Essen. . Beim ständigen Blick aufs Smartphone lasten viele Kilos auf der Halswirbelsäule. Vor allem junge Menschen leiden unter dem sogenannten „Handynacken“.

Wenn Sie jetzt gerade diese Zeilen lesen, sitzen Sie vermutlich am Tisch oder in der Bahn. Der Kopf wird geneigt sein. Schon bei einer Neigung von 45 Grad, muss unsere Halswirbelsäule etwa 25 Kilogramm stemmen. Zum Vergleich: In der normalen geraden Kopfstellung sind es fünf Kilogramm. In die Zeitung blicken die allermeisten Menschen aber nicht unentwegt am Tag – dafür umso häufiger auf Smartphone oder Tablet.

Professor Marcus Jäger, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Essen, sieht zunehmend Patienten mit Nackenbeschwerden. „Vor allem die jüngere Altersgruppe ist immer stärker betroffen“, sagt Jäger. Gerade das häufige Nachrichtenschreiben auf dem Handy sei eine Belastung für die Halswirbelsäule und die Schultern. „Beim Texten nehmen wir im Gegensatz zum Telefonieren eine sehr steife Haltung ein und der Kopf ist extrem nach vorne geneigt“, so Jäger. Um den Bildschirm des Smartphones anzuschauen, senken die meisten Handy-Nutzer den Kopf um etwa 60 Grad – dabei wirken bis zu 30 Kilogramm auf den Rücken.

Funktionsstörungen nehmen zu

Bislang gibt es keine Studien, die beweisen, dass es tatsächlich strukturelle Veränderungen durch die ständige Handy-Benutzung gibt – aber Funktionsstörungen des gesamten Rückens nehmen in der jüngeren Generation zu. Eine Studie des New Yorker Wirbelsäulenchirurgen Kenneth Hansraj zeigte, dass insbesondere das Tippen und Lesen am Handy während man läuft, eine starke Belastung ist.

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Er befürchtet, dass die durchschnittlich 700 bis 1400 Stunden, die Smartphone-Nutzer jedes Jahr auf ihr Telefon starren, ernste Haltungsschäden nach sich ziehen. Kenneth war es auch, der die Gewichtsbelastung je nach Neigung berechnet hat.

Unterschiedliche Symptome

In die Praxen kommen Menschen mit Nackenschmerzen, steifen Hälsen und Schmerzen, die bis in die Arme ausstrahlen. Das Halswirbelsäulensyndrom (kurz: HWS-Syndrom) zeigt sich mit ganz unterschiedlichen Symptomen. Auch mit Kopfschmerzen durch die Verspannung, bis hin zu Schwindel und Ohrensausen. Orthopäde Jäger sieht im Begriff HWS-Syndrom eine gewisse Schwammigkeit und rät dazu, genau zu differenzieren. Hinter den Beschwerden kann auch eine degenerative Veränderung stecken, wie Verschleißerscheinungen oder Bandscheibenvorfälle, die sich meist im Alter häufen. Auch entzündliche Vorgänge könnten Auslöser sein. „Bevor man mit der Behandlung beginnt, sollte deswegen eine schwerwiegende Erkrankung ausgeschlossen werden.“

Muskelverspannungen

In den allermeisten Fällen sind die Nackenbeschwerden jedoch Folge von Muskelverspannungen – eben durch die Fehlhaltungen im Alltag oder Verkrampfungen durch Stress. Durch den Schmerz oder Schwindel beginnt nun oftmals eine verfahrene Situation: Die Betroffenen nehmen eine Schonhaltung ein, um Schmerz zu vermeiden. Dadurch verschlimmert sich die Muskelanspannung jedoch. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, empfiehlt Marcus Jäger manch HWS-Geplagtem eine kurzzeitige Einnahme von Schmerzmitteln. Begleitend können Wärme- oder Kälteanwendungen lindern. „Das muss jeder austesten – wir haben auch Patienten, die besser mit Kälte klarkommen als mit Wärmekissen.“

Differenziert wird nach verschiedenen Kriterien

Halswirbelsäulensyndrome lassen sich nach verschiedenen Kriterien einteilen. Man unterscheidet zwischen dem akuten oder chronischen Verlauf, nach der Lokalisation (oberes, mittleres, unteres), nach der Ursache: Ist es funktionell, degenerativ oder posttraumatisch – also nach einem Schleudertrauma entstanden?

Auch die Schmerzausstrahlung ist unterschiedlich. Ein HWS-Syndrom, das in die Arme ausstrahlt, nennt man Zervikobrachialsyndrom. Ohne Ausstrahlung in die Arme heißt es Zervikalsyndrom.

Aber all diese Mittel helfen auf Dauer nicht, wenn die Ursache nicht bekämpft wird. Thema Smartphone: Man sollte sich fragen, ob man wirklich jede Mail oder die Welt-Nachrichten auf dem kleinen Bildschirm lesen muss. Aber auch vor dem Handy oder Tablet gibt es gewisse Verhaltensregeln, die die Halswirbelsäule entlasten können. „Es ist besser, die Augenbeweglichkeit einzusetzen, als den Kopf so weit nach vorne zu beugen“, sagt Jäger. Wer sich an einen Tisch setzt, kann die Haltung optimieren, indem er die Arme aufstützt, um die Schulterpartie zu entlasten.

Training und Übungen

Bei der Arbeit oder unterwegs können kleine Übungen helfen. Marcus Jäger empfiehlt eine einfache Dehnübung. Dabei setzt man sich gerade hin, legt zuerst eine Hand an die rechte Schläfe und übt einen leichten Druck aus, gleichzeitig drückt der Kopf gegen die Handinnenfläche. Diesen Gegendruck hält man einige Sekunden und wechselt dann die Kopfseite. Zum Schluss legt man die Hand noch auf die Stirn und schiebt den Kopf Richtung Hand. Der Gegenpol dazu ist die Hand auf dem Hinterkopf und der Gegendruck mit dem Kopf nach hinten.

Um die Muskulatur dauerhaft zu stabilisieren, hilft nur ein ständiges Training. „Beim Fitnesstraining sollte man unbedingt Arme und Schultern miteinbeziehen und nicht auf viel Gewicht, sondern auf die Wiederholungen setzen“, sagt Marcus Jäger. Es gibt ungünstige Sportarten wie das Radfahren – gerade auf flachen Rennrädern – und auch Brustschwimmen belastet die Halswirbelsäule eher. „Ansonsten kann man sämtliche Sportarten empfehlen, die den ganzen Körper miteinbeziehen und die Halswirbelsäule in einer flexiblen Position halten.“ Dazu gehöre das Joggen genauso wie Fußball oder Basketball.