Essen. . Neun von zehn Jugendlichen in Deutschland sind täglich online. Welchen Gefahren sie dort ausgesetzt sind, dessen sind sich Eltern oft gar nicht bewusst. Filtersoftware versagt bei Web-2.0-Angeboten wie Facebook und Co. Was bleibt, ist reden. Möglichst, bevor etwas passiert ist.

Es klingelt. Vor der Tür stehen rechte Schläger und fragen nach Klaus. Seine Mutter lächelt und schickt sie ins Kinderzimmer. Es klingelt wieder. Diesmal fragen leicht bekleidete Prostituierte nach Klaus. Klaus’ Mutter schickt auch sie nach oben. Dann ballert ein Kampfroboter ein Loch in die Hauswand.

So ist es nicht passiert. Der Werbespot der EU-Initiative „klicksafe“ soll Eltern darauf aufmerksam machen, wie selbstverständlich sie ihre Kinder in der „wirklichen“ Welt vor gefährlichem oder unpassendem Umgang schützen würden. Online hingegen haben Kinder und Jugendliche oft uneingeschränkten Zugang zu Gewalt und Sex. Die Eltern wissen schlichtweg nicht, was ihre Sprösslinge den halben Tag vor dem Bildschirm machen. Deshalb appellieren Experten anlässlich des achten weltweiten "Safer Internet Day" an Väter und Mütter: Macht Euch schlau!

Laut „EU Kids Online“, einer neuen Studie der Europäischen Union, sind mittlerweile etwa 60 Prozent der 9-16-Jährigen jeden Tag oder fast jeden Tag im Netz unterwegs. Neun Jahre stellt dabei auch das durchschnittliche Einstiegsalter dar. Je älter die Kinder, desto höher die Zahl derer, die täglich online sind: Neun von zehn deutschen Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren surfen jeden Tag.

Internet bietet Jugendlichen Freiräume

Warum das so ist, erklärt Birgit Kimmel, Pädagogische Leiterin von klicksafe: „Die Kommunikationsangebote im Netz treffen direkt die Bedürfnisse Jugendlicher. Dort geht es um Selbstdarstellung: Wer bin ich? Wer will ich sein?“ Das Internet biete dabei Freiräume, die in der Welt draußen nicht gegeben seien. Jugendliche können sich im Netz eine eigene Welt aufbauen, zu der ihre Eltern keinen Zugang haben - obwohl sie im Raum nebenan sitzen.

Und „nebenan“ kann zum Problem werden: Steht der PC nämlich im Kinderzimmer, haben Eltern kaum noch die Möglichkeit, zu kontrollieren, welche Seiten ihre Kinder ansehen. Hinzu kommen die vielen Möglichkeiten, unterwegs ins Internet zu gehen: Smartphones oder der ipod touch bieten unbegrenzten Zugang zu allen Seiten im Netz. „Viele Eltern wissen nicht einmal, dass ihr Kind mit dem ipod touch ins Netz kommt“, sagt Kimmel. „Sie glauben, es handele sich nur um ein Musikabspielgerät.“

Sowieso ist sich die Hälfte aller Eltern in der EU ist der Gefahren, die das Internet birgt, nicht bewusst. Ganze 73 Prozent halten es für unwahrscheinlich, dass ihre Kinder auf Risiken treffen könnten. Dabei hat laut EU Kids Online jedes zwölfte Kind schon einmal ein unangenehmes Erlebnis im Internet gehabt. Sie haben Gewaltvideos oder Pornos gesehen, sind sexuell belästigt worden oder im Netz gemobbt – in jedem Fall haben sie das Erlebnis als störend empfunden.

Kinder wähnen sich in geschlossenen Gruppen

Birgit Kimmel sieht die größten Gefahren in der Reichweite und Nachhaltigkeit dessen, was Kinder ins Internet stellen. „Kinder wähnen sich oft in geschlossenen Gruppen und geben Bilder oder persönliche Informationen frei, von denen sie nicht wissen, was letztlich mit ihnen passiert.“ Fotos und Daten blieben für immer im Netz. Soziale Netzwerke wie Facebook, das auch bei Jüngeren immer beliebter werde, würden dabei zu wenig darauf achten, ihre minderjährigen Mitglieder zu schützen. Deutsche Plattformen wie die VZ-Netzwerke, wer-kennt-wen oder die Lokalisten hätten sich immerhin auf einen Verhaltenskodex geeinigt: Sobald sie sich anmelden, stehen bei Minderjährigen die Sicherheitseinstellungen auf höchstem Schutz. „Das Bewusstsein dafür, seine Daten zu schützen, ist auch bei den Jugendlichen selbst in den vergangenen Jahren gestiegen“, sagt Kimmel.

