Mülheim. Die Filmkünstlerin Dore O. ist tot. Die 75-jährige Mülheimerin war eine herausragende Pionierin des Experimentalfilms. Ein Blick auf ihr Leben.
Erst kürzlich wurde Dore O. der Ehrenpreis der Deutschen Filmkritik für ihr filmisches Gesamtwerk zugesprochen. Nun ist die renommierte Filmemacherin, Malerin und Fotografin aus Mülheim tot. Sie wurde 75 Jahre alt und hinterlässt viele beeindruckende und bahnbrechende Filme und Kunstwerke.
Dore O. ist ein Künstlername, Dorothea Alwine Oberloskamp (später Nekes) wurde am 9. August 1946 in Mülheim geboren. Sie absolvierte ein Designstudium in Krefeld sowie ein Studium der Malerei in Perugia und Hamburg. Ab 1967 trat sie als Darstellerin in Filmen des Filmemachers Werner Nekes auf, der kurz darauf auch ihr Ehemann wurde. Sie gründete 1968 die Hamburger Filmemacher Cooperative mit und begann im selben Jahr auch eigene Filme, Fotos, Bilder und Bücher zu produzieren.
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Aus einer Laudatio auf die Mülheimerin: Sie brach mit Konventionen filmischen Erzählens
Dore O. sei „eine avantgardistische Filmkünstlerin, die als Pionierin einer modernen Experimentalfilmkunst Filmgeschichte geschrieben habe“, heißt es in der Laudatio der Deutschen Filmkritik zum Ehrenpreis. „Ihre Filme stehen für einen fundamentalen Bruch mit den Konventionen filmischen Erzählens und beeindrucken durch eine radikal-subjektive Ausdrucksweise und enigmatische Poesie.“ Man könne Dore O. als „einzigartige Figur auf der Bühne des Avantgarde-Films“ bezeichnen.
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Tatsächlich wollte sie als junge Frau dem kommerziellen Film etwas entgegensetzen, das „andere Kino“ fördern. In zahlreichen Filmen erzählt sie poetisch-malerische Geschichten, fantasievoll und assoziativ und meist sehr persönlich. Oft agierte sie dabei nicht nur als Regisseurin und Darstellerin, sondern auch als Drehbuchautorin, Bühnen- und Maskenbildnerin, Cutterin und Tontechnikerin, Musikerin, Kamerafrau und Produzentin. Einige ihrer Filmtitel: Jüm Jüm, Lawale, Beuys, Enzyklop, Candida, Endo-Heat.
Broicherin war 1972 bei der Documenta 5 dabei und wurde 1974 Ruhrpreisträgerin
Die Filme von Dore O. wurden auf nationalen und internationalen Festivals gezeigt. Sie war auf der Documenta 5 in Kassel (1972) vertreten, als der Film dort Einzug fand, und auch auf der Documenta 6. Schon 1974 war die freundliche, zurückhaltende und bescheidene Broicherin Ruhrpreisträgerin der Stadt Mülheim geworden. Im selben Jahr erhielt sie auch den Preis der Deutschen Filmkritik für ihren Film „Kaskara“ – als erste Frau überhaupt. Weitere Preise und Ausstellungen im In- und Ausland folgten. 2016 gab es die erste Dore O.-Retrospektive in New York.
2019 wurde ihr Erstlingswerk „Alaska“ (1968) noch einmal auf der „Berlinale“ gezeigt. Die Deutsche Kinemathek fertigte digitale Kopien von ihren 16mm-Filmen an, um sie für künftige Kinovorführungen nutzbar zu machen.
Dore O. war in der Mülheimer Künstlerszene gut verankert
Seit 2000 widmete sie sich mehr der bildenden Kunst, zeichnete, malte, schuf Objekte. In der Mülheimer Künstlerszene war Dore O. gut verankert, so nahm sie an den Jahresausstellungen der Mülheimer Künstler teil, gründete 1995 die Künstlergruppe AnDer mit, erhielt etwa auch den Hermann-Lieckfeld-Preis. Sie wird nicht nur ihrer Familie, sondern auch vielen Kollegen und Film- und Kunstfreunden fehlen.
Mülheimer Künstlerszene trauert um Dore O.
