Essen. Ab 9. September gibt’s die neue Platte von Ozzy Osbourne: „Patient Number 9“ hat die Rocklegende davor bewahrt, durchzudrehen. Ein Gespräch.
Die Gesundheit spielt immer noch nicht so richtig mit, aber eine erneute Operation am Nacken, Parkinson und andere Gebrechen halten Heavy-Metal-Urgestein Ozzy Osbourne keineswegs von der Arbeit ab. Und so hat der 73-Jährige gerade wieder ein vorzügliches neues Album aufgenommen: „Patient Number 9“. Steffen Rüth unterhielt sich per Zoom (aber leider ohne Video) mit einem Rockstar, dem er die Fragen teils zwei bis drei Mal entgegenbrüllen musste, dessen Schalk aber immer wieder aufblitzte.
Wie läuft es, lieber Ozzy?
Gut, gut. Ich bin noch immer dabei, mich von meiner letzten Operation zu erholen. Das war doch eine ziemlich massive aber auch gute Sache. Es dauert, aber es wird so langsam besser. Ich muss Geduld haben.
Es ging echt schnell mit deinem neuen Album „Patient Number 9“. Hat es dich selbst überrascht, wie kreativ du gewesen bist?
Ach, das hatte mit dieser bescheuerten Pandemie zu tun. Und mit meinem Nacken. Ich konnte wegen beidem nicht groß weg, und ich hatte auch nichts zu tun. Ich wollte aber was tun, ich hatte keine Lust, nur herumzusitzen. Dass ich dieses Album machen konnte, hat mich davon abgehalten, durchzudrehen und verrückt zu werden.
Wie gefällt dir „Patient Number 9 selbst?
Ich bin glücklich damit, wie es sich anhört und wie meine Stimme klingt. Andrew Watt, mein Produzent, hat das total toll gemacht. Ich muss zugeben, mit der ganzen modernen Technologie heutzutage bin ich komplett überfordert. Ich habe davon überhaupt keine Ahnung. Aber das geht jetzt alles so viel schneller, wenn ich zuhause singe und meinen Teil zuliefere, als wenn alle zusammen im Studio sind.
Du magst die neue Art des Aufnehmens? Über Computer und mit dem Hin- und Herschicken von Sounds?
Ja. Oder besser: Ja und nein. Diese Kids haben das drauf, für die ist das nichts Besonderes, so zu arbeiten. Immer, wenn sich eine neue Technologie durchsetzt, verschwindet jedoch wieder ein kleines Stücken mehr von der ursprünglichen Kunst des gemeinsamen Musikmachens. Das muss man schon so sehen. Heute werden die Platten nicht mehr so gemacht, wie bei uns in den Siebzigern, das ist der Lauf der Zeit.
Was mochtest du damals besonders gern?
Wir haben Schicht für Schicht auf Band aufgenommen. Wir hatten 24 Spuren zur Verfügung. Jeder wusste, was er tun musste, und am Ende saß die ganze Nummer und passte. In der heutigen Zeit drückst du Knöpfe, nimmst auf, und wenn es nichts geworden ist, drückst du den nächsten Knopf. Nur weiß ich selbst nicht mehr, wo die Knöpfe sind. Dafür habe ich Andrew Watt, einen großartigen Typen und phänomenalen Knöpfedrücker. Andrew und ich, wir haben eine großartige Chemie. Er weiß, was ein Song von Ozzy Osbourne braucht.
Wer ist denn eigentlich dieser „Patient Number 9“?
Die Geschichte rund um diesen Patienten ist fiktiv, wir haben uns das ausgedacht. Jedenfalls ist er ein Patient in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Wie ist die Geschichte entstanden?
Aus dem Nichts. Sie war einfach da.
Und warum gerade „Patient Number 9“? Wer sind die anderen Patienten?
Auch diese Zahl, die Neun, kam einfach raus. Zack, und die Idee war da.
Faszinieren dich psychiatrische Anstalten als solche?
Naja, ich bin mal als Patient in einer gewesen. Dass es mich fasziniert hat, kann ich nicht sagen. Die Drähte in meinem Gehirn waren damals heiß gelaufen, die Psyche brauchte Ruhe und Abkühlung.
Das war, soweit ich weiß, 1982, am Ende deiner „Diary Of A Madman“-Solotournee, richtig?
Ja, das stimmt. Ich hatte aber auch schon den frühen Siebzigern einen psychischen Zusammenbruch.
