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Enthüllen und aufklären – das wollen die Erfinder von WikiLeaks. Auf ihrer Homepage werden geheime Dokumente veröffentlicht, die Skandale aufdecken: über die Kundus-Affäre, über Scientology - und aktuell über ein Video, das offenbar zeigt, wie US-Soldaten in Bagdad unbewaffnete Zivilisten erschießen.
Auf der Internet-Plattform WikiLeaks kann jeder anonym Dokumente veröffentlichen, wenn sie im öffentlichen Interesse stehen. „Die primäre Überzeugung des Projekts, seine Basis, ist, dass ein Recht auf freie Information und Kommunikation grundlegender Bestandteil des Rechts auf ein Leben ist“, sagt „Daniel Schmitt“, ein deutscher Mitarbeiter von WikiLeaks. Mit dieser Absicht wurde auf der Plattform bereits Unterlagen, die Steuertricks der Schweizer Privatbank Julius Bär offenbaren, Handlungsanweisungen für das US-Gefangenenlager Guantanamo und geheimes Scientology-Material oder die Mitgliederliste der rechten British National Party veröffentlicht. Auf WikiLeaks wurden auch große Teile der Kundusakte öffentlich gemacht: ein achtseitiger Untersuchungsbericht sowie zahlreiche Unterlagen mit Daten zu jenem Vorfall, der die Politik noch immer in Atem hält – und aktuell eben das Video, das offenbar zeigt, wie US-Soldaten in Bagdad unbewaffnete Zivilisten erschießen.
Dabei wird immer wieder die Frage nach Echtheit der Dokumente und nach Möglichkeiten der Manipulation durch WikiLeaks gestellt. Dazu sagt „Daniel Schmitt“ (der sich aus Angst vor Privatermittlern ein Pseudonym zulegte) der WAZ-Gruppe: „Wir prüfen jedes Dokument auf seine Echtheit. Das kann Tage oder Wochen dauern. Dabei arbeiten wir mit Experten zusammen, von Anwälten über Menschenrechtler bis hin zu einem technischen Team und Kalligraphen.” Das Restrisiko, auf eine Fälschung hereinzufallen, liege bei höchstens einem Prozent. Kommt WikiLeaks einer Fälschung auf die Spur, stellt es sie als solche klar gekennzeichnet online, „damit sie niemand mehr ernst nimmt”, so Schmitt. Berühmtes Beispiel: ein gefälschter Aidstest von Apple-Chef Steve Jobs. Zur Kundusakte stellte WikiLeaks eine Anmerkung, dass 20 Seiten des Berichts fehlen.
„Mehr Sonnenlicht“
Nur minimale biografische Details gibt „Daniel Schmitt“ preis: Früher habe er in der Informatikbranche gearbeitet und in dieser Zeit Geld zurücklegen können, von dem er lebt, seit er sich für WikiLeaks engagiert. Als ihn die Gründer um Hilfe fragten, sagte er ohne zu zögern zu. Seine Motivation: ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit. Seine Hoffnung: dass viel mehr Menschen diesen Sinn haben und handeln. „Es gibt eine Menge Vorgänge und Entscheidungen, die viel mehr Sonnenlicht vertragen können.”
Um die Informationen öffentlich zu machen, wurde ein System „für die massenweise und nicht auf den Absender zurückzuführende Veröffentlichung von geheimen Informationen und Analysen“ geschaffen, wird auf der Homepage behauptet. Das soll die Anonymität und Unauffindbarkeit der Quellen sichern. So ist es in der Online-Enzyklopädie Wikipedia beschrieben, die übrigens nicht mit WikiLeaks zusammenhängt. Was sie dennoch verbindet, ist das Wiki-Prinzip: also die Darstellung von nutzergenerierten Inhalten. Laut Julian Assange, einem der wenigen bekannten Mitarbeiter von WikiLeaks, arbeiten jedoch fünf feste, bisher unbezahlte Mitarbeiter und etwa 800 Gelegenheitsbeiträger für die Homepage. Das sagt Assange in einem Interview mit dem Medien-Ökonomie-Blog Anfang des Jahres. Serverkosten, Registrierungs-Gebühren, Bankgebühren und Bürokratie-Kosten werden durch Spenden von Privatpersonen finanziert. Geld von Unternehmen oder Regierungen nimmt WikiLeaks laut Assange nicht an.
WikiLeaks, die „Tiefgarage des Internets“
Weil die Daten von anonymen Informanten, den „Whistleblowern“, online gestellt werden, steht WikiLeaks immer wieder in der Kritik. Und auch unter Beobachtung: „Schmitt“ berichtet, dass WikiLeaks in Island beobachtet worden sei. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um US-Geheimdienste handelt. Schmitt: „Doch wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Nicht ganz spannungsfrei ist auch das Verhältnis zu den Medien. „Von denen werden wir teilweise als Konkurrenz betrachtet”, berichtet Schmitt. Der Grund: Weil alle Welt auf WikiLeaks zugreifen kann, lässt mancher Journalist die Hände von den veröffentlichten Dokumenten. Aus Angst, das Rennen um die Exklusivgeschichte zu verlieren. „Wir sehen uns dagegen als Ergänzung für die Medien, weil wir die Recherche erleichtern”, sagt Schmitt. Deshalb gehe man inzwischen auf Journalisten zu und biete ihnen Exklusivität, damit brisante Unterlagen nicht unbeachtet im Netz stehen bleiben.
Watergate-Enthüller Bob Woodward traf sich mit seiner geheimen Quelle „Deep Throat” noch in einer Tiefgarage. „Daniel Schmitt“ hofft, dass immer mehr Menschen die „Tiefgarage des Internets” entdecken. „Es gibt so viele Leute, die Zugang zu geheimen Dokumenten haben. Die müssen lernen, dass sie sich einmischen können.”