Oberhausen. Das Theater Oberhausen zeigt Jeremy Nedds Choreographie „The Sun Died“ im Gasometer. Der Vorverkauf boomt, doch die Produktion enttäuscht.

Die Vorwarnung aus der Dramaturgie war ja überdeutlich: „Es wird kein Spektakel“, betonte Miriam Ibrahim im Vorgespräch zur Inszenierung „The Sun Died“ im Gasometer, „sondern eine reflektierte Arbeit“. In der Tat: Jeremy Nedds seltsame Kreation war alles andere als spektakulär – und das muss man in dieser überaus spektakulären Riesentonne erst einmal hinkriegen. Aber leider wirkte dieses Trauerspiel auf Rollschuhen auch alles andere als reflektiert. Wenn Schwere der Gedanken dahinter steckt, dann war’s allenfalls Ballast für eine auf weiten Strecken unfertig wirkende, ja unbeholfene Produktion.

Sonne statt Erdkugel: Der warm schimmernde Auftakt von „The Sun Died“.
Sonne statt Erdkugel: Der warm schimmernde Auftakt von „The Sun Died“. © Theater Oberhausen | Isabel Machado Rios

Das hat beim Theater Oberhausen leider schon Tradition: Franziska Henschel hatte sich 2019 als Regisseurin und Co-Autorin mit dem Ensemble bemüht, Albert Camus’ „Mythos des Sisyphos“ in Bewegungstheater zu übersetzen – mit staunenswert peinlichem Ergebnis. Jeremy Nedd, der Baseler Choreograph aus Brooklyn, bemüht die Filmemacherin, Künstlerin und Essayistin Hito Steyerl – und lässt sein Ensemble aus sieben Frauen ebenfalls ins Leere laufen.

Dabei war die hochgestimmte Erwartung des Publikums wie mit Händen zu greifen, als es zunächst im Parterre des Gasometers noch durch die Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“ flanierte, um dann gespannt der Sonne entgegenzusteigen. Denn die sonst so aufwendig mit DLR-Daten bespielte „Erdkugel-Skulptur“, wie die Gasometer-Crew sie nennt, schimmert an den sieben Theaterabenden orangerot bis rosé. Darunter, während der ersten Minuten stoisch kreisend: die Schauspielerinnen in schwarzen Ponchos. Nur Isoken Iyahen mit ihren langen Rasta-Zöpfen darf sich aus der Gruppe lösen, engere und freiere Bahnen ziehen.

Bestürzend platte Minimal-Dialoge

Zu elektronischem Brummen erbleicht jäh die Sonne, wird in Sekunden zum mattgrauen, toten Stern. Die Kühle im gewaltigen Blechrund wird gleich spürbarer. Oder es fröstelt einen wegen der bestürzend platten Minimal-Dialoge: „Was ist da los?“ – „Weg!“ – „Nein, sie ist da.“

Lehrbuchmäßig, aber kein bisschen berührend, lässt Jeremy Nedd eine Deklination der Phasen menschlicher Trauer folgen: Der „Weg“-Chor wispert mit brechenden Stimmen, wechselt zu hallenden Schreien, macht sich Schuld- und Selbstvorwürfe. „Ich gebe der Sonne die Schuld“, deklamiert Agnes Lampkin. „Sie hat den Himmel nicht gefüllt.“

Bis auf Restkarten ausverkauft

Karten für die knapp 60-minütige Aufführung von „The Sun Died“ kosten 20 Euro, erhältlich unter 0208 - 8578 184 oder online über theater-oberhausen.de sowie an der Theaterkasse. Das Theater verzichtet im Gasometer bislang auf die Hälfte der möglichen Plätze. So können jeweils 160 Zuschauer die sieben Abende erleben.Die weiteren Termine am Donnerstag, 14., Freitag, 15., Samstag, 16., Freitag, 22. und Samstag, 23. Oktober, jeweils um 20 Uhr, sind bereits bis auf Restkarten ausverkauft. Das Theater führt Wartelisten. Es gilt das 3G-Konzept.Die Zuschauer sitzen auf den Stufen der flach ansteigenden Arena auf Neoprenpolstern, ohne Rückenlehnen. Je älter und/oder größer der Besucher, umso unbequemer bis strapaziöser wird die Stunde im Gasometer – ganz abgesehen von der Kälte.

Trauerarbeit: Agnes Lampkin in „The Sun Died“.
Trauerarbeit: Agnes Lampkin in „The Sun Died“. © Theater Oberhausen | Isabel Machado Rios

Aus Aufbäumen und Raserei wird eine beklommene Trauerprozession, zu der – wie zu einigen weiteren, wohl dramatisch gemeinten Momenten – vom Mischpult ein süßlicher Säuselchor einsetzt, wie man ihn seit uralten Bibelverfilmungen nicht mehr hören musste. Die Musik (wenn man denn die verdrucksten Akkordfolgen so nennen will) müssen Liebhaber des guten Tons ohnehin als Tiefpunkt dieser zähen Stunde empfinden. Irgendwann dräut die Elektronik so bemüht bibelschwer, als hätte Keith Emerson, der selige Klassik-Pomprocker, eine besonders schlechte Nacht gehabt.

Für den einen schönen Moment des Staunens sorgt nicht das Geschehen auf der Rollschuhbahn, sondern ein schwebendes Banner, darauf ein glänzender Sternenhimmel, das langsam und sacht flatternd aus der Höhe von hundert Metern die Stahlwand hinabgleitet. Einige Sekunden froher Farbigkeit in dieser teerhaften Schwärze.

Chorisch gesprochene Trostsuche

Wer allerdings Freude daran hat, an diesem besonderen Ort seine Gedanken fast ungestört schweifen zu lassen, der kann mit dem dahin gesunkenen Ensemble irgendwie philosophisch assoziieren. Ausgangspunkt dieser chorisch gesprochenen Trostsuche ist das Zitat von Hito Steyerl: „Stell dir vor du fällst, aber es gibt keinen Boden.“ Der verhalten einsetzende Schlussapplaus klang schließlich nachdrücklich, ja freudig – ein weiterer Coup der ganz besonderen Akustik im Gasometer.