Gelsenkirchen. Die Corona-Pandemie beunruhigt viele Menschen. Die Telefonseelsorge-Stellen verzeichnen in Gelsenkirchen wieder eine erhöhte Nachfrage.

Es ist ein monatelanges Leben in der Pandemie. Tagaus, tagein – das zermürbt, kostet Kraft, bringt Einsamkeit, soziale Distanz. Vielen Menschen ergeht es mal gut, mal schlechter, seit Corona die Welt beherrscht. Doch es gibt Hilfe, nur einen Anruf oder eine Chat-Nachricht entfernt: durch die ehrenamtlichen Kräfte der Telefonseelsorge. Eine Umfrage bei den Telefonseelsorge-Stellen im Ruhrgebiet zeigt: Seit Beginn des zweiten Shutdowns spüren sie wieder eine erhöhte Nachfrage.

Anruf-Thema Nummer eins bei der Telefonseelsorge: Einsamkeit, gefolgt von Angst


„Seit November hat sich das Aufkommen um zwölf Prozent erhöht“, berichtet Elisabeth Hartmann, Leiterin der ökumenischen Telefonseelsorge Essen, bei der auch die Hilfesuchenden aus Gelsenkirchen landen. „Das Thema mit den meisten Nennungen ist klar: die Einsamkeit“, führt sie weiter fort. Daneben viele Themen, die eng mit Corona verbunden sind, da geht es um Angst vor einer Ansteckung, um Wut, Frustration, um die bange Frage:
Wie wird Weihnachten werden
?
„Für viele Menschen, die bereits seelische Probleme haben, ist die Pandemie ein totaler Problemverstärker“, weiß Elisabeth Hartmann auch.


Bei der Telefonseelsorge in Bochum, die ebenfalls über die einheitliche Telefonnummer
0800/1110111
oder
0800/1110222
zu erreichen ist, registrieren die Verantwortlichen aktuell 25 bis 30 Gespräche am Tag.
Um den ersten Lockdown herum,
es war zur Osterzeit, waren es um die 50 Gespräche. „In den Sommermonaten hat sich das Verhältnis der Anrufenden wieder normalisiert, ist die Corona-Pandemie ein Stück Normalität geworden“, erinnert sich Ludger Storch, Leiter der Bochumer Telefonseelsorge.

Viele Menschen wollen wieder mit ihren alten Gewohnheiten leben

Ludger Storch, Leiter der Bochumer Telefonseelsorge: „Die Anzahl der Gespräche hat zugenommen.“
Ludger Storch, Leiter der Bochumer Telefonseelsorge: „Die Anzahl der Gespräche hat zugenommen.“ © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler



Seit Oktober spüren aber auch die rund 80 Ehrenamtler, die die Bochumer Telefone, Chats und E-Mail-Postfächer betreuen, dass es wieder mehr wird: „Die Anzahl der Gespräche hat zugenommen“, so Storch. Und auch hier das bestimmende,
allumfassende, ja, lähmende Thema: Einsamkeit.

Und die Traurigkeit: „Viele berichten, wie schade sie es finden, dass Weihnachten dieses Jahr so anders sein wird.“ Doch es geht ja nicht nur um dieses eine Fest, das nur einen temporären Tiefpunkt bedeuten kann. Viele Menschen, die anrufen, möchten wieder in und mit ihren alten Gewohnheiten leben, ihren Lebensrhythmus zurück – so wie es vor Corona war.

Für junge Menschen ist es derzeit schwierig, vor allem für Studenten


Besonders aufreibend ist die Situation beispielsweise – so beschreiben es die beiden Telefonseelsorger gleichermaßen – für junge Menschen
und hier genauer: Studenten, vor allem die Erstsemester.
Die, die gerade in einen neuen Lebensabschnitt starten. Für die der erste Kontakt wichtig ist, für die überhaupt erstmal der Austausch an sich wichtig ist. Die jüngeren Menschen suchen übrigens vermehrt Rat und Hilfe via Chat und weniger per Telefon.

„Für die Gruppe der 14- bis 30-Jährigen ist es derzeit unglaublich schwierig“, weiß Elisabeth Hartmann. In den Gesprächen mit der Telefonseelsorge werde „die Sinnfrage oft gestellt“ – das gehe hin bis zu den Überlegungen, das Studium abzubrechen.

Bei den Gesprächen geht es vielfach auch um finanzielle Sorgen

„Es melden sich aber auch viele Kleinunternehmer, die Angst um ihre Existenzen haben“, ergänzt Elisabeth Hartmann. Gleiches beschreibt Ludger Storch: Bei den Gesprächen gehe es vielfach auch um finanzielle Sorgen, zudem darum, wie es weitergeht, weitergehen kann. Dennoch: Andere Themen seien durch die Pandemie nicht weggeblasen, sondern finden weiterhin statt. „Wir verzeichnen, dass sich mehr Menschen mit Ängsten melden“, erläutert Ludger Storch in diesem Zusammenhang.

Das kann auch Olaf Meier, Leiter der Telefonseelsorge in Duisburg bestätigen. Dort, in Duisburg, werden Gelsenkirchener Anrufer beraten, wenn die Leitungen der Essener Kollegen belegt sind. Olaf Meier sagt: „Es melden sich auch bei uns viele Menschen, die Sorge um ihre wirtschaftliche Zukunft und Existenz haben. Auch das Riesen-Thema Einsamkeit hatten wir immer schon.“ Er möchte aber auch Positives berichten: dass diese Pandemie die Selbstheilungskräfte der Menschen wecke, dass beispielsweise sozial ängstliche Menschen durchatmen können, weil sie weniger gesellschaftlichen Zwängen unterworfen sind.

Und dann melden sich auch die, die Elisabeth Hartmann als Querdenker bezeichnet. Die „ihrem Ärger Luft machen“ ob der aktuellen Lage. Da gehe es auch darum: „Die Person da sein zu lassen, ihr zuzuhören“ – auch wenn man selber nicht mit der Meinungen am anderen Ende der Leitung übereinstimme.

Kern aller Anliegen: Die Suche nach Trost

Der Kern aller Anliegen ist oft die Suche nach Trost. Und die Aufgabe der Telefonseelsorge: „aushalten, den Raum geben, dass sich jemand ausdrücken kann“, so Elisabeth Hartmann. Ludger Storch beschreibt es so: „aktiv zuhören“ – und eine Unterstützung sein, die „gut tut und weiterhilft“. Besonders in diesen Zeiten.