Essen. Asylkritiker schüren mit teils wirren Argumenten Ängste gegen Flüchtlinge. Wir überprüfen sieben Gerüchte, die bei Facebook & Co. kursieren.

1. "Flüchtlinge sind Sozialschmarotzer - und bekommen auch noch Begrüßungsgeld."

Sind es nun 1000 Euro oder gar 4000 Euro? Einige "besorgte Bürger" verbreiten in den sozialen Netzwerken den Mythos, dass Flüchtlinge ein wahrer Geldregen bei Ankunft in Deutschland erwartet. Fakt ist allerdings: Kein Asylbewerber oder Flüchtling bekommt in Deutschland sogenanntes "Begrüßungsgeld".

Flüchtlinge bekommen 352 Euro im Monat - das liegt 47 Euro unter dem aktuellen Hart-IV-Satz. Davon werden ihnen 140 Euro bar ausgezahlt, den Rest bekommen sie in Form von Sachleistungen, Essen oder Kleidung zum Beispiel.

Eine Krankenversicherung gehört nicht zu den Grundleistungen. Nur in Notfällen werden die Flüchtlinge behandelt, die Kosten übernimmt dann der Staat. Wer Brillen oder Krücken braucht, muss darauf schon mal länger warten, wie Flüchtlingsorganisationen berichten.

Faule Flüchtlinge, die sich im gemachten Nest namens Deutschland breitmachen - Welcher Gedankenwelt ein derartiges Gerücht entspringt, ist sachlich schwer zu erklären.

2. "Flüchtlinge sind nicht arm. Sie können sich schließlich die teure Überfahrt leisten und haben sogar Smartphones."

Tatsächlich verdienen kriminelle Schleuserbanden gutes Geld, indem sie Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa bringen. 3000 Euro für eine Überfahrt aus Eritrea, mehr als 8000 Euro für ein Paar, das aus Syrien flieht - und das für eine lebensgefährliche Reise ins Ungewisse.

Auch interessant

Die Flüchtlinge haben oft jahrelang gespart, Haus oder Familienschmuck verkauft, um ihr krisengeschütteltes Land hinter sich zu lassen. Oft tragen sie nach der Flucht ihren letzten Besitz am Körper oder in einem kleinen Rucksack. Wer behauptet, Flüchtlinge seien nicht auf finanzielle Hilfe angewiesen, urteilt vorschnell.

Dass sich Flüchtlinge in Deutschland häufig zuerst ein Smartphone kaufen, hat übrigens nichts mit Luxus oder gelebter Dekadenz zu tun. Per Online-Telefonat nehmen sie Kontakt zu den Hinterbliebenen in ihrer Heimat auf, oft haben sie wochenlang kein Lebenszeichen voneinander gehört. Nebenbei bemerkt: Das Handy wurde ursprünglich erfunden, um voneinander getrennte Menschen zu verbinden.

3. "So schlimm kann es in der Heimat der Flüchtlinge gar nicht sein, wenn sie Frauen und Kinder zurücklassen."

Auffallend viele Männer treten allein die Überfahrt nach Europa an, ihre Frauen und Kinder bleiben häufig in der Heimat. Aber warum werden sie zurückgelassen? Die Antwort ist einfach und erschütternd zugleich: Zu wenig Geld, zu gefährlich.

Wer für die Flucht seinen ganzen Besitz verkaufen muss, hat oft gerade mal das Geld zusammen, um sich selbst aus dem Krisengebiet zu befreien. Männer werden meist vorgeschickt, um in dem sicheren Ankunftsland eine kleine Existenz aufzubauen und zu arbeiten - um die zurückgelassenen Familienangehörigen nachzuholen.

Außerdem ist der Aufbruch nach Europa für Flüchtlinge alles andere als ein Spaziergang. Der Syrier Mahmoud Daaibs erzählt zum Beispiel davon, wie er zunächst auf einer Pickup-Ladefläche mit 27 anderen Menschen durch die Sahara fuhr - zwei Tage ohne Wasser. Wer will seiner Frau und seinen Kindern schon so eine Tortur zumuten?

Mit den Flüchtlingen zieht mehr Kriminalität nach Deutschland? 

4. "Flüchtlinge sind aggressiv und gewaltbereit."

Das Video, das vor knapp zwei Wochen auf die Facebook-Seite "The Modern American Revolution" hochgeladen wurde, sorgte im Netz für helle Aufregung: Die Handy-Aufnahme zeigt eine tobende Straßenschlacht in der Dortmunder Nordstadt. Der Kommentar dazu: Ähnliche Ausschreitungen drohe Amerika, wenn Obama diesen "ausländischen Invasoren" Asyl gewähre.

Das angebliche Flüchtlingsrandale-Video wurde als Propaganda-Lüge entlarvt. Tatsächlich sind die Aufnahmen schon vier Jahre alt und entstanden, als Neonazis, militante Linksautonome und Polizisten aufeinander trafen. Das Material wurde letztlich dazu missbraucht, die Angst vor Flüchtlingen medial zu schüren.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Tatsächlich gibt es keine gehaltvollen Statistiken darüber, dass die Kriminalitätsrate in der Nähe eines Flüchtlingsheim ansteigt. Potsdamer Polizisten haben das an einer Flüchtlingsunterkunft in Potsdam über einen Zeitraum von mehreren Jahren beobachtet. Das Ergebnis: "Statistisch hat sich das Asylbewerberheim nicht auf die Kriminalitätsentwicklung ausgewirkt."

