Hamburg. Nach dem Fernsehen soll nun auch das Radio komplett digitalisiert werden. Der Ausbau entsprechender Senderkapazitäten schreitet nach Angaben der Branche gut voran. In Zukunft werde DAB+ das bisherige UKW-Radio ablösen - wer dann noch Radio hören wolle, müsse neue Geräte kaufen.
Das Fernsehen in Deutschland ist schon digital, jetzt soll das Radio folgen. Für das gute alte UKW-Radio soll in absehbarer Zeit Schluss sein, wenn es nach den Vorstellungen von Programmanbietern und Geräteindustrie geht. Willi Schreiner ist Geschäftsführer der DRD Digitalradio Deutschland GmbH in Hamburg, einer Lobby-Organisation, die den Ausbau des digitalen Rundfunks vorantreiben soll. Im Interview spricht Schreiner über DAB+, die Bedeutung für die Hörer und die Konkurrenz durch Internetradios.
Herr Schreiner, lange Zeit sah DAB in Deutschland nach einer Totgeburt aus. Jetzt hingegen kann man den Eindruck gewinnen, dass es nach jahrzehntelanger Stagnation nun endlich voran geht beim Digitalen Rundfunk.
Willi Schreiner: Ja, der Ausbau läuft plangemäß. Derzeit stehen bundesweit 39 DAB+ Sender zur Verfügung und weitere sieben werden in den nächsten Monaten kommen. Das ist schon sehr gewaltig, was sich da getan hat. Grundlage dafür ist das vor einem Jahr vereinbarte enge Miteinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, vor allem des Deutschlandradios. Das klappt sehr gut.
Ist denn absehbar, wann eine flächendeckende Versorgung mit dem auch DAB+ genannten erreicht werden kann? Oder ist das erst mal nicht das Ziel?
Schreiner: Doch, das ist schon das Ziel. Aber wie bei allen neuen elektronischen Entwicklungen versuchen wir zunächst die Ballungsräume zu gewinnen. Neue Technologien laufen zuerst einmal in den Ballungsräumen besser. Zweitens sind uns die Autobahnen ganz wichtig. Wir haben sehr stark an die Verkehrsknotenpunkte gedacht. Denn man muss der Automobilindustrie und den Autofahrern auch gewährleisten, dass die Programme zu hören sind.
Autofahrer als wichtige Zielgruppe
Der Autofahrer soll also die erste Hauptzielgruppe sein?
Schreiner: Wichtige Zielgruppe, aber nicht die Nummer eins. DAB+ wird ein neues Verkehrsinformationssystem befördern: Das bisherige Autofahrer-Rundfunk-Informationssystem ARI soll durch einen Standard ersetzt werden, der von der Transport Protocol Expert Group festgelegt wurde und nach ihr TPEG heißt. Das dauert alles seine Zeit, auch wenn es schon 2010 von der EU beschlossen worden ist. Damals war eben noch nicht klar, wie und wann der Rundfunk als letztes Medium wirklich digitalisiert wird.
Wie kommt es, dass Digitalradio nun offenbar durchstartet? Viele Jahre lang dümpelte das Thema vor sich hin.
Schreiner: Ich glaube, dass es im Vergleich zu früher jetzt sehr stark industriegetrieben und auch absatzorientiert ist. Warum war das früher anders? In Deutschland gibt es die Besonderheit - einerseits ein Segen, anderseits ein Fluch - dass die Länder in der Medienpolitik das Sagen haben. Dadurch haben verschiedene Bundesländer immer wieder unterschiedliche Konzepte gezeigt. Jetzt wurde darauf geachtet, dass der Köder dem Fisch schmeckt und nicht dem Angler. Und man hat sehr frühzeitig die Sendernetzplanung gemeinsam gemacht, ebenso hat man sehr frühzeitig mit den Chipherstellern gesprochen.
"Es muss ja keiner Radio hören"
Wer treibt das Thema denn finanziell voran? Der Ausbau von Sendern und Sendestandorten kostet ja Geld. Ist es wieder mal der Steuerzahler?
Schreiner: Nein. Das sind wirklich privates Geld und Leistungen der öffentlich-rechtlichen Sender. Wir müssen das investieren mit Blick auf die Zukunft. Für die privaten Sender ist das ein klares unternehmerisches Risiko. Auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk steckt ein gewisses unternehmerisches Kalkül dahinter, was meiner Ansicht nach sehr klug ist. Ein landesweiter Sender wie beispielsweise Bayern 3 zahlt für die UKW-Standorte, Sendertechnik und Zuführung ungefähr 4,5 Millionen Euro im Jahr. Im DAB+ Standard kostet es nur noch rund 400.000 Euro im Jahr.
Die Anbieter sparen Geld, aber die potenziellen Nutzer müssen erst einmal Geld ausgeben und sich komplett neu mit Radios ausstatten.
