Bochum. . Immer mehr Jugendliche nutzen ihr Smartphone so häufig, dass Ärzte Alarm schlagen. Die Jugendlichen verlernten analoges Lernen. Inzwischen gibt es Sprechstunden, die sich um Jungen und Mädchen kümmern, die spielsüchtig und handysüchtig sind. Eine 15-Jährige sagt: „Ohne Handy existiere ich nicht.“

Die Vorstellung, ein paar Stunden vom Handy getrennt zu sein, löst bei ihr Panik aus. Eine WhatsApp-Nachricht zu verpassen, ist in ihrem Freundeskreis verpönt und wird als arrogant für alle sichtbar kommentiert. Die 15-Jährige kann nicht mehr leben ohne ihr Smartphone. Es piepst pausenlos und das Display erleuchtet ihr Zimmer auch nachts, um den Eingang einer Nachricht mitzuteilen.

„Ich bin nicht süchtig. Ich rauche nicht. Ich trinke nicht. Jeder hat doch ein Handy“, sagt die Gymnasiastin. Und daher hat sie das Gerät, übrigens eine Geschenk ihrer Eltern, immer dabei. In der Schule, im Bus, bei den gemeinsamen Mahlzeiten Zuhause, beim Vokabeln lernen. „Ohne mein Handy existiere ich nicht. Ohne Facebook bin ich tot“, sagt sie ohne den geringsten Anflug von Skepsis. Die ständige Erreichbarkeit, das Austauschen von Schnappschüssen, die Musiksammlung oder der Terminkalender - „da ist mein ganzes Leben drauf.“

Nicht Facebook ist die Gefahr, sondern die Rolle, die es spielt

„Nicht das soziale Netzwerk oder das Smartphone sind die Gefahr, sondern die Rolle, die es im Leben dieser Mädchen einnehmen kann“, sagt Dr. Stefan Kimm, der die Spezialsprechstunden für Computerspiel- und Internetabhängigkeit in der Elisabeth-Klinik Dortmund für Kinder - und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) leitet, und Fälle wie den der jungen Frau immer häufiger in seiner Sprechstunde hat.

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Kimm stuft die Like-Funktion als süchtigmachend ein. „Niemand ist mehr von der Anerkennung von Gleichaltrigen angewiesen als Jugendliche. Je mehr Likes, desto besser“. Auch wenn sie von Menschen kämen, die man gar nicht kenne. Denn von 500 Facebook-Freunden kenne man häufig gerade mal 30 persönlich, etwa die Freunde aus der Schule, persönlich.

Es gibt keine besseren Babysitter als die neuen Medien. Doch auch Erwachsene lassen sich verführen - von ihrem Smartphone. Das hat die Universität Bonn nachgewiesen. Die von ihr entwickelte App „Menthal“ zeichnete das Nutzungsverhalten von Smartphone-Usern auf. „Menthal“, die von 150.000 Menschen kostenlos runtergeladen wurde, bringt es an den Tag. Die Auswertung von 500 Aktivitätsprofilen zeigt, das die Mehrheit das Smartphone mehr als zwei Stunden pro Tag nutzt.

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Die 18 bis 23-Jährigen setzten ihr Smartphone alle 7,5 Minuten in Gang und nutzten es drei Stunden am Tag. „Nicht etwa, um zu telefonieren, sondern um sozialen Netzwerke zu nutzen oder um zu spielen“, sagt Junior- Professor Alexander Markowetz vom Institut für Informatik an der Uni Bonn und verantwortlich für die Menthal-Studie. Das Hauptinteresse der Forscher gilt dem problematischen Handygebrauch. Als problematisch gilt, wenn andere Lebensbereiche wie Familie, Schule oder Beruf vernachlässigt werden.

Da hilft kein Multitasking, denn das Bestreben, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen, spart keine Zeit. „Wir verlernen es, uns auf eine Sache zu konzentrieren. Wir müssen immer auch woanders sein und am besten überall gleichzeitig. Das wird Folgen haben“, sagt Bert te Wildt, Oberarzt an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Bochum. Die Menschen verzettelten sich, das werde sich auswirken auf schulische Leistungen. Analoges Lesen und Schreiben erforderten eine vertiefte Aufmerksamkeit, die den digital natives vermutlich in Zukunft immer schwerer fallen werde. Für Bert te Wildt ist es ratsam, dass Heranwachsende zunächst lernen, nicht-digitale Medien zu beherrschen.

Die Gesellschaft ist abhängig

Wenn es um die Abhängigkeit von Handys und sozialen Netzwerken geht, will er die Eltern nicht aus der Verantwortung nehmen. Diese seien Vorbilder, sie müssten medienfreie Zonen und Zeiten schaffen, wie zum Beispiel den Esstisch bei den gemeinsamen Mahlzeiten, „Es ist ein vernichtendes Signal, wenn ich meinem Kind, nie ungeteilte Aufmerksamkeit gebe.“ Die Gesellschaft insgesamt sei abhängig. Sie müsse sich klar machen, was sie im zwischenmenschlichen Bereich aufgebe, wenn sie sich durch die neuen Medien vereinnahmen lasse.

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Bert te Wildt will die neuen Medien nicht verteufeln: „Natürlich interessieren sich junge Menschen für ein neues Medium. Sie sind die ,early adopters’, die Früheinsteiger, die einen zeitlichen Vorsprung gegenüber ihren Eltern haben.“

Warum nutzen Menschen ihr Smartphone exzessiv? Beim Start wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet, das an eine Erwartungshaltung geknüpft ist. Stefan Kimm: „Das ist vergleichbar mit einem Glücksspiel. Ich starte, um etwas Tolles zu bekommen, vielleicht ein ,Gefällt mir’.“