Berlin. Das Netz beeinflusst den Wahlkampf wie nie zuvor. Aber Experten warnen Kandidaten vor einem falschen Jugendwahn: Wer soziale Netzwerke nutzen will, muss dies glaubwürdig tun. Wer es lieblos nebenbei erledigen lässt, wirke eher peinlich und mache sich angreifbar.

Die Bundestagswahl im Herbst wird so stark vom Internet beeinflusst werden wie keine zuvor. Das zeigt eine Forsa-Umfrage: Während sich vor vier Jahren nur 45 Prozent im Internet über Politik informierten, sind es den Angaben zufolge jetzt bereits 60 Prozent. Bei den 18- bis 29-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 80 Prozent.

Schon jeder Dritte informiert sich in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter über Politik. Und fast jeder Bundestagsabgeordnete hat inzwischen ein Profil in einem sozialen Netzwerk.

Doch der Chef des Meinungsforschungsinstituts Emnid, Klaus-Peter Schöppner, rät Politikern von deren Einsatz ab. „Ein seriöser Politiker sollte auf Aktivitäten in Blogs oder auf Facebook verzichten“, sagte Schöppner. Dort mache er sich nur angreifbar, wenn er sich zu populistisch gebe.

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Ältere wirken nicht aufrichtig

„Gerade wenn sich ältere Politiker plötzlich als große Twitterer oder Facebookfreunde ausgeben, wirkt das nicht aufrichtig, sondern anbiedernd“, warnte Schöppner. Das komme beim Wähler überhaupt nicht gut an. „So tut sich ein Politiker keinen großen Gefallen“, lautet das Fazit des Emnid-Chefs.

Nach einer Untersuchung des ­IT-Verbandes Bitkom haben 76 Prozent der 620 Bundestagsabgeordneten derzeit ein Profil auf Facebook und dort im Schnitt 2578 „Fans“. 50 Prozent kommunizieren über den Kurznachrichtendienst Twitter. Spitzenreiterin im Social-Media-Ranking ist mit weitem Abstand Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die 246.000 Unterstützer im Netz hat. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) kommt auf 43.000.

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Manchmal richtig peinlich

Auch der Göttinger Politologe ­Stephan Klecha warnt vor zu großen Umtrieben im Netz. „Es ist ein Unterschied, ob ein Peter Altmaier regelmäßig twittert, oder ob ein Politiker von seinen Beratern gesagt ­bekommt: Mach mal, das kommt gut an“, sagte Klecha dieser Zeitung. „Dann kann es richtig peinlich werden.“ Ein Politiker müsse einen authentischen Zugang zu den sozialen Netzwerken finden. „Andernfalls wird er von der ganzen Netzgemeinde ausgelacht“, so Klecha. Bevor er sich zum Gespött mache, solle er es lieber lassen.

„Die Politiker sollten die neuen Kanäle wie Facebook, Twitter oder Blogs kontinuierlich nutzen, ohne sich anzubiedern oder plötzlich den Vorzeigenutzer vorzugaukeln“, sagte dagegen Christoph Bieber, Politologe an der Uni Duisburg-Essen. Welche Bedeutung etwa Facebook haben kann, habe der US-Wahlkampf gezeigt. Allerdings pflege Präsident Obama sein Profil seit 2007 kontinuierlich und nicht nur in Wahlkampfzeiten, sagte Bieber.