Mülheim. Mit entzündetem Blinddarm kam Markus Dirks ins Evangelische Krankenhaus Mülheim. Was er da mit einem Zimmernachbarn erlebte, rührt ihn bis heute.

Eine Geschichte, die ans Herz geht und irgendwie aus der Zeit gefallen scheint, erzählt Markus Dirks aus dem Evangelischen Krankenhaus Mülheim. Mit einem heftig entzündeten Blinddarm kam er vor knapp zwei Wochen in die Klinik und lag nach nur einer Stunde unterm Messer. Zum Glück ging alles glatt und der 53-Jährige fand sich kurz darauf in einem Dreibettzimmer wieder. Zwei Tage später zog „ein älterer Herr mit Stock und Täschchen“ ein. Was in den nächsten Tagen passierte, rührt Dirks – und eine große Facebook-Gemeinde – nachhaltig.

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Die Bettnachbarn kamen ins Gespräch, trotz Schwierigkeiten: „Der ältere Herr spricht nur gebrochen Deutsch und ist schwerhörig“, so der Essener. Sie fanden trotzdem zueinander. Dobrivoje Stanojevic, 80 Jahre alt, Witwer, ursprünglich aus Serbien, in Dümpten zu Hause, einst Arbeiter in einer Papierfabrik. All das wusste Dirks nach kurzer Zeit. Und auch, dass sein Zimmergenosse verschiedene Krankheiten hat.

Das Augenmerk des Mülheimers galt den geschwächten Mitstreitern in seinem Zimmern

Die Leiden aber waren kein Thema für den Alten. Sein Augenmerk galt den geschwächten Mitstreitern in seinem Zimmern. Dirks beschreibt Stanojevic als „herzensgut“. Er komme aus bescheidenen Verhältnissen, habe aber keine Sekunde darüber nachgedacht, seinen Apfel vielleicht nicht mit den Bettnachbarn zu teilen. „Er hat wenig, gibt aber viel.“ Eine Eigenschaft, die in der modernen Gesellschaft durchaus besonders sei.

Und auch sonst zeigte der 80-Jährige Herzenswärme: „Er hat mir morgens erzählt, dass er mich nachts zugedeckt hat, weil die Decke runtergerutscht war und ich mich sonst erkältet hätte.“ Die intime Geste eines eigentlich Wildfremden, „diese innige Fürsorge“, beeindruckte Dirks tief. „Er hat darauf geachtet, dass wir behütet sind.“ Wenn Besuch für Dirks oder den dritten Mann im Zimmer kam, schaffte der 80-Jährige wie selbstverständlich einen Stuhl heran. „Für ihn war das normal – aber in der heutigen Zeit fällt so viel Hilfsbereitschaft auf.“

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Markus Dirks wollte sich nach der Begebenheit im Mülheimer Krankenhaus bedanken

Dirks wollte sich bedanken, etwas zurückgeben. „Er lag viel im Bett, keiner hat ihn besucht. Und er hat immer nur auf den stummgeschalteten Fernseher gestarrt.“ Sein Hörgerät habe er nicht nutzen können, auch keine Kopfhörer. „Möglicherweise hilft das Smartphone“, dachte sich der 53-Jährige, „und am besten wäre es wohl, wenn ich eine serbische Zeitung herunterladen könnte.“ Dirks setzte auf das Schwarmwissen der Facebook-Gruppe „Du weißt, dass du aus Mülheim kommst. . .“ und fragte nach, ob jemand eventuell ein Blatt empfehlen könne.

Facebook-Gruppe wurde im Frühjahr 2013 gegründet

Im Frühjahr 2013 hat der Mülheimer Daniel Zschocke die Facebook-Gruppe „Du weißt, dass du aus Mülheim kommst“ gegründet – „damit wir uns in Mülheim untereinander austauschen und informieren und einander helfen können“. Rund 19.000 Menschen gehören mittlerweile dazu.

Solidarität wird bei uns groß geschrieben“, betont Zschocke. „Ich finde es schön, wenn Menschen sich um einander kümmern. Wenn man in der Gruppe um Hilfe fragt, reagieren die anderen Mitglieder meist sofort. Wir geben uns gegenseitig Kraft.“ Die Geschichte von Markus Dirks und Dobrivoje Stanojevic sei ein schönes Beispiel für die Dynamik innerhalb der Gruppe.

Der 53-Jährige erzählte bei Facebook von seiner besonderen Bekanntschaft, und davon, dass er dem „freundlichen, bescheidenen Mann gern eine kleine Freude machen“ würde. „Eigentlich wollte ich nur einen Link zu einer abofreien serbischen Online-Zeitung haben“ – doch die Facebook-Freunde waren fasziniert von seiner Story. „Oh Gott! Das ist das Schönste was ich seit langem gelesen habe. Ich habe mir noch nie mehr gewünscht, Serbisch sprechen zu können. . .“, lautete einer der begeisterten Kommentare. „Es ist so schön, wenn man sich gegenseitig Herzlichkeit schenkt“, ein anderer. Dirks kassierte Hunderte Likes und Herzchen. Das behagte ihm nicht wirklich: „Es ging ja nicht um mich – er ist der Held.“

Trotz Unterstützung kam der ältere Herr mit dem Mobiltelefon nicht zurecht

Seine Idee aber hatte Erfolg: Er bekam den Link – und Dobrivoje Stanojevic las zum wahrscheinlich ersten Mal in seinem Leben auf dem Handy Nachrichten aus der serbischen Heimat. „Seine Augen glänzten, er lächelte.“ Leider sei dem alte Mann die Technik eines Mobiltelefons nicht vertraut, und trotz Unterstützung habe er das mit dem Scrollen nicht so recht hinbekommen. „Er hat drei, vier Artikel gelesen und mir das Handy dann zurückgegeben.“

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Bei Facebook zog die Aktion derweil Kreise: „Es haben sich Menschen gemeldet, die übersetzen wollten, und Menschen, die serbisch sprechende Mitarbeiter im Krankenhaus kannten. Ein Krankenpfleger hat Schokolade vorbeigebracht und sogar das Beschwerdemanagement der Klinik hat Hilfe angeboten.“ Stanojevic habe nicht alles verstanden, was passierte, „ich habe es ihm aber grob erklärt“, so Dirks. „Ob er mit Facebook allerdings überhaupt etwas anfangen kann, weiß ich nicht.“

Seinen Aufenthalt im Krankenhaus wird der 53-Jährige nicht so schnell vergessen

Markus Dirks, der im normalen Leben für den Ringlokschuppen arbeitet, wurde zwischenzeitlich aus der Klinik entlassen. Die OP ist längst abgehakt, seinen Aufenthalt im Krankenhaus wird der 53-Jährige trotzdem nicht so schnell vergessen. Seinen neuen Freund – man könnte ihn auch Schutzengel nennen – will er weiter im Krankenhaus und später in Dümpten besuchen. „Ich weiß, er fährt gern Fahrrad, aber das wird künftig vielleicht schwierig. Ich habe noch ein Ergometer zu Hause – vielleicht kann ich ihm das schenken, wenn er Platz dafür hat.“