Essen. Michael Lohrmann bringt mit dem „Vinyl-Bus“ sein analoges Musik-Sortiment zu den Fans vor Ort – bis Ende 2023 soll die Fahrt noch gehen.
„DO-LP 3313“ – liest ein Musikfan mit analogen Hörgewohnheiten diese Buchstaben und Ziffern, öffnet er im Geiste schon das Klappcover. Und, na klar, eine LP, ob nun „Doppel-“ oder einzeln, wird natürlich „auf 33“ abgespielt – also mit exakt 33 ⅓ Umdrehungen pro Minute. Merke: Die Liebe zur Langspielplatte steckt beim Dortmunder Vinyl-Bus auch im Detail.
Kein Wunder, denn der Mann an Steuer und Kasse ist ein Musik-Freak, wie ihn sich Nick Hornby nicht besser hätte ausdenken können. „Meine erste eigene Platte war ,Wish You Were Here’ von Pink Floyd. Die hab ich mit sechs Jahren gekauft – danach war es um mich geschehen“, erinnert sich Michael Lohrmann, Fahrer und Eigner des knallgelben US-Busses, der einst in Florida Schulkinder transportierte.
Vom Verleger zum Verkäufer
Nun bringt er schwarzes Gold mit Rillen in strukturschwache – heißt: plattenladenarme – Gebiete. Und davon gibt’s reichlich. Denn auch wenn Vinyl derzeit einen Boom erlebt, ploppen Plattenhändler ja nicht gerade wie Bubble-Tea-Läden in den Fußgängerzonen auf.
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Keiner weiß das besser als Michael Lohrmann, denn der 52-Jährige beschäftigt sich schon sein gesamtes Erwerbsleben lang mit Musik – nicht als Händler, sondern als Zeitschriftenverleger. Mit der „Visions“ brachte er Deutschlands Alternative-Rock-Zentralorgan an den Kiosk, später das Interviewmagazin „Galore“ – und schließlich: „Mint“, ein Heft nur für Vinylfans.
Sammlung sortieren – „das ist so ein bisschen wie Teppich ausklopfen“
2018 dann der Bruch: „Ich hab den Verlag verkauft und überlegt, was ich nun machen will. Da kam mir die Idee mit dem Vinyl-Bus.“ Ihm fehlte dafür nur Letzteres, denn Platten hatte er als Fan eh reichlich. „Ich kaufe regelmäßig ganze Sammlungen, was ich nicht behalten will, verkaufe ich“, so Lohrmann. Rund 2500 Platten hat er selbst zuhause. „Einmal im Jahr sortiere ich aus – das ist so ein bisschen wie Teppich ausklopfen. Dann sehe ich Platten, wo ich mir denke: Brauche ich die wirklich?“
40-50 Alben wandern so jährlich zusätzlich in den Bus. Zwischen 3500 und 4000 Second-Hand-Scheiben warten dort immer auf Käuferinnen und Käufer. In gepolsterten Kisten – schlaglochfreundlich. Mit großem Aufwand hat Lohrmann den 20 Jahre alten US-Schulbus umgebaut, natürlich inklusive Plattenspieler.