Vorfälle wie die Massenschlägerei unter Flüchtlingen in Kassel in der vergangenen Woche sind die Ausnahme. Aber mal anders gedacht: Wäre die Situation friedlicher abgelaufen, wenn Nicht-Flüchtlinge in einer überfüllten Unterkunft auf wenigen Quadratmetern hausen müssten?

5. "Flüchtlinge klauen Supermarkt-Regale leer."

Ein Rewe-Supermarkt in Jüchen erntete vor knapp zwei Wochen große Jubelstürme auf Facebook: Weil ein unerwarteter Bus mit Flüchtlinge eintraf, verschenkten die Mitarbeiter kurzerhand Lebensmittel, setzen damit ein Zeichen für Solidarität. Über die leeren Supermarktregale beschwerte sich keiner.

Auf Facebook tummeln sich allerdings auch ganz andere Flüchtlings-Märchen. In der bayerischen Stadt Friedberg sollen Asylbewerber beispielsweise regelmäßig den Edeka-Supermarkt von Michael Wollny leerklauen. Und damit nicht genug: Die Medien würden dieses Thema systematisch totschweigen, damit keine Unruhen entstehen. Der Inhaber selbst meldete sich bei Facebook ausführlich zu Wort - und räumte mit der Gerüchteküche auf:

"Wer dieses Märchen unreflektiert aufnimmt und weiter erzählt, der erzählt absoluten Bullshit! Die Asylbewerber, die bei uns einkaufen, erlebe ich als kultivierte und größtenteils gebildete Menschen, die dankbar sind, wenn sie ein paar Tipps oder Hilfe bei der Aktivierung ihrer Simkarten bekommen. (...) Wer weiter gehende Fragen zu diesem Thema hat, darf mich gerne in meinem Markt oder hier auf Facebook ansprechen, bevor er irgendwelchen halbgaren Gerüchten Glauben schenkt, die gerade die Runde machen."

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Facebook, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung
Flüchtlinge hinterlassen eine Spur der Verwüstung? 

6. "Flüchtlinge hinerlassen Müll und Dreck."

Ein zugemüllter Busgang, Fäkalien verteilt im Fußraum - die Bild-Collage, die die Facebook-Gruppe "Österreich bleibt Rot Weiss Rot" Anfang September veröffentlicht hat, soll beweisen, dass Flüchtlinge einen Bus bei ihrer Ankunft am Wiener Hauptbahnhof so hinterlassen haben. Menschen sind allerdings nicht zu sehen.

Eine Userin meldete sich zu Wort, die in der besagten Nacht als Helferin vor Ort war: "Ich weiß nicht, wo das Foto herkommt, aber ich war gestern die ganze Nacht im Einsatz am wbh und am hbf und dort hat nichts so ausgesehen. (...) Nicht blöd da irgendetwas posten, sondern sich selber bitte ein Bild machen!"

Vollkommen entkräftigt ist dieser Vorwurf damit nicht, aber er steht zumindest nicht mehr als absolute Aussage im Raum. Neu wäre diese zusammenhanglose Unterstellung von Asylgegner allerdings nicht. Anfang September hat zum Beispiel ein Bild für große Aufmerksamkeit gesorgt, das den zurückgelassenen Müll von Flüchtlingen an einem Straßengraben zeigen soll. Tatsächlich stammt das Bild aber aus dem Jahr 2012 und dokumentiert eine illegale Mülldeponie im ungarischen Debrecen.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Facebook, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

7. "Mit den Flüchtlingen kommt auch immer mehr der IS nach Deutschland."

Den "Islamischen Staat" mit dem "Islam" gleichzusetzen ist nicht nur falsch, sondern kommt für die Mehrheit der Muslime einer Beleidigung gleich. Der IS ist eine fundamentalische Organisation, der den Namen des Islam missbrauche, so der Tenor unter Muslimen. Die Gebiete im Nordosten von Syrien sowie Mossul, die zweitgrößte Stadt des Iraks, befinden sich mittlerweile in fester Hand des Terrorregimes. Einige Asylkritiker vermuten bei Flüchtlingen aus diesen Gebieten gleich einen IS-Hintergrund - dabei fliehen die Menschen eben wegen dieser Gewaltherrschaft.

Der irakische Flüchtling Bassim Al-Alany erzählt in dem Blog "Menschen unterwegs", wie er die Übergriffe des IS in seinem Heimatdorf erlebt hat:

"Der IS hat unseren gesamten Besitz genommen, einfach so, völlig willkürlich. Wenn jemand kein Geld hatte, gaben sie ihm eine Woche Zeit, um 10.000 Dollar zu beschaffen. Wer das nicht schaffte, wurde getötet. Unser Bürgermeister wurde gezwungen, Männer zusammenrufen, die zu Kämpfern ausgebildet werden sollten. Er hat sich geweigert und wurde erschossen. Sie schlachten Kinder und Alte, und jeden, der nicht auf ihrer Seite ist. Das sind keine Menschen. Sie nehmen sich Frauen, legen ihr die Hand auf den Kopf und sagen: „Die gehört mir.“ Wenn der eine dann mit ihr fertig ist kommt der nächste und macht es genauso. So etwas steht nirgendwo im Koran."