Berlin..
Durch eine neue Information des Bundesnachrichtendienstes gerät jetzt auch Kanzlerin Angela Merkel in der Kundus-Affäre unter Beschuss. Laut einem Bericht von Spiegel Online habe der BND den zivilen Katastrophenanteil des Anti-Taliban-Einsatzes sofort ans Kanzleramt gemailt.
Am Ende sagte einer, der ihm politisch grundgut gewogen ist, was viele dachten, die den ehemaligen Bundesminister der Verteidigung gestern im Zeugenstand erleben durften: „Der Franz-Josef Jung, der ist ein feiner Kerl. Leider ohne Arg.“
Gut 45 Minuten näselte sich Jung am Nachmittag durch (s)eine schriftliche Chronologie der Ereignisse vom 4. September 2009. Der Erkenntniswert war schon durch ein Vorab-Interview geschmälert. „Alles gut gelaufen“, hatte der einstige Statthalter des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch an der Spree das Wirken der Bundeswehr im nordafghanischen Kundus pauschal bilanziert. Wer so denkt, wird nicht anderntags Asche auf sein Haupt streuen. Jung sah dazu damals keinen Anlass. Er tut es auch heute nicht.
Pflicht, Pflicht, Pflicht
Als der Oberhausener SPD-Abgeordnete Michael Groschek ihn in der anschließenden Fragestunde ein um andere Mal im Detail hart anzugehen versucht, wird spürbar, wie Jung funktioniert. Er glaubt bis heute, und zwar uneingeschränkt, Oberst Georg Klein und dessen Lagebeurteilung vor dem Bombenabwurf, dem bis zu 140 Menschen zum Opfer fielen; darunter auch Kinder. Er sieht sich bis heute in der Pflicht, der „Diktion der Vorverurteilung“ zu widersprechen und sich vor seinen ehemaligen Schutzbefohlenen zu stellen, der sich just wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Kriegsvölkerrecht vor der Bundesanwaltschaft verantworten muss.
Pflicht, Pflicht, Pflicht - alles andere ist zweitrangig für Jung. Auch den Vorwurf, der ihn letztlich auf freundliche Veranlassung der Kanzlerin den Minister-Job gekostet hat, wenn auch den im Arbeitsministerium, lässt Jung noch immer ungerührt abprallen. Obwohl die überlieferte Zitatenlage etwas völlig anderes nahelegt, obwohl nicht nur Oppositionspolitiker aus den turbulenten Tagen im vergangenen Herbst „noch einen ganz anderen Sound im Ohr haben“, nimmt er für sich in Anspruch, frühzeitig auf die Möglichkeit, ja sogar Wahrscheinlichkeit ziviler Opfer hingewiesen zu haben.
Tatbestand der Vertuschung?
Viel mehr, sagt Jung, habe er nicht gewusst. Auch nicht, dass - wie „Spiegel-Online“ berichtet - der Bundesnachrichtendienst (BND) den zivilen Katastrophenanteil dieses Anti-Taliban-Einsatzes bereits zu einem Zeitpunkt ans Kanzleramt gemailt hat, als auf der Sandbank nahe Kundus noch die verkohlten Opfer nebst Tanklasterwracks geraucht haben müssen.
Die pünktlich zur Sitzung öffentlich gewordene Recherchetüchtigkeit des hiesigen Auslandsgeheimdienstes war es dann auch, die der eher unergiebigen Vernehmung des Zeugen Jung die Brisanz raubte. Der Grünen-Obmann im Ausschuss, Omid Nouripour, hält jetzt sogar den Tatbestand der Vertuschung für gegeben, wenn sich erhärten sollte, dass das Kanzleramt komplett im Bilde war und wegen der am 27. September nahenden Bundestagswahl aus taktischen Gründen lieber geschwiegen haben sollte. Jan van Aken von der Linkspartei: „Natürlich wäre das Wahlbetrug, wenn die Regierung das von Anfang an gewusst hat.“ Auch darum werden in den nächsten Tagen gewiss Forderungen lauter, Kanzlerin Merkel möge zügig im U-Ausschuss aussagen.
Für Jungs Nachfolger im Verteidigungsressort, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), bot die gestrige Sitzung ebenfalls wenig Anlass zur Freude. Den so genannten Feldjägerbericht zum Bombenabwurf, den Guttenberg als wichtig empfand und nicht vorgelegt bekommen haben will, weswegen ein Generalinspekteur und ein Staatssekretär entlassen wurden, bezeichnete Jung als „ärgerlich“, weil aus seiner Sicht in der Substanz vernachlässigenswert. Noch bei der Amtsübergabe habe er Guttenberg den Rat gegeben, sich bei der weiteren Bewertung der Dinge allein auf den offiziellen Nato-Bericht zu konzentrieren. Hätte Guttenberg den Hinweis befolgt, es gäbe wohl keinen Untersuchungsausschuss.