Abgesehen vom Datenschutz ist die direkte Konfrontation mit gehässigen Kommentaren und sexueller Anmache ein Risiko im Netz. Etwa jedes fünfte Kind sei schon einmal online gemobbt worden. Viele trauen sich hinterher nicht, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Kimmel: „Gerade, wenn sie sexuell belästigt wurden, suchen sie die Schuld bei sich und fragen sich, was sie getan haben, um so angesprochen zu werden.“ In so einem Fall brauchen Kinder vor allem eins: einen Ansprechpartner. Sind die Eltern nicht geeignet, hilft die Nummer gegen Kummer. Seit 2008 kooperieren klicksafe und das Sorgentelefon für Kinder, die Mitarbeiter werden speziell zu Internetthemen geschult. Wer jugend- oder anderweitig gefährdende Seiten melden möchte, kann das bei der Internet-Beschwerdestelle tun.

Mit dem Handy oder dem ipod touch ins Internet zu gelangen, ist im Wortsinn kinderleicht. Die Kontrolle über das Surfverhalten des Nachwuchses fehlt bei den Geräten: Technische Filter funktionieren hier noch nicht.(Foto: ddp)
Mit dem Handy oder dem ipod touch ins Internet zu gelangen, ist im Wortsinn kinderleicht. Die Kontrolle über das Surfverhalten des Nachwuchses fehlt bei den Geräten: Technische Filter funktionieren hier noch nicht.(Foto: ddp) © ddp

Technische Lösungen unzulänglich

Hinterher darüber zu reden ist gut. Vorher darüber zu reden ist besser. Birgit Kimmel findet es unerlässlich, mit den Kindern eine Medienkompetenz aufzubauen: „Die Kinder müssen wissen, wie sie reagieren können, wenn sie gemobbt werden oder anonyme Angebote erhalten.“ In sozialen Netzwerken können Nutzer geblockt werden, auf Einladungen, sich in der realen Welt zu treffen, geht man lieber nicht ein – all das muss selbstverständlich sein.

Zwar seien technische Lösungen wie Internetfilter vor allem bei Grundschulkindern noch wirksam, wobei Birgit Kimmel betont: „Keiner der in Europa auf dem Markt befindlichen Filter funktioniert ausreichend.“ Gerade bei Web 2.0-Angeboten wie Facebook oder Youtube versagten die Programme. Jugendliche fühlen sich von Filtern auch noch eher gegängelt. Gerade über portable Internetzugänge lassen sich Sperren dann leicht umgehen – für Smartphones existieren bisher keine Filter. „Die Gespräche mit Internetprovidern laufen, aber es wird noch eine Weile dauern.“

Kinder widerstandsfähig machen

Bis dahin ist medienpädagogische Arbeit gefragt, und zwar

- zu Hause, indem sich Eltern zunächst einmal selber über das Internet und seine Fallen informieren. Dann sollten sie sich mit den Kindern vor den PC im Familienzimmer setzen, Interessen erklären lassen und gegebenenfalls gemeinsam sichere Profile bei sozialen Netzwerken einrichten.

und

-in der Schule. Klicksafe stellt kostenloses Unterrichtsmaterial zur Verfügung, das Lehrern hilft, Medienkompetenz im Unterricht aufzubauen. Zur Zeit in Arbeit ist Material zu Pornografie – ein Thema, das bisher kaum Einzug in deutsche Schulen gefunden hat. Schulungen und Lehrgänge machen Lehrer ebenfalls fit für die medienpädagogische Arbeit.

„Wir müssen die Kinder widerstandsfähig zu machen“, sagt Birgit Kimmel. Denn egal, ob aus Versehen oder aus der Lust zur Grenzüberschreitung – Kinder laufen stets Gefahr, mit kritischen Inhalten im Netz konfrontiert zu werden. Wichtig ist, wie sie damit umgehen.