Wie hast du dich davon wieder bekrabbelt?
Ich habe eine Zeit lang Medikamente genommen, so wurde es nach und nach wieder besser. Weißt du, die Leute haben immer noch Schwierigkeiten damit, zu sagen, dass sie psychische Probleme haben oder in einer psychiatrischen Anstalt waren. Dabei ist das so verbreitet und überhaupt kein Grund, sich zu schämen. Besonders seit diesem Pandemieding. Ich kann mir echt vorstellen, wie es die Leute im Kopf kaputtgemacht hat, zwei Jahre in ihren Häusern eingesperrt gewesen zu sein. Der totale Horror.
Für dich auch?
Durch die Schmerzen in meinem Nacken und die Operation hätte ich sowieso nicht viel machen können. Keiner hat gearbeitet, und ich meistens auch nicht. Aber ich habe meine Ziele erreicht in dieser Zeit: Das Album zu machen und den Nacken operieren zu lassen.
Welches Ziel ist das nächste?
Auf Tournee zu gehen. Das würde ich unheimlich gerne. Sobald ich meine Gesundheit zurückhabe, werde ich loslegen und wieder live spielen.
Tust du viel für deinen Körper gerade?
Ich habe einen persönlichen Trainer, der mit mir Physiotherapie macht. Jeden Tag! Also an fünf Tagen pro Woche. Und ich mache zusätzlich noch viele Übungen alleine. Das Coronavirus hatte ich auch, war nicht angenehm. Einen Tag war ich komplett am Arsch, wirklich komplett. Dann habe ich Pillen genommen, zwei am Morgen, zwei am Abend, und es wurde wieder besser. Glücklicherweise bin ich vollständig geimpft.
Im Song „Immortal“ behauptest du dann, unsterblich zu sein. Das denkst du aber nicht wirklich, oder etwa doch?
Nein, nein, nein. Ich weiß sehr gut, dass ich nicht unsterblich bin. Es gab mal Zeiten, da war ich mir ganz sicher, dass es niemals zu Ende gehen wird. Aber das tut es. Alles geht irgendwann einmal vorbei, auch mein Leben hier auf Erden. Aber es kann gerne noch eine ganze Weile weitergehen.
Also keine Rente.
Bitte nicht. Die Arbeit hält mich am Leben.
Das hast du auch bereits über die Aufnahmen deines vorherigen Albums „Ordinary Man“ gesagt. Ist die Musik demnach dein Lebenselixier?
Absolut. Ich flippe aus, wenn ich nichts zu tun habe. Was soll ich machen? Nur im Haus liegen und jammern? Nein, ich muss Songs schreiben und Platten machen. Ich arbeite einfach so viel, wie ich kann. Wenn ich erschöpft bin, mache ich eine Pause oder Feierabend. Ich quäle mich nicht. Im Gegenteil. Ich habe viel lieber etwas zu tun, als mürrisch zu sein und zu denken „Ich werde nie wieder laufen können“ oder „Ich werde nie wieder eine Show spielen können“. Ich meine, an dieser Platte zu arbeiten, war auch wie eine Therapie für mich. Ich denke lieber über tausend andere Dinge nach als über meine Gesundheit.
Bist du auch der Meinung, dass „Patient Nummer 9“ ein kleines bisschen dunkler und härter geworden ist als dein 2020 erschienenes Album „Ordinary Man“, auf dem du ebenfalls mit Andrew Watt gearbeitet hast?
Hmm, keine Ahnung. Ich habe einfach ein Album gemacht. Ohne solche Vorsätze. Wenn du aber denkst, es ist dunkler, dann ist es vermutlich dunkler. Ist voll in Ordnung für mich, wenn das so rüberkommt. Wir hatten aber nicht so etwas wie ein Konzept, ein düsteres Album zu machen. Es kam halt so raus. Und auch, dass die Songs so schön lang sind, hat sich einfach so ergeben.
Erinnert dich „Patient Number 9“ vielleicht sogar an den frühen Ozzy, an die goldene Zeit von Black Sabbath gar?
Wir haben 2022. Daran kommen wir nicht vorbei. Und ich bin kein großer Freund von Nostalgie. Aber hätte „Patient Number 9“ auch ein geiles Sabbath-Album sei können? Ja, absolut. Gegen eine solche Behauptung von dir habe ich so rein gar keine Argumente (lacht).
