Berlin. Angela Merkels Besuch in einem Flüchtlingsheim war bitter nötig. Denn die Hetze gegen Flüchtlinge ist gefährlich salonfähig worden. Ein Kommentar.

Wenn es denn Zweifel gegeben haben sollte, ob der Besuch der Kanzlerin in einem Flüchtlingsheim wirklich notwendig ist – seit Mittwoch muss auch der letzte Skeptiker überzeugt sein. Es war höchste Zeit für ein klares Signal der Solidarität Angela Merkels mit den Flüchtlingen und mit denen, die sich für diese Menschen einsetzen. Wer jetzt noch von einer überflüssigen Show-Veranstaltung spricht, bei der es in erster Linie um einen Image-Gewinn für den jeweiligen Politiker geht, der hat den Ernst der Lage nicht erkannt.

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Angela Merkels Auftritt in Heidenau hat so deutlich wie kein anderes Ereignis zuvor gezeigt, wie offen, dreist und selbstbewusst die Rechtsradikalen und Fremdenfeinde inzwischen auftreten. Wenn eine Bundeskanzlerin sich von einem hasserfüllten Mob als „Volksverräter“ und „Politiker-Pack“ beschimpfen lassen muss, dann wirft das ein Schlaglicht auf die Stimmungslage in einem wachsenden Teil der Bevölkerung.

Hetze gegen Flüchtlinge wird gefährlich salonfähig

Flüchtlinge in DeutschlandEs sind nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen, die glatzköpfigen Neonazis in Bomberjacke und Springerstiefeln, die die ebenso tumben wie menschenverachtenden Parolen grölen, Flüchtlinge bedrängen und versuchen, ihre Unterkünfte zu blockieren. Um zu erkennen, wie salonfähig die Hetze gegen Flüchtlinge inzwischen geworden ist, muss man sich nur mal in den sozialen Netzwerken im Internet umsehen und umhören. Oder an Kneipentheken und Stammtischen. Oder beim Einkaufsplausch in der Schlange an der Wursttheke. Man habe ja wirklich nichts gegen Ausländer, aber…

Die Hasswelle, die dieser Tage über der SPD-Zentrale nach dem Besuch von Parteichef Sigmar Gabriel in Heidenau in Form von E-Mails, Anrufen oder auf anderen Wegen zusammenschlug, ist kein Zufall. Der dumpfe Hass gegen alles Fremde hat inzwischen Methode und kommt wohlorganisiert daher. Auch das ist ein Alarmzeichen.

Flüchtlingsdebatte eignet sich nicht für parteipolitische Spielchen

Die Bundeskanzlerin hatte lange, vielleicht zu lange gezögert mit ihrem Besuch an einem der Brennpunkte der Fremdenfeindlichkeit. Womöglich wurde sie erst von Vize-Kanzler Gabriel mit dessen Visite in Heidenau politisch unter Druck gesetzt. Doch das ist bestenfalls zweitrangig. Denn das Thema Flüchtlinge eignet sich so wenig wie kaum ein anderes für parteipolitische Spielchen und Taktiererei. Dafür steht auch die Haltung von Bundespräsident Joachim Gauck, der parallel zu Merkels Reise nach Heidenau eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin besuchte.

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Lange wurde das Thema von weiten Teilen der Politik gleichsam mit spitzen Fingern angefasst. Mit dem Einsatz für Flüchtlinge, so die laue und feige Überlegung, lässt sich beim Wahlvolk nicht punkten: Da hält man sich lieber im Hintergrund, als womöglich der nächste zu sein, den die rechten Hetzer aufs Korn nehmen.

Es darf nicht bloß bei Worten bleiben

Dass dies auch anders geht, hat zunächst einer gezeigt, der unmittelbar betroffen ist: Jürgen Opitz, der Bürgermeister von Heidenau. Der Christdemokrat bewies Haltung, als er sich öffentlich und unmissverständlich gegen die Randalierer wandte, die in der sächsischen Kleinstadt gegen die Flüchtlinge randalierten. Sein Appell, die Menschen aus Syrien, Eritrea oder aus dem Irak, die Furchtbares hinter sich haben, menschlich zu empfangen und willkommen zu heißen, verdient allen Respekt.

Der Bundespräsident, die Bundeskanzlerin, ihr Vize-Kanzler – sie haben nun durch ihre Präsenz vor Ort ein Zeichen gesetzt und sie haben klare Worte gefunden. Doch was nun? Dass sich die Randalierer, das „Pack“, wie Sigmar Gabriel die Rechtsextremisten nannte, von diesen Auftritten und Erklärungen wird beeindrucken lassen, ist nicht zu erwarten. Auch deshalb darf es nicht bei Worten bleiben.

Besuch könnte als verheerendes Signal der Hilfslosigkeit enden

Die Besuche von Merkel und Gabriel in Heidenau und von Gauck in Berlin-Wilmersdorf – so richtig und wichtig sie auch waren – können nur der Auftakt zu einer Politik gewesen sein, die sich den Flüchtlingen, die in diesem Jahr zu Hunderttausenden zu uns kommen, zuwendet, statt wie bisher allzu sehr auf Abschottung und Abgrenzung zu setzen.

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Wer vor Krieg und Gewalt, vor Diskriminierung und Ausgrenzung, vor Armut und Elend flieht, der hat zunächst einmal das Recht auf Hilfe und menschenwürdige Behandlung, und dies unabhängig davon, welche Chancen man vorab seinem Antrag auf Asyl einräumt. Sollte die Bundesregierung allerdings alsbald zurückfallen in alte Gewohnheiten, dann bliebe der Besuch der Bundeskanzlerin bei den Flüchtlingen und den Helfern von Heidenau zwar trotzdem ein Signal – allerdings ein verheerendes Signal der Hilfslosigkeit.