Essen. Weil ein Großteil des Vertrags mit Toll-Collect im Internet aufgetaucht sind, droht die spektakuläre Schadenersatzklage des Bundes gegen die Konzerne Daimler und Telekom zu platzen. Es geht um 5 Milliarden Euro Schadenersatz, die der Bund wegen der Start-Pannen der Lkw-Maut fordert.

Die spektakuläre Schadenersatzklage des Bundes gegen die Konzerne Daimler und Telekom wegen der Pannen beim Start der Lkw-Maut steht auf der Kippe. Der Grund: Vertrauliches Vertragswerk ist im Internet gelandet. Die Bundesregierung fürchtet Konsequenzen für das Verfahren, weil Unbekannte den Geheimvertrag zwischen Staat und Maut-Konsortium ins Internet gestellt haben. Platzen die Schiedsverhandlungen, muss die Staatskasse auf erhoffte Einnahmen von fünf Milliarden Euro verzichten.

Der Staat verlangt von Toll Collect, der Tochterfirma der Konzerne, 3,3 Milliarden Euro Schadenersatz plus 1,7 Milliarden Konventionalstrafe, weil das Mautsystem im Sommer 2003 in Betrieb gehen sollte. Tatsächlich funktionierte es erst eineinhalb Jahre später. 2005 erhob die damalige rot-grüne Regierung deswegen Schiedsklage. Toll Collect seinerseits klagt zurück, weil der Bund wegen der Start-Verzögerungen Geld einbehält.

Keine schnelle Lösung

Jetzt sinken die Aussichten auf eine schnelle Lösung durch die unerwünschte Internet-Veröffentlichung noch einmal deutlich, denn Vertraulichkeit war vereinbart worden. Im Bundestag ist man alarmiert. Eine „öffentliche Zugänglichmachung des Betreibervertrags” könne „nachteilige Auswirkungen auf das Schiedsgerichtsverfahren” haben, hat die Bundesregierung nach Informationen dieser Zeitung im Verkehrsausschuss eingeräumt. Mehr noch: Die Veröffentlichung der Vertragsdetails durch den Bund könne „als strafbarer Verrat von Geschäftsgeheimnissen” angesehen werden und – umgekehrt – zu weiteren „Schadenersatzansprüchen des Vertragspartners Toll Collect gegen den Bund führen”.

10.000 der 17.000 Seiten des Maut-Vertragswerks sind seit zwei Wochen im Portal Wikileak nachzulesen, das sich weltweit auf die Veröffentlichung von geheimen Unterlagen ohne Rücksicht auf Folgen spezialisiert hat und unter anderem die Verhörprotokolle von Guantanamo zugänglich machte. Rätselhaft bleibt, wo das Leck in Sachen Mautvertrag zu suchen ist. Allerdings gäben nicht alle online lesbaren Passagen den aktuellen Vertragsstand wieder, heißt es in Berlin. Aus dem Vertragstext kann unter anderem die vereinbarte Rendite herausgerechnet werden. Sie liegt nach Auskunft des Bundes „im einstelligen Prozentbereich”.

Noch verhält sich Toll Collect zurückhaltend. Doch das Konsortium versucht seit einiger Zeit, im Schiedsverfahren seine eigene Position deutlicher zur Geltung kommen zu lassen. Derzeit ist die Arbeit des Schiedsgerichts blockiert, weil Daimler, Telekom und der kleine Konsortialpartner Cofiroute einen Befangenheitsantrag gegen einen Schiedsmann gestellt haben.

Im Bundestag wächst derweil die Unruhe über die häufigen Verfahrensverzögerungen. „Es ist ärgerlich, dass sich das alles schon mehr als fünf Jahre hinzieht”, sagte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Winfried Hermann (Grüne) zur WAZ. Hermann fordert, das Verfahren „zügig zu Ende zu bringen. Das ist im Interesse aller Beteiligten”.

Vertrag läuft 2015 aus

Nach den Startschwierigkeiten der Erfassungstechnik im Jahr 2003 – das System soll damals zum Beispiel ein Pferd auf der Autobahn als „zweiachsiges Fahrzeug, nicht mautpflichtig” erkannt haben – ist das System inzwischen zumindest in Deutschland eine Erfolgsstory. Fast 100-prozentig werden alle Mautschulden erfasst. Allerdings gelang es dem Konsortium nicht, wie erhofft sein Produkt im Ausland zu verkaufen. So entschied sich Österreich für ein ganz anderes Verfahren.

2015 läuft der Maut-Vertrag aus. Die Bundesregierung bereitet eine neue Ausschreibung vor. Derzeit ist unklar, ob sich die beiden Konzerne erneut bewerben werden. Experten glauben, dass wegen erheblicher Anlaufkosten, die die geplanten 600 Millionen Euro weit überschritten haben sollen, kaum nennenswerte Profite eingefahren wurden.