Gelsenkirchen. Die Diskussion um die Berliner Brücke nimmt Fahrt auf. Trennt das Bauwerk mehr als dass es verbindet? Braucht Gelsenkirchen die Brücke noch?

Manchmal ist eine Treppe unter einer Brücke alles was es braucht, um große Visionen eindrücklich erlebbar zu machen. Wenige Stufen nur brauchten die Künstler der „Insane Urban Cowboys & -girls“, die seit einigen Wochen dem Schalker Markt zusammen mit der gleichnamigen Stiftung neues Leben einzuhauchen versuchen, zu bauen, um allen Interessierten den Weg zu Bahnen, hinweg über eine Mauer und geradewegs hinauf auf die ungenutzte Unterführung unterhalb der Berliner Brücke, die nach Meinung einiger Schalker und der Künstler mehr trennt, denn verbindet.

Mit dieser vergleichsweise simplen Installation ist es den Kreativen gelungen, eine der zentralen Ideen der Stadtteilbewahrer und -Wandler in Schalke wieder hinein ins Zentrum einer neuerlichen Debatte zu rücken: Sollte die Brücke, die die Wiege des FC Schalke 04, eben jenen mythosumwobenen Schalker Markt, geradezu erdrückt, abgerissen werden?

Bezirksbürgermeisterin Martina Rudowitz jedenfalls gehört zu denen, die das Bauwerk, gerne abgerissen wissen würden, wie sie bei der Eröffnung der Projektwoche auf dem Schalker Markt erklärte: „Der Markt ist heute eigentlich kein Teil des öffentlichen Lebens mehr und im Grunde darf die Brücke auch nicht bleiben, wenn wir die Ideen für die Zukunft in Schalke mit den Menschen und den Betrieben hier entwickeln.“

Abriss der Berliner Brücke? Neue Debatte über alte Idee

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Dass auch die Stiftung Schalker Markt den Rückbau der Brücke begrüßen würde, ist kein Geheimnis. So steht es auch schon im „Intuitiven Leitbild Schalke“ der Stiftung. Und in einem kürzlich erschienen Artikel in der TAZ heißt es vielsagend: „Bodo Menze und Oliver Kruschinski (Anm. d. Red.: Stiftungsvorstände) glauben an ihre Mission. Die Lichtinstallation „Blaues Band“ wollen sie bis zur Innenstadt und bis zur Arena verlängern. Den von der Berliner Brücke erdrückten Schalker Markt werden im Sommer Künstlerkollektive bespielen – und lang genug gelöchert lässt Kruschinski Sympathien für die Idee erkennen, die monströse Bausünde zu beseitigen und die Brücke abzureißen.“

Ganz neu ist diese Idee nicht. Schon 2018 formulierte der damalige Fraktions-Vize der Grünen, Burkhard Wüllscheidt, wie schon zuvor die Stiftung Schalker Markt, seine Visionen für Schalke so: „Die Berliner Brücke ist abgerissen, die Kurt-Schumacher-Straße völlig neu belebt und aufgewertet mit einem urbanen Zukunftsflair.“ In den 60er-Jahren, erinnerte Wüllscheidt damals, habe man die Brücke gebaut, damit mehr Pkw freie Fahrt in beide Richtungen haben. Angesichts der enormen Belastungen müsse man heute umdenken. „Das ist durchaus ernst gemeint mit der Berliner Brücke“, betonte Wüllscheidt seinerzeit und räumte ein „natürlich wird es wahrscheinlich ein Problem mit den Gleisen geben, aber es ist ja die Aufgabe solcher Szenarien, Lösungen zu finden.“

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Berliner Brücke

Am 27. Juni 1963 wurde der Grundstein für das Bauwerk gelegt. 15.000 Kubikmeter Erdaushub, 10.000 Kubikmeter Stahlbeton, 550 Tonnen Betonstahl, 90 Tonnen Spannstahl und 1700 Tonnen Stahl und Farbe für 30.000 Quadratmeter Fläche wurden bis zur Fertigstellung bewegt.Über 50 Mitglieder des Rates und der Verwaltung, die obligatorische Consol-Bergmannskapelle und rund 3000 Zuschauer waren am 23. Mai 1965 dabei, als Willy Brandt als Kanzlerkandidat der SPD und Regierender Bürgermeister von Berlin die „Berliner Brücke“ taufte.

