Berlin. Bei „Miosga“ ging es am Sonntag um den tödlichen Messerangriff in Solingen. Welche Konsequenzen sollten nach dem Anschlag gezogen werden?
Eigentlich sollte es bei „Caren Miosga“ in der ersten Ausgabe nach der Sommerpause um die in einer Woche anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen gehen. Doch der Messerangriff auf einem Stadtfest im nordrhein-westfälischen Solingen am vergangenen Freitag, bei dem drei Menschen getötet und mehrere schwer verletzt wurden, hat die Frage der inneren Sicherheit in Deutschland wieder einmal in den Fokus gerückt – und in die Themenplanung des ARD-Talks.
Der sogenannte Islamische Staat reklamiert die Tat in Solingen für sich, inzwischen gibt es zwei Bekennerschreiben und auch ein entsprechendes Video ist im Umlauf. „Die Person auf dem Foto auf dem zweiten Bekennerschreiben und auch die im Video ist vermummt. Deshalb kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen, dass es der Attentäter ist“, sagt Michael Götschenberg, ARD-Experte für Terrorismus und Innere Sicherheit. „Aber es sieht so aus, als ob es eine Verbindung zum ‚IS‘ gibt.“
„Caren Miosga“: Das waren die Gäste
- Saskia Esken (SPD), Parteivorsitzende
- Herbert Reul (CDU), Innenminister Nordrhein-Westfalen
- Sineb El-Masrar, Publizistin
- Michael Götschenberg, ARD-Experte für Terrorismus und Innere Sicherheit
- Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei
Esken: „Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit“
„Wir leben in einer Gefahr vor terroristischen Anschlägen“, sagt die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken. „Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit und das ist sehr schmerzhaft.“ Der Anschlag habe sich gegen „unsere freie und offene Gesellschaft“ gerichtet. „Die Tat hat offenkundig einen terroristischen Hintergrund, sonst würde die Bundesanwaltschaft nicht ermitteln“, sagt Esken.
Von der Bundesanwaltschaft hieß es am Sonntag, dass der Attentäter die Ideologie des IS teile und sich der Vereinigung zu einem derzeit nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt angeschlossen habe. Aufgrund seiner islamistischen Überzeugungen habe er den Entschluss gefasst, am vergangenen Freitag „auf dem Solinger Stadtfest eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht ungläubiger Menschen zu töten“.
„Caren Miosga” in der ARD: Krieg im Nahen Osten hilft der „IS” bei der Mobilisierung
„Aus Sicht einer Terrororganisation ist es egal, wo ein Anschlag passiert”, sagt Michael Götschenberg. „Passiert es auf kleineren Festen, sendet das das Signal, dass es überall passieren kann.” Für den Terrorismusexperten spielt der Krieg im Nahen Osten eine große Rolle in der erneuten Mobilisierung des „IS”. Dessen Propaganda-Organ Amak teilte im Onlinedienst Telegram mit, dass der Attentäter habe „Rache“ für Muslime in den Palästinensergebieten und anderswo auf der Welt geübt habe.
Publizistin Sineb El-Masrar stimmt Götschenberg zu. „Terrororganisationen brauchen den Konflikt im Nahen Osten, um zu mobilisieren”, sagt sie. Die muslimische Community in Deutschland sei eine sehr heterogene Masse. Die meisten Menschen seien sehr betroffen und hätten ein großes Bedürfnis, dass etwas gegen den Extremismus getan werden müsse.
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Allerdings, so El-Masrar „es gibt eine Schizophrenie bei Muslimen. Und zwar, dass immer so getan wird, als hätte der Islamismus nichts mit der Religion zu tun. Aber es steht alles in den Schriften. Hier muss man viel kritischer damit umgehen.” Diese Knoten sei bislang nicht geplatzt, so die Publizistin. „Man sagt immer: Der Islam ist Teil von Deutschland. Aber man muss auch sagen, dass der Islamismus schon lange Teil Deutschlands ist.”
Wenn man wolle, dass Rechtsradikalismus zurückgedrängt werde, dann müsse man sich auch mit Islamismus beschäftigen. Denn beide seien antisemitisch und hätten das gemeinsame Feinbild Israel.
Kopelke bei „Miosga”: „Thema Radikalisierung ist überhaupt nicht neu”
Miosga will von ihren Gästen wissen, ob sicherheitstechnisch in Deutschland zu wenig getan werde. Denn der tatverdächtige Syrer hätte bereits Anfang 2023 abgeschoben werden sollen. Zu diesem Vorgang sind noch eine Reihe von Fragen offen. Auch Herbert Reul, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen (CDU) sagt: „Ich habe meine Zweifel, ob der Mechanismus geeignet ist, um Menschen abschieben. Das Ergebnis ist unbefriedigend. Es lohnt sich garantiert, da hinzuschauen.”
Jochen Kopelke ist Bundesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei und hält das Internet für den größten Nährboden von Radikalisierung. „Das Thema der Radikalisierung ist überhaupt nicht neu”, sagt er. „Aber es wird zunehmend schwerer, einen einzelnen jungen Mann, der sich alleine im Internet radikalisiert zu fassen.” Er fordert deshalb, „im 21. Jahrhundert anzukommen und die Polizei entsprechend auszustatten“.
Esken hält Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz für wichtig
Außerdem wünscht er sich mehr Befugnisse im digitalen Raum, wie etwa, das Mitlesen auf Online-Plattformen – und auch die Verwendung von dort erlangten Erkenntnissen. „Damit wir nicht sagen müssen wir könnten, aber wir dürfen nicht.”
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Esken sieht gute historische Gründe – Nazideutschland und die DDR – für das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz, will Anbieter wie Instagram oder Telegram mehr in die Meldepflicht nehmen. In Bezug auf die Befugnisse der Polizei erklärte Esken hingegen, lasse sich aus diesem Anschlag, „nicht allzu viel lernen, weil der Täter ja offenkundig nicht polizeibekannt war und insofern nicht unter Beobachtung stand.“
Reul hingegen findet, die Ampel tue zu wenig und plädiert für mehr technische Ausstattung der Polizei und mahnt an, dass alles zu langsam gehe. Und Sineb El-Masrar findet: „Die Bevölkerung hat einen sehr großen Frustrationshintergrund. Wir haben es in der Vergangenheit nicht geschafft, sachlich und nüchtern zu diskutieren – und das über Parteigrenzen hinweg”. Ihr Appell: das in Zukunft anders machen.