Gelsenkirchen-Erle. Weil sich der Bau an der Gesamtschule in Gelsenkirchen-Erle verzögert, müssen Schüler weiter in Schichten essen. Das sagen Stadt und Architekt.
Schule und Kreuzfahrten haben wenig miteinander gemein, sollte man meinen. An der Gesamtschule Erle ist das anders: Dort essen die Fünft- und Sechstklässler wie die Passagiere mancher Luxus-Liner in Schichten, weil die Mensa zu klein ist und der geplante Neubau auf sich warten lässt. Nach ursprünglichen Plänen hätte er vor zwei Monaten in Betrieb gehen sollen, nun ist von September 2023 die Rede. Und selbst das ist mittlerweile höchst unklar. Denn zwischen Stadt und beauftragtem Architekturbüro knirscht es so sehr, dass das Vorhaben nun auf Eis liegt.
Was die Stadt da auf dem Gelände nahe der Bezirkssportanlage Ost plant, wurde 2016 als Leuchtturmprojekt gefeiert: eine für Gelsenkirchen bislang einzigartige Bildungspartnerschaft zwischen der Schule und der Stadtteilbibliothek Erle, die derzeit noch an der Cranger Straße residiert. Denn die Bücherei soll ebenfalls in das neue Gebäude ziehen, das vor allem auch helfen soll, die massive Raumnot der Schule zu lindern.
Gelsenkirchen kann nicht abschätzen, wann die Bauarbeiten für Schulneubau beginnen
Doch Win-Win-Situation hin oder her: Auch im November 2021 musste Schulleiter Andreas Lisson beim Tag der offenen Tür Eltern und (künftige) Schüler vertrösten: Wann endlich mit den Bauarbeiten begonnen wird, kann er nicht sagen. Und wie sich auf WAZ-Nachfrage bei der Stadt herausstellt: Die Verwaltung weiß es auch nicht. Nicht einmal der Bauantrag liegt vor.
„Es gibt Klärungsbedarf mit dem Architekten“, begründete Stadtsprecher Martin Schulmann die Situation. Konkret gehe es um eine deutliche Erhöhung der Kosten, die anfangs auf acht Millionen Euro taxiert worden seien. Davon ist man nun offenbar meilenweit entfernt. Wie weit, dazu wollte die Stadt keine näheren Angaben machen. Nach WAZ-Informationen handelt es sich aber mindestens um eine Verdoppelung der Summe.
Stadt Gelsenkirchen will Unstimmigkeiten mit Architekten klären
Was die Ursache der Kostenexplosion ist – etwa die allgemeine Verteuerung in der Bauindustrie in den vergangenen Monaten oder die Auswahl exklusiverer Baustoffe und Mobiliars: Auch dazu wollte sich Schulmann nicht äußern.
Wie es heißt, habe die Verwaltung den im April 2019 beauftragten Architekten darauf hingewiesen, dass eine Kostensteigerung nur im Rahmen eines Inflationsausgleichs akzeptiert werde. Nun gelte es zu klären, ob das Büro die Planungen zu einem günstigeren Preis umsetzen kann. Sprich: Der Architekt sei am Zug.
Architekt weist alleinige Verantwortung für Kostensteigerungen zurück
Dieser freilich sieht den Ball im Feld der Gelsenkirchener Bauverwaltung. „Die Stadt hat das Projekt überraschend vor zwei Monaten gestoppt, nun ist es an ihr als Bauherrin, sich zu dem weiteren Vorgehen zu positionieren“, so der mit dem Auftrag befasste Arndt Brüning, einer der vier Geschäftsführer des Büros „Architekten Brüning Rein“ in Essen.