Heute klingt das bei den Gelsenkirchener Grünen etwas zurückhaltender: „In jedem Fall sendet die Brücke eher ein trennendes als ein verbindendes Signal zwischen Nord und Süd. Und sie ist eine Brücke fast nur für Autos. Wer zu Fuß, mit dem Kinderwagen, Rollstuhl oder mit dem Rad unterwegs ist, meidet die Brücke so gut es geht“, sagt Fraktionschefin Adrianna Gorczyk. Der Abriss sei daher eine Idee, die in Erwägung gezogen werden müsse. Die Entscheidung zur Brücke hänge aber von einem Gesamtkonzept ab. Und diese müssten erst vorgelegt und diskutiert werden, so Gorczyk.

„Und dann muss ein Preisschild dran“

Auch CDU-Chef Sascha Kurth zählt zu denen, die sich am Samstag vor Ort die Kunst rund um den Schalker Markt im Rahmen der „Transurban 2021“ aus der Nähe angesehen haben. „Spannende und ja auch nicht ganz neue Idee“, sagt der 38-Jährige mit Blick auf die Brückenabriss-Vorstellung.

Perspektivisch sei das eine Zielrichtung, die er sich grundsätzlich vorstellen könne, weil sie städtebaulich interessant sei. Allerdings müsse man auch „etwas Realismus in die Idee schütten“, denn ganz so einfach sei es das dann doch nicht, das Bauwerk abzureißen. „Bahnstrecke und auch die derzeitige Nutzung unter der Brücke müssen bedacht bzw. einer Lösung zugeführt werden, wenn der Verkehr inklusive Straßenbahn nach unten muss. Und dann muss ein Preisschild dran“, so Kurth.

FDP: „Wichtigere städtebauliche Prioritäten“

Das Kostenargument spielt auch für die FDP letzten Endes die entscheidende Rolle: „Auf eine enge und vertrauensvolle Nachbarschaft im Quartier sollten wir bauen“, sagt Hans-Joachim Roth, für die FDP Mitglied in der Bezirksvertretung Mitte. „Viele verstehen die Brücke nicht als verbindend, sondern eher trennend“, so Roth. „Wir sperren uns nicht gegen Vorschläge aus der Bürgerschaft, im Gegenteil: Wir unterstützen sie gerne“, ergänzt der verkehrspolitische Sprecher der FDP, Timo Stiehl. „Dass die Brücke in den Augen vieler Anwohner nicht ästhetisch in das Stadtbild passt, ist nachvollziehbar. Dennoch gestaltet sich ein Abriss nicht einfach.“

Die Insane Urban Cowboys und -girls machen zusammen mit der Stiftung Schalker Markt den Weg unter Berliner Brücke erlebbar.
Die Insane Urban Cowboys und -girls machen zusammen mit der Stiftung Schalker Markt den Weg unter Berliner Brücke erlebbar. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Stiehl gibt zu bedenken, dass unterhalb der Brücke Bahnschienen verlaufen, die man zwar durch ein Schrankensystem sichern könnte, doch damit wäre auf dieser wichtigen Nord-Süd-Achse das Verkehrschaos vorprogrammiert.

„Eine schlichte Absenkung der Kurt-Schumacher-Straße würde die Zweiteilung des Stadtteils nicht aufheben“, so Stiehl. „Hier müssen andere städtebaulichen Lösungen gefunden werden“. Die FDP sei zudem überzeugt, dass ein solches Vorhaben nicht kurzfristig geplant und umgesetzt werden kann. „Dazu brauchen wir Machbarkeitsstudien und jede Menge Geld. Da Letzteres nicht vorhanden ist, gibt es momentan wichtigere städtebauliche Prioritäten wie zum Beispiel, weitere Problemhäuser zu beseitigen“.

