Essen/Bonn. “Ohne Handy, ohne mich!“ Ein Buch zeigt jetzt: Die digitale Dauerpräsenz kann dramatische Folgen haben - für Gesundheit und Gesellschaft.
Er sitzt im Café, vor ihm eine dampfende Tasse Kaffee mit einem liebevoll gemalten Herzchen im Milchschaum. Um ihn herum lachende Menschen, die sich von ihrem Wochenende erzählen. All das entgeht ihm, gebannt starrt er auf das Smartphone in der Hand. Der "Homo Digitalis" wischt, scrollt und tippt auf dem leuchtenden Display herum - immer erreichbar, immer auf dem neuesten Stand.
"Smartphones machen abhängig, unproduktiv und unglücklich", so das brisante Fazit von Alexander Markowetz. Der Jungprofessor für Informatik an der Universität Bonn wertete mit Kollegen rund 60.000 Datensätze aus, die anonym unter der App "Menthal" einliefen. Im vergangenen Jahr hatten Informatiker und Psychologen der Uni Bonn die kostenlose App entwickelt, mit der Vielnutzer ihr Verhalten messen und kontrollieren können. Bis jetzt haben sich mehr als 300.000 Personen die Anwendung auf das Handy geladen.
Smartphone-Nutzer sind im Netz gefangen
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Markowetz hat zusammen mit den Journalisten Jan Wielpütz und Ann-Kathrin Schwarz die ernüchternden Ergebnisse in einem Buch zusammengefasst - "Digitaler Burnout - Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist". Das 220 Seiten lange Gedankenwerk verzichtet absichtlich auf wissenschaftlichen Jargon und ist ab Oktober im Buchhandel erhältlich. Die Quintessenz: Smartphone-Nutzer sind gefangen im Netz, durchschnittlich verbringen sie zwei Stunden pro Tag vor dem Handy-Display. Nicht Telefonate, sondern vor allem WhatsApp, Facebook, Instagram oder App-Spielchen beanspruchen ihre Aufmerksamkeit. "Aufmerksamkeitsökonomie hat sich als neues Menschenbild etabliert, Likes sind die Währung, in der der eigene Wert bemessen wird", sagt Markowetz.
Insbesondere warnt der Autor davor, dass die "Generation Smartphone" das Warten verlernen könnte. Die Studienergebnisse anhand der App hätten gezeigt, dass alle 18 Minuten der Blick auf das Handy wandert. Zwölf Prozent ziehen sogar alle zehn Minuten das Smartphone aus der Tasche. Markowetz formuliert diese Beobachtung etwas überspitzter: "Geht man davon aus, dass man 15 Minuten braucht, um sich auf etwas wirklich zu konzentrieren, dann können diese Menschen nicht mehr produktiv sein." Der Informatiker nennt dieses Phänomen "fragmentierter Alltag", ein Zustand der krank machen kann.
Kontrollieren wir das Handy - oder das Handy uns?
Die Studienergebnisse zeigen, dass Smartphone-Nutzer rund 88 Mal pro Tag über den Bildschirm streichen. 33 Mal, um auf die Uhr zu schauen oder um nachzusehen, ob eine Nachricht eingegangen ist. Die restlichen 55 Male interagieren sie mit dem Handy, schreiben E-Mails, nutzen die ein oder andere App oder treiben sich im Internet herum. Warum?
Auf der Suche nach dem Dopamin-Kick
Eine rationale Entscheidung sei das nicht. "Das ist tatsächlich eine spezielle Form der Internetsucht, vergleichbar mit dem, was am Glücksspielautomaten passiert: Der Überraschungsmoment löst einen Dopamin-Schub aus, Glückserwartungen durchströmen uns," sagt Markowetz. Das Aufploppen einer Smartphone-Benachrichtigung - sie löst in etwa dasselbe Gefühl aus, wie der Einarmige Bandit, der drei Pflaumen in einer Reihe anzeigt.
Die Forschung zur Internet- und Smartphone-Sucht steckt noch in den Kinderschuhen, offiziell wurde die Abhängigkeit in Deutschland noch nicht als Krankheit anerkannt. Dennoch gibt es mittlerweile zahlreiche Therapiemöglichkeiten, um die Sucht in den Griff zu bekommen. Das LWL-Universitätsklinikum in Bochum hat zum Beispiel eine Medienambulanz eingerichtet.
Sich auf digitale Diät setzen
Der Gang zum Therapeuten sollte allerdings die letzte Option sein. Man könne sich selbst zunächst auf "Handy-Diät" setzen, rät Markowetz. Dabei geht es nicht darum, das Smartphone zu verteufeln, sondern den Stellenwert zu korrigieren und einen nachhaltigen Konsum zu entwickeln. "Wir haben die Geräte geschaffen, jetzt müssen wir uns an gesunde Umgangsformen gewöhnen", so Markowetz. Das Schlafzimmer zur Handy-freien Zone zu erklären wäre zum Beispiel ein erster Schritt.
Die Smartphone-Nutzung sei erst der Anfang in der digitalen Entwicklung, ein Umdenken sei deshalb erforderlich. Eine Mammutaufgabe, in die Wirtschaft, Politik und Dienstleister miteingebunden werden müssten: „Wir brauchen dringend eine gesellschaftliche Debatte und einen interdisziplinären Austausch in der Wissenschaft, um zu verstehen, was die Digitalisierung mit unseren Psychen macht.”