Im Lockdown füllte sich das Plattenlager
Im November 2019 dann die Jungfernfahrt: Lohrmann parkt den Bus in Moers vor der Tür eines Hifi-Händlers. „Es war unfassbar voll, die haben mich wirklich geplündert“, erinnert sich der fahrende Händler, als er in der vergangenen Woche erneut am Premierenschauplatz steht. „Ich hatte 16, 17 Leute zeitgleich im Bus und die kamen voll beladen wieder raus.“
„Ich glaub, da habe ich was richtig gemacht“, sagte sich Lohrmann noch begeistert, doch dann schlug Corona zu: 18 Monate war der Vinyl-Bus lahmgelegt. Was das Plattenlager weiter füllte: „Ich habe in der Zeit ganz viele Sammlungen aufgekauft, weil mir auch langweilig war“, so der Platten-Fan- und -Händler. „Jetzt hab ich noch so viel zu verkaufen, dass ich das Projekt um ein Jahr verlängern werde.“
Am Wochenende geht der Dortmunder zum BVB
Eigentlich wollte der Ex-Verlagschef seinen rollenden Plattenladen nämlich nur zwölf Monate betreiben. Jetzt soll er noch bis Ende 2023 weiterfahren – immer von Mittwoch bis Freitag. „Am Wochenende fahr ich nicht, wegen Fußball“, so der glühende BVB-Fan. Ausnahmen gibt’s aber – wenn die Nationalmannschaft kickt, denn: „Länderspiele interessieren mich nicht.“ Und am kommenden Samstag – beim Vinyl-Bus-Heimspiel in Dortmund? „Da kommt um 14 Uhr ein Freund vorbei und übernimmt das Geschäft. Ich geh dann ins Stadion“, so Michael Lohrmann lachend.
Montag und Dienstag hat er aber ebenfalls zu tun: „Platten auspreisen, den Bus packen, die Routen buchen und bewerben, Pressearbeit machen, Buchhaltung machen. Also alles, was ein normaler stationärer Plattenhändler unter der Woche im Laden macht.“ Nicht zu vergessen: „Alle Platten im Bus sind UV-gewaschen.“
Von AC/DC bis zum „Star Wars“-Soundtrack
Lohrmanns Kunden wissen das zu schätzen – und sind ihm treu: „Die Leute kommen gezielt zu mir., ich hab keine Laufkundschaft.“ Am vergangenen Donnerstag sind die meisten Kunden tatsächlich Kunden, also männlich. Aber auch Karin Schremmer aus Neukirchen-Vluyn steigt in den Bus – bekleidet mit AC/DC-T-Shirt. Neben Rock gehören aber auch Soundtracks – etwa von „Star Wars“ – zu den Favoriten der 54-Jährigen. CDs kauft sie sonst ebenfalls, aber MP3s sind für sie „kastrierte Musik“.
Ozzy Osbourne für 1500 Euro
„Alles außer Schlager und Klassik“ hat Michael Lohrmann im fahrenden Sortiment. Classic Rock geht am besten“, weiß er. Beatles, Bowie, Jethro Tull – im Vinyl-Bus bleibt kein Wunsch unerfüllt. Die Preise sind zivil, auch Schnäppchen im einstelligen Bereich kann man machen. „Nach oben ist im Bus bei 100 € Schluss“, so der Dortmunder. „Ich will nicht, dass die Leuten denken, sie sind in einer Apotheke.“
Die kostspieligen Raritäten hat er freilich gleichwohl – zuhause im Lager. Interessenten bekommen eine Liste mit Platten ab 50 €, auf Anfrage bringt Lohrmann die teureren Schätzchen mit zum nächsten Halt. Gerade erst hat er besonders Exklusives verkauft: Eine signierte und limitierte Box von Ozzy Osbourne für 1500 €. Da kommt selbst der Fan und Händler Michael Lohrmann ins Staunen: „Ich hätte früher auch nie gedacht, dass Leute für 2 bis 3000 Euro Platten kaufen, aber das kommt tatsächlich häufiger vor.“ Ihn freut’s – schließlich ist sein rollendes Ladenlokal aus US-Produktion auch ein ganz schöner Spritfresser.
>>> Hier hält der Vinylbus:
Termine in der Region: 5.+6.11. Dortmund (10-18 Uhr, Top-Tageszentrum, Emil-Figge-Str. 43), 17.11. Bergkamen (13-19 Uhr, Euronics, An der Bummansburg 6), 19.11. Mülheim (14-19 Uhr, Impulstreu, Geitlingstr. 117), 17.12. Hagen (13-19 Uhr, Euronics, Elseyer Str. 12-14), 21.12. Arnsberg (14-18.30 Uhr, Loftsound, Apothekerstr. 30). Im Bus gilt Maskenpflicht. Alle Termine und Stationen gibt’s hier.