Schreiner: Wie beim digitalen Fernsehen ja auch. Aber es muss ja keiner Radio hören. Das ist ja freiwillig. Sie müssen auch keine Zeitung kaufen, das ist eine freiwillige Entscheidung. Sie müssen auch kein neues Auto kaufen. Wenn einer mit den alten Programmen zufrieden ist, kann er sein UKW-Radio weiter hören. Auch 1949, als der erste Stereosender europaweit eröffnet wurde, mussten sich die Leute nicht gleich alle UKW-Radios kaufen. Sie konnten die Mittel- und Kurzwelle weiter hören. Nur irgendwann will der Hörer vielleicht mehr und was Besseres. Sie kriegen für den Kassettenrekorder auch keine Leerkassetten mehr. Da ist natürlich der Markt ein entscheidender Faktor.
250 bis 300 Millionen Radiogeräte in deutschen Haushalten
Ich sehe das Interesse der Industrie, weil Sie neue Geräte verkaufen will …
Schreiner: …selbstverständlich.
Kann man diesen Markt abschätzen?
Schreiner: Man sagt in Deutschland seien 250 bis 300 Millionen Radiogeräte in den Haushalten. Natürlich gibt es da einen Riesenmarkt. Genauso wie bei der Umstellung von Analog- auf Digitalsatellit im Fernsehen.
Und wie sehen Sie die Gefahr - oder die Chancen - je nachdem aus welcher Perspektive man es betrachtet, dass die Leute sagen: Das ist mir doch wurscht, das DAB+. Ich gehe ins Internet und nehme das neue LTE-Netzwerk. Der Ausbau dieser Breitbandübertragung hat gerade begonnen und wird sicherlich schnell voranschreiten.
Schreiner: Und wer zahlt das?
Der Nutzer?
Schreiner: Nein, der Anbieter. Die Nutzung des Radiostreams zahlt immer der Anbieter. Das ist unser Riesenproblem. Deshalb müssen wir eine Broadcast-Technologie haben, die das Senden relativ billig macht. Sie würden eine landesweite Abdeckung per mobiles Internet technisch nie hinkriegen, sagen die Techniker. Die internetverliebten Radiomacher, Journalisten und sonstigen Überzeugungstäter sagen: "Natürlich funktioniert es", ohne dass sie jemals den Beweis antreten können. Der Drang zum Internet wird immer da sein, denn Internet, so glauben viele, ist kostenlos. Aber genauso der Drang, billig und schnell überall Radioprogramme empfangen zu können. Und das kann man ja wunderbar verbinden. Die Zukunft sind Multihybridgeräte, wie sie dieses Jahr auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin gezeigt werden. Empfange ich das bessere Signal meines Lieblingssenders über UKW oder DAB+ oder über WLAN? Das wählt das Gerät selbst aus.
Viele Internetsender senden illegal
Beim UKW-Radio haben wir immer das Lizenzierungsthema gehabt. Wie sieht das mit der Lizenzierung beim Digitalradio aus? Im Internet muss ich mich gar nicht registrieren. Da kann ich ein Mikrofon anschließen und loslegen.
Schreiner: Nach Rundfunkstaatsvertrag müssten Sie - wenn Sie 500 Menschen gleichzeitig mit Ihrer Musik oder Ihren Inhalten via Internet bedienen - eine rundfunkrechtliche Genehmigung einholen. Das machen eigentlich nur ganz brave lokale oder landesweite Radiosender. Viele Internetsender senden illegal, aber die Nutzungsdauer von den vielen ist auch relativ gering. Die haben oft auch keine Werbung drin und zahlen die urheberrechtlichen Gebühren an die Gema nur bedingt, nehme ich an. Während die normalen Radiosender, die Internetstreams betreiben, sich natürlich ganz ordentlich anmelden müssen.
Übrigens, die Lizensierung der DAB+ Sender durch die Landesmedienanstalten war schnell, unbürokratisch und marktorientiert.
Wie sehen nun die nächsten Schritte bei der Digitalisierung des Radios in Deutschland aus?
Schreiner: Das gemeinsame Miteinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk und dem technischen Dienstleister Media Broadcast muss weiter ausgebaut werden. Man ist in sehr intensiven und konstruktiven Gesprächen, ein Digitalradiobüro Deutschland aufzubauen, wo alle relevanten Kräfte der Industrie, der Programmanbieter, ob privat oder öffentlich-rechtlich, bis zum Netzanbieter und Antennenbauer eingeladen werden sollen mitzuwirken, um gemeinsam das Marketing für die Gattung Digitalradio noch intensiver nach vorne zu bringen. Zur IFA im September geht es vielleicht schon los. Wir sind auf einem sehr guten Weg. (dapd)