholz in seinem Schreiben an Bürgermeister Terechov. Es sei schwer zu begreifen, wie es in einer zivilisierten Welt zu solchen kriegerischen Aggressionen gegen die Ukraine kommen könne.
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„Wir sind in Gedanken bei den Menschen in Charkiw, unseren Freundinnen und Freunden, die wir im Rahmen der Aktivitäten der Europapreisträgerstädte kennenlernen durften. Wir hoffen mit Ihnen und vielen Menschen weltweit darauf, dass trotz der Gewalttaten, von denen uns die Medien aktuell berichten, möglichst bald einen Weg für eine friedliche und diplomatische Lösung für heute und die Zukunft gefunden werden kann“, so Buchholz weiter in dem Brief, den er mit den Worten beendet: „Sie sind nicht allein!“
SPD-Parteichef mit ukrainisch-russischen Wurzeln: Bis zuletzt Einmarsch nicht für möglich gehalten
Tief betroffen zeigte sich am Donnerstag auch SPD-Parteichef Rodion Bakum. „Der schlimmste aller Alpträume ist wahrgeworden“, sagte er. Bakum ist 1990 in Kiew geboren, sein Großvater hat bis vor wenigen Jahren in Lugansk, im heutigen Separatistengebiet, gelebt. Seine Großmutter ist Russin, kam aus Wladiwostok. „Viele Menschen in der Ukraine und in Russland haben eine ähnliche Biografie wie ich“, drückt Bakum sein Unverständnis für die aktuellen Entwicklungen aus, dass sich nun zwei Staaten bekriegen, die so vieles verbinde.
Für Bakum, auch für seine Bekannten aus der Jüdischen Gemeinde mit ukrainischen und russischen Wurzeln war es bis zuletzt unvorstellbar, dass es tatsächlich zum Einmarsch der Russen in die Ukraine kommen würde. Er sieht die beiden Staaten als Brüdervölker, trotz der Spannungen in der jüngeren Vergangenheit, die nicht nur von den russischstämmigen Separatisten, sondern auch von Nationalisten in der Ukraine provoziert worden seien.
Bakum hofft, dass Sanktionen und Diplomatie noch Frieden möglich machen
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„Niemand hat es sich vorstellen können, wir sind alle ein Stück weit naiv gewesen zu glauben, dass Putin diesen Schritt nicht geht.“ Bakum hatte die Wahl des ukrainischen Präsidenten Wladimir Alexandrowitsch Selenski gefreut, in dem Schauspieler einen Brückenbauer gesehen. Selenski, ein jüdischer Ukrainer, der Russisch spricht, der auch jetzt noch gesprächsbereit sei, bei Russland um Frieden bitte: Bakum hatte gehofft, dass es Selenski gelingt, „die Spannungen aufzulösen. Leider hat die russische Seite die Chance nicht aufgegriffen“, um eine Co-Existenz der Staaten, eine Partnerschaft für die Zukunft zu schmieden. „Im schlimmsten Fall könnte Selenski der letzte ukrainische Präsident sein“, sagt Bakum mit Verbitterung.
Bekannte und Verwandte hat Bakum in der Ukraine nicht mehr, seit sein Großvater vor einigen Jahren Lugansk auch Richtung Deutschland verlassen hat. Aber natürlich ist er in diesen Tagen doch mit vollem Herzen bei seinem Geburtsland und den Menschen dort. Putin sieht er „ein Vakuum in der Weltpolitik“ ausnutzen, hofft aber, dass es dem Westen gelingt, mit harten Sanktionen, aber weiter auch mit Diplomatie Lösungen fernab von Krieg möglich zu machen.
Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde hatte kurz Kontakt zu Verwandten in der Ukraine
„Fuck!“ das sei sein erster Ausdruck gewesen, als er vom Einmarsch der russischen Armee erfahren habe, sagt Alexander Drehmann, in Mülheim wohnender Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen. Die Mitglieder der Gemeinde stammen zu 90 Prozent aus Russland und der Ukraine. Drehmann, gebürtiger Ukrainer, hat selbst bis zu seinem 15 Lebensjahr in der Ukraine gelebt, bevor er 1994 mit seiner Familie zunächst nach Bayern ausgewandert ist und sich später beruflich nach NRW orientiert hat. Es sei „ein surreales Gefühl“: Krieg in Europa, mitten im 21. Jahrhundert.
Drehmanns Stimme stolpert am Donnerstag, als er von seiner „Fassungslosigkeit“, von „Machtlosigkeit“ spricht ob der Geschehnisse in seiner alten Heimat. Charkiw, Odessa, Kiew: Drehmann hat noch Cousinen und Cousins, Onkel und Tanten in der Ukraine wohnen. Am Donnerstag blieb vorerst nur ein kurzer Austausch via Whatsapp. „Sie würden am liebsten fliehen, wissen aber nicht, wohin, weil die Straßen zu sind“, sagt Drehmann.
Drehmann kritisiert deutsche Bundesregierung scharf: ein „Kindertheater“
Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde sieht eine große Flüchtlingsbewegung auf Europa zukommen. Er kritisiert die deutsche Bundesregierung für ihre Linie, keine Waffen in die Ukraine liefern zu wollen, scharf. Er sei auch „massivst enttäuscht“, dass Deutschland erst am Tag zuvor die Gaspipeline North-Stream II aufs Eis gelegt hatte, erinnert Drehmann an die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland schon vor acht Jahren.
Bis jetzt biete Deutschland im Szenario eines großen Krieges mitten in Europa ein „Kindertheater“, statt auch über Waffenlieferungen an die Ukraine „den Preis für Putin in die Höhe zu treiben“.
Bischof Overbeck: Schicksal der Menschen in der Ukraine darf uns nicht unberührt lassen
Tief besorgt hat auch Bischof Franz-Josef Overbeck auf den russischen Angriff auf die Ukraine reagiert. „Der Angriff auf die Ukraine ist aufs Schärfste zu verurteilen. Meine Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine, die gerade schreckliche Ängste ausstehen und oft um ihr Leben fürchten müssen. Ihr Schicksal darf uns nicht unberührt lassen“, erklärte der Ruhrbischof am Mittwochvormittag in Essen. „Beten wir gemeinsam für Sie und für alle, die in diesen Stunden alles Menschenmögliche versuchen, um eine weitere Eskalation zu verhindern.“
Der Evangelische Kirchenkreis An der Ruhr lädt angesichts der Entwicklungen ein, bei Friedensgebeten und in offenen Kirchen gemeinsam innezuhalten. Erste Friedensgebete gab es am Donnerstag in der Petrikirche und in der Kirche im Fliedner-Dorf. Weitere Gebete: Johanniskirche an der Aktienstraße 136 (18-19 Uhr), Saarner Dorfkirche (19 Uhr). Die Angebote sollen wöchentlich fortgesetzt und in den kommenden Wochen ergänzt werden.
Evangelischer Kirchenkreis lädt alle Bürger zu gemeinsamen Friedensgebeten ein
Kirchenkreis-Assessorin Dagmar Tietsch-Lipski lädt alle Mülheimerinnen und Mülheimer ein, in den Kirchen zusammenzukommen: „Angesichts des ausbrechenden Krieges hier in Europa fühlen wir uns ohnmächtig. Frieden ist uns von Gott versprochen und dennoch verzweifeln wir daran, ihn zu erreichen.“ Die Gemeinden öffneten die Kirchen, „um vor Ort in Mülheim Gemeinschaft zu finden und um uns gemeinseitig zu stärken.“ Ausdrücklich richte sich die Einladung an alle Menschen, ganz gleich, welcher Religion oder Konfession, ganz gleich, ob sie sich kirchlich gebunden fühlten oder nicht.