Mülheim. Während der Corona-Krise klingelten die Apparate der Mülheimer Telefonseelsorge heiß. Vor allem das Alleinsein macht vielen zu schaffen.

Die Corona-Krise hat den Menschen große Angst gemacht. Olaf Meier und seinem Team der Telefonseelsorge für Duisburg, Mülheim und Oberhausen, haben das verstärkt gespürt: Die Telefone klingelten heiß, das Mail-Postfach ist bis heute gut gefüllt mit Anfragen Ratsuchender. Dabei beschäftigt die Menschen nicht nur die Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus, sondern vor allem das Alleinsein.

Ängste, Einsamkeit, Gewalterfahrung und Suizidgedanken sind die Auslöser, die die Menschen zum Telefon greifen lassen. „Im Februar hatten wir 1350 Gespräche mit einer durchschnittlichen Dauer von 30 Minuten“, berichtet Olaf Meier, Leiter der Telefonseelsorge. „Im März, als der Lockdown verkündet wurde, waren es dann schon 1650 Gespräche, also 22 Prozent mehr.“

Telefonseelsorge: Einsamkeit ist immer ein großes Thema

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Anrufer vor allem Angst, sich zu infizieren. „Wir haben uns eine Liste des Robert-Koch-Instituts neben die Telefone gelegt, um den Menschen Ratschläge an die Hand geben zu können.“ Er weiß: „Corona ist natürlich ein willkommenes Fressen für Angst. Menschen, die ohnehin ängstlich sind, haben plötzlich einen Grund.“

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Erst später kamen dann langfristige Themen auf. „Keinen Kontakt zu den Enkeln oder den alten Eltern im Seniorenheim, also Themen, die mit massiver Einschränkung der Nähe zu tun haben“, so Meier. Ohnehin sind etwa 60 Prozent Alleinlebende, die bei der Telefonseelsorge anrufen. Einsamkeit ist ein großes Thema.

Zu Beginn der Coronakrise schnellten die Anrufzahlen in die Höhe, Mitte April zu Ostern erreichten sie einen Spitzenwert“, sagt Meier. Über körperliche und seelische Gewalt klagten die Anrufer im Mai und Juni stärker, vor allem Frauen. „Vielleicht“, analysiert Meier, „ist das ein Indiz für die Auswirkungen des länger anhaltenden Lockdowns“.

Jüngere Menschen suchen den Kontakt per Mail oder Chat

120 Ehrenamtliche im Einsatz

Bei der Telefonseelsorge Duisburg-Mülheim-Oberhausen sind 120 ausgebildete Ehrenamtliche im Einsatz, drei haupt- und acht nebenamtliche Kräfte begleiten sie fachlich. Obwohl sich Ehrenamtliche aus Risikogruppen vom Telefondienst fernhalten mussten, konnten in den ersten Krisenwochen mehr Telefonleitungen eingerichtet werden, „weil andere Ehrenamtliche solidarisch sehr viel mehr Dienste als üblich geleistet haben“, so Olaf Meier.

Die Telefonseelsorge ist täglich 24 Stunden lang telefonisch besetzt: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 (gebührenfrei). Über die Homepage (www.telefonseelsorge-duisburg.de) ist auch die Chat- und Mail-Beratung erreichbar.

Speziell für Kinder und Jugendliche gibt es zudem ein Hilfetelefon bei sexualisierter Gewalt, das die Mülheimer Awo anbietet, erreichbar unter der kostenlosen Rufnummer 0800/666 777 6.

Eine ähnliche Entwicklung zeige sich auch in den Kontakten mit der Telefonseelsorge über Mail, Chat und Vor-Ort-Gespräche. Während eher Menschen ab 50 zum Telefonhörer greifen und das Gespräch suchen, nutzen jüngere Menschen eher Chats oder Mails. „Die Anfragen, die wir per Mail bekommen, gehen meist tiefer“, weiß Meier. Schließlich sei dieser Weg niederschwelliger. „Da geht es häufig um sexualisierte Gewalt oder Essstörungen, übrigens zunehmend bei jungen Männern.“

In der Corona-Krise bekamen die Ehrenamtlichen aber auch häufiger Anfragen per Mail von Reisenden, die im Ausland gestrandet waren. Oder umgekehrt von besorgten Menschen, die erkrankte Angehörige in einem anderen Land hatten und nicht zu ihnen reisen durften. „Das war völlig neu für uns.“

Krisen-App gibt Hilfestellungen an die Hand

Ans Herz legen möchte Olaf Meier allen Menschen, die Hilfe suchen, die App „Krisen-Kompass“ der Deutschen Telefonseelsorge. Diese wurde Mitte März herausgebracht und bis jetzt bereits in fünfstelliger Höhe heruntergeladen. „Die App dient als Informationsplattform für Menschen in schwierigen Lebenssituationen“, so Meier.

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Die App wendet sich an mehrere Zielgruppen: Menschen in suizidalen Krisen finden Notfallnummern, Anlaufstellen, Beratungsdienste und Online-Hilfen und können sie durch Kontaktdaten zu Freunden ergänzen. Zudem finden Angehörige von suizidalen Menschen Hilfestellungen sowie Möglichkeiten der Selbststärkung. Auch Hinterbliebene nach Suizid werden angesprochen, um sie in ihrem Abschied und ihrer Trauer zu begleiten. Die App kann kostenfrei heruntergeladen werden: www.krisen-kompass.app/