Zakk Wylde spielt als Gitarrist wieder eine tragende Rolle und ist auf mehreren Stücken zu hören. Kannst du ein bisschen über eure Zusammenarbeit plaudern?
Mit Zakk ist es einfach. Wo auch immer ich auf der Welt gerade bin, ich muss nur bei Zakk anrufen, und er ist zur Stelle.
Aber zu wem sagst du „Du Arschloch“ am Ende von „Mr. Darkness“, auf dem Zakk ebenfalls spielt?
Wir albern nur ein bisschen rum. So reden wir halt. Bei uns wird niemand wirklich beleidigt, oder jeder (lacht). Ich schaffe es einfach nicht, die ganze Zeit immer total ernsthaft zu sein. Der Blödsinn gehört bei mir dazu. Der Humor ist superwichtiger Teil meiner ganzen Arbeit, die Selbstironie auch.
Mit Jeff Beck und Eric Clapton sind auch zwei ehemalige Yardbirds-Mitglieder mit von der Partie. Wie stehst du zu den Yardbirds?
Ich liebe die Yardbirds, schlicht und einfach. Der Name Jeff Beck fiel, als Andrew und ich über die Platte sprachen. Wir dachten, wäre es nicht total cool, Jeff Beck als Gitarristen zu gewinnen. Und mit Eric war es genauso, wir kennen uns ein bisschen sind uns ein paar Mal über den Weg gelaufen. Ich sagte zu Andrew, er soll doch beide fragen, und wenn sie nicht wollen, dann eben nicht. Und wenn sie wollen, super. Er fragte, und beide sagten „Klar, super“. Und ich so: Fuck, yeah, Jeff Beck und Eric Clapton sind dabei. Jeff Beck, Mann. Der Kerl ist ein Genie.
Auch Tony Iommi von Black Sabbath ist dabei.
Ja, das ist er. Tony hat mich toll unterstützt und stand mir in der schwierigen Zeit bei. Wir haben phantastische Songs zusammen gemacht, „No Escape From Now“ zum Beispiel, eine echt mächtige Nummer.
Ist es eigentlich korrekt, dass du versucht hast, auch Jimmy Page für dein Album zu gewinnen?
Ja, das ist wahr. Keine Ahnung, warum das nicht geklappt hat. Ich hatte ihm geschrieben, aber da kam nichts zurück. Wahrscheinlich hatte er andere Sachen zu tun.
Und Taylor Hawkins, der verstorbene Schlagzeuger der Foo Fighters, ist mit von der Partie.
Taylors Beitrag bedeutet mir sehr viel. Es ist traurig. Nur wenige Wochen, bevor er starb, spielte er noch seinen Part für meine Platte ein.
Ozzy, du hast verkündet, dass du euer Haus verkaufen, Los Angeles verlassen und mit deiner Frau Sharon wieder zurück in deine Heimat nach England ziehen möchtest. Was ist der Grund?
Steuern! Hier in Kalifornien ist das richtig übel geworden, was man da inzwischen bezahlen muss, ist der Wahnsinn. Und ich habe auch ein bisschen Sehnsucht nach Europa, meinen Geschwistern, ihren Kindern und Enkeln.
Du hast jetzt vor kurzem das 40-jährige Hochzeitsjubiläum mit Sharon gefeiert. Hättest du gedacht, dass eure Ehe so lange hält?
Sharon und ich, wir sind ein Wunder. Vierzig Jahre! Wir haben wirklich allen gezeigt, dass es funktionieren kann. Die Wenigsten hätten das wohl für möglich gehalten.
Was ist das Geheimnis eurer Beziehung?
Ich habe gelernt, in Deckung zu gehen.
Zum Schluss was Politisches, Ozzy. In Europa ist Krieg, Putin hat die Ukraine überfallen. Was denkst du, als Engländer Jahrgang 1948, über das, was gerade geschieht?
Ich denke, das ist sehr, sehr traurig, was in der Ukraine passiert. Ich hatte geglaubt, wir wären weiter und klüger. Ich bin im Frieden aufgewachsen. Ich hatte nicht damit gerechnet, noch einmal Krieg zu erleben. Und gerade in der heutigen Zeit ist es doch verdammt noch Mal geisteskrank, so einen Krieg vom Zaun zu brechen. Ich bin gegen diesen Krieg, so sehr man das nur sein kann.
Letzte Frage, der Rock’n’Roll, wird er uns alle überleben?
Das möchte ich doch wirklich sehr hoffen!