Stadt: Gute Gründe, die Brücke nicht abzureißen

Stadtsprecher Martin Schulmann erklärt auf WAZ-Nachfrage, dass es theoretisch möglich wäre, die Brücke abzureißen. Wenn die Politik dies beschließe, dann würde die Verwaltung eben bauen wie gewünscht und wie möglich.

Doch Schulmann betont auch, dass es gute Gründe gebe, die Brücke beizubehalten. „Nach wie vor fahren viele Güterzüge unter der Berliner Brücke. Würde man die Straße einebnen, müsste der Verkehr auf der Kurt-Schumacher-Straße auch oft vor heruntergelassenen Schranken warten. Das gilt dann auch für die 302. Darüber hinaus ist die Querung von Straßenbahn- und Zuggleisen nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern auch logistisch“, so der Stadtsprecher.

Zwar könnte man die Brücke wohl so bauen oder umbauen, dass nur noch die Straßenbahn hinüber fährt, räumt Schulmann ein, aber auch diese Lösung dürfte nicht unerhebliche Kosten verursachen. Ein Tunnel unterhalb der Güterzugstrecke komme jedenfalls nicht in Frage, begegnet Martin Schulmann schon prophylaktisch einer bisher nicht geäußerten Idee. „Das Grundwasser ist an dieser Stelle ohnehin schon sehr hoch. Bei Starkregenereignissen würde der Tunnel schnell volllaufen und das Wasser im selben Tempo abzupumpen, wäre kaum zu schaffen.“

Ähnlich argumentiert auch SPD-Fraktionschef Axel Barton: „Die Brücke hat aus verkehrstechnischen Gründen ihre Berechtigung. Immer wieder vor heruntergelassenen Schranken zu stehen, bremst den Verkehr und auch den Öffentlichen Nahverkehr zu sehr aus“, sagt Barton.

Schalker leiden unter Berliner Brücke

Dass die Zahl der Güterzüge, die dort noch täglich verkehren, den Status quo rechtfertigen würde, bezweifelt hingegen Olivier Kruschinski, der den Stadtteil auch von seinen Mythos-Touren sehr gut kennt.

Kruschinski betont, „es leben Menschen in Schalke, für die ist die Brücke die Hölle. Daher stellen wir ja auch den ersten pragmatischen und einfachen Lösungsansatz vor, nämlich die Unterführung fit zu machen für die Menschen, die sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad nutzen könnten.“ „Das“, so Barton, sei im Übrigen auch ein Ziel der SPD.

Thyssenkrupp Electrical Steel ist an neben der Berliner Brücke beheimatet und möchte gerne daran mitwirken, Fußgängern und Radfahrern den langen und gefährlicheren Weg über die Berliner Brücke zu ersparen.
Thyssenkrupp Electrical Steel ist an neben der Berliner Brücke beheimatet und möchte gerne daran mitwirken, Fußgängern und Radfahrern den langen und gefährlicheren Weg über die Berliner Brücke zu ersparen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Unterstützung erfährt die Stiftung Schalker Markt für ihre Idee auch vom größten dort ansässigem Unternehmen, wie eine Sprecherin auf WAZ-Nachfrage erklärt: „Wir als Unternehmen Thyssenkrupp Electrical Steel sind gerne Teil der Nachbarschaft in Schalke und stehen den Plänen der Stadt Gelsenkirchen, den Stadtteil zu entwickeln und aufzuwerten, positiv gegenüber. Aus unserer Sicht trennt die Brücke mehr als dass sie verbindet. Für die nicht autofahrenden Anwohner, insbesondere Kinder und Jugendliche, ist die Nutzung der Brücke ein unsicherer Verkehrsweg“.

Deshalb stünde das Unternehmen auch bereits im Austausch mit der Stadt und biete „gerne bei der Planung, insbesondere hinsichtlich der möglichen Änderung der Verkehrsführung“, seine Unterstützung an.

Wenn es darum gehen soll, alten Orten neues Leben einzuhauchen, wäre das sicher ein guter Anfang.