Er bestätigte die „erheblichen Kostensteigerungen“ als Ursache der Unstimmigkeiten, ebenfalls ohne deren Höhe nennen zu wollen. Eine alleinige Verantwortung dafür wies er allerdings zurück. Wie bei jedem Projekt müssten im Laufe der Jahre die Kostenansätze angepasst werden, wenn sich die Anforderungen änderten. So habe die Stadt erst 2020, also nach seiner Beauftragung, den Klimanotstand formuliert. „Dies hat bei dem Kostenanstieg eine wesentliche Rolle gespielt.“
Architekturbüro will Auftrag in Gelsenkirchen-Erle fortführen
Abgesehen von der allgemeinen Teuerungsrate müsse zudem berücksichtigt werden, dass die Stadt wesentliche Teile des Projekts, etwa in Sachen Haustechnik, selbst geplant und weitere Büros beauftragt habe. Insofern sei sie an der Entwicklung der Kosten mitbeteiligt. „Wenn es um einen Anstieg geht, plädiere ich für eine transparente Auflistung. Erst dann lässt sich das Ganze bewerten.“
Dass sich Architekten ohne Rücksicht auf Auftraggeber und Budgets „künstlerisch selbstverwirklichen“, sei hingegen „Quatsch“. „Wir sind nur eine Stellschraube und können Preise nur bedingt beeinflussen.“
Dass das „wirklich schöne und wichtige Projekt“ nun auf Eis liegt, bedauere er sehr. „Wir haben mit Gelsenkirchen gut und einvernehmlich zusammengearbeitet und sind nach wie vor daran interessiert, dies auch in Zukunft zu tun.“ Daher habe man der Stadt mehrere „Optionen zur Optimierung der Kostenansätze genannt“, die Einsparungen mit sich brächten. Sein Büro warte nun auf eine entsprechende Bewertung und Stellungnahme dazu, wie es weiter verfahren wird.
Durch Neubau könnten 29 weitere Fünftklässler aufgenommen werden
Da geht es Brüning wie Schulleiter Lisson. Er zeigte sich auf Anfrage „frustriert“ angesichts der massiven Verzögerung. „Seit fünf Jahren vertröste ich die Eltern. So langsam verliere ich meine Glaubwürdigkeit.“ Der Neubau sei „dringend nötig“ mit seiner großen Mensaküche, dem Speisesaal für 250 Schülerinnen und Schüler, der Lehrküche und vor allem mit den sechs geplanten Klassenzimmern, drei Fach- und Differenzierungsräumen und dem großen Mehrzweckraum.
„Wir platzen aus allen Nähten, weil wir in den Jahrgängen acht bis zehn bereits sechszügig sind und so gut wie keine Differenzierungsräume haben. Jeder Raum ist doppelt und dreifach belegt“, so Lisson. „Der Neubau ermöglichte es uns, ab Jahrgang 5 sechszügig zu arbeiten. Wir könnten 29 weiteren Kindern einen Platz in der 5 anbieten – der Bedarf ist da“, betonte er.
Stadt Gelsenkirchen: Bis Ende 2021 soll weiterer Fahrplan feststehen
Im Pavillon, wo derzeit die Fünft- und Sechsklässler in Schichten essen, könnten nach Inbetriebnahme des Neubaus mit der Mensa zwei weitere Klassenräume genutzt werden. Auch die Aula müsste dann nicht mehr für die Essensausgabe und als Speisesaal der Jahrgänge 7 bis 10 zweckentfremdet werden. „Ich hoffe deshalb sehr, dass das Projekt zügig weiterverfolgt wird.“
Womöglich muss Lisson nicht mehr ganz so lange warten, bis eine Entscheidung gefällt ist. „Bis Ende des Jahres soll die Angelegenheit geklärt sein“, sagte Stadtsprecher Schulmann.
Wie das Projekt weitergeführt werden könnte, falls die Zusammenarbeit mit dem Architekten nicht mehr möglich sein sollte? „Dann müssen der Neubau neu ausgeschrieben und ein neuer Architekt unter Vertrag genommen werden“, so Schulmann. Um den Zeitplan bis September 2023 einzuhalten, sei auch die Verwendung von Modulen möglich, wie sie im Neubau an der Lessing-Realschule zum Einsatz kamen. „Noch kann sich aber alles zum Guten wenden.“ , betonte Schulmann.
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