Mit Trauer reagiert die Mülheimer Kulturszene auf den Tod von Dore O.:
Ihr Künstlerkollege und Freund Heiner Schmitz sagt: „Wir sind sehr sehr traurig. Dore O. war Gründungsmitglied unserer Künstlergruppe AnDer und eine wichtige Figur in der Mülheimer Künstlerszene. Gerade wird in Berlin ein Buch über sie geschrieben, erst kürzlich erhielt sie einen wichtigen Filmpreis. Als Filmkünstlerin war sie international bekannt, sehr kreativ, hat wichtige Impulse gegeben – auch in den Filmen, die sie zusammen mit Werner Neekes gemacht hat. Sie hat einige Auszeichnungen bekommen. Dore O. war dabei ein zurückhaltender Mensch, der sich nie in den Vordergrund drängte.“
Filmemacher Rainer Komers erinnert sich gerne an die Zusammenarbeit mit Dore O., die er schon 1966 kennenlernte: „In den letzten zehn Jahren hat Dores frühes Filmwerk endlich wieder national wie international die verdiente Beachtung und Wertschätzung bekommen, so mit der Retrospektive „Eye-Step: The Infernal Tangos of Dore O.“ im Spectacle Theatre in Brooklyn, New York, und jüngst mit dem Ehrenpreis der deutschen Filmkritik für ihr Lebenswerk. „Eye-Step“ ist auch der Titel ihres letzten Films, für den ich 1999 Aufnahmen in Delhi und Varanasi gemacht habe – geleitet von Dores poetischer Bildsprache, die mich auch bei der eigenen Filmarbeit inspiriert.
Museum blickt anerkennend auf das Leben der Künstlerin zurück
Das Museumsteam um Leiterin Dr. Beate Reese schreibt in einem eigenen Nachruf: „Wir sind tief erschüttert. Mit Dore O. verlieren die Filmwelt, die Kunstszene und die Stadt Mülheim eine ihrer größten Persönlichkeiten. Das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr hat ihr Schaffen stets mit Ausstellungen begleitet und mehrere ihrer fotografischen Werke in seinem Sammlungsbestand; darunter Schattenporträts in Form von überarbeiteten Polaroids von Werner Nekes, Helge Schneider und Evelyn Serwotke.
1996 richtete das Museum eine Einzelausstellung der Künstlerin aus. 2014 war sie in der Ausstellung „RuhrKunstSzene“, einem großangelegten Ausstellungsprojekt der RuhrKunstMuseen, mit einer installativen Filmprojektion im Kunstmuseum vertreten. In den Jahresausstellungen der Arbeitsgemeinschaft Mülheimer Künstlerinnen und Künstler war Dore O. regelmäßig präsent und lange Jahre aktives Mitglied der Künstlergruppe „AnDer“.“
Mülheim war eine Keimzelle des Experimentalfilms
Weiter heißt es: „Mehrfach ausgezeichnet hat die documenta-Teilnehmerin (1972 und 1977) und Ruhrpreisträgerin (1974) über Jahrzehnte ein komplexes, facettenreiches Werk aus Film, Fotografie, Objekten, Assemblagen und Installationen entwickelt. Licht und Belichtung waren für sie der Ausgangspunkt, um das Ephemere einer vermeintlichen Wirklichkeit zu erfassen.
Im Anschluss an ein Design-Studium an der Fachhochschule Krefeld und dem Studium der Malerei in Hamburg und Perugia, widmete sich Dore O. ab 1967 der Filmarbeit. Gemeinsam mit ihrem damaligen Mann, dem berühmten Filmregisseur Werner Nekes, gründete die gebürtige Mülheimerin die „Hamburger Filmmacher Cooperative“. Mit Werken wie „jüm-jüm“ (1967) und „Beuys“ (1981) schrieben sie Filmgeschichte und machten Mülheim zur Keimzelle des Experimental- und Avantgardefilms.
Filme waren weltweit auf Festivals zu sehen
Mit einer Synthese aus Film, Malerei, Lyrik und Musik sowie Montagen aus collagenartigen Sequenzen und Überblendungen entwickelte Dore O. auch in ihren Solo-Arbeiten eine eigene Bildsprache. Ihre Filme, u. a. „Alaska (1968), „Lawale“ (1969), „Kaldalon“ (1971), „Kaskara“ (1974), „Blindman’s Ball“ (1988), „Candida (1991) und „eye-step“ (2000) – teilweise mit autobiografischen Inhalten und in denen Dore O. selbst als Darstellerin auch vor der Kamera wirkte, wurden national und international auf zahlreichen Festivals und in Ausstellungen gezeigt.
Retrospektiven fanden weltweit in Museen und Kinematheken statt. Erst im Januar dieses Jahres wurde Dore O. mit dem Ehrenpreis der Deutschen Filmkritik für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Im Zuge der Erhaltung des Filmerbes werden ihre Filme aktuell von der Deutschen Kinemathek restauriert.