Köln. Bunny Wailer ist der letzte der Wailers um Bob Marley. Am Samstag tritt er beim Summerjam in Köln auf. Eine Begegnung mit dem Großvater des Reggae.

Es hat immer etwas von Gottesdienst, wenn die europäische Reggae-Gemeinde in Köln zum „Summerjam” zusammenkommt. Manche Priester geben sich modern, fast weltlich, setzen auf Rhythmus und Tanzschritt. Andere tragen wallende Gewänder und vereinen Klage und Lebenslust mit fester Stimme. Aber nur einer darf sich als Vater dieser (im Grunde christlichen) Bewegung fühlen, die es schafft, 30 000 junge Menschen drei Tage lang zu beseelen. „Eigentlich der Großvater”, sagt Bunny Wailer.

Tischtennis und Cricket

Summerjam

Der Summerjam (3.-5. Juli in Köln) ist mit rund 30 000 Besuchern das größte Reggae-Festival Europas.

Auf der Insel im Fühlinger See treten neben Bunny Wailer (Sa., 23.40 Uhr) auch UB 40 oder Tiken Jah Fakoly, einer der einflussreichsten afrikanischen Reggae-Künstler auf. Die deutsche Szene ist etwa mit Jan Delay, Patrice und Jondo vertreten. Abendkasse: 88 Euro. Ein-Tagestickets nur Sonntag: 50 Euro. www.Summerjam.de

Gefühlt reicht seine Geschichte zurück in die musikalische Urzeit, noch bevor der Ska zu Reggae wurde. Ein Jahr nachdem sich in England die Rolling Stones gründeten, taten sich 1963 auf Jamaika Bunny und Bob Marley, Peter Tosh und drei weitere Sänger (die schnell ausstiegen) zu den Wailers zusammen: der ersten international erfolgreichen Band aus der Dritten Welt. Sie definierten ein ganzes Genre. Die Stones selbst sollten später nach Jamaika pilgern, um mit ihnen zu arbeiten.

So lange kann das allerdings doch nicht her sein, denn der 62-Jährige, den wir im Best Western Hotel treffen, wirkt drahtig und frisch: begeisterter Tischtennis-Spieler, Cricket, Schwimmen, Fußball – „aber die Nahrung ist mein Doktor”, sagt Bunny, der letzte Überlebende der Wailers. Als Rastafari ernährt er sich vegetarisch und von Fisch. Aber er meint auch geistige Nahrung und – das ist Bestandteil seines Glaubens: „göttliches Kraut”, Marihuana. Ein Jugendverderber? Eher ein nicht frustrierter Alt-68er, ein Kulturrebel.

Amüsiert sitzt er da in seiner Aufmachung als Hohepriester: im weißen Anzug, mit Goldkrönchen und rot-gelb-grünen Zepter – ein Showmensch und Überzeugungstäter. Wobei das befremdliche Detail, der äthiopische Kaiser Haile Selassie sei eine Inkarnation Gottes gewesen, nicht davon ablenken sollte, dass sich der Rastafari-Glaube sehr wörtlich auf die Bibel bezieht. Sie liegt in seinem Schoß. Bunny hebt allerdings auch Zeitgenossen in den Himmel: „Barack Obama ist wie Bob Marley. Er ist ein Geschenk Gottes, des Allmächtigen. Ein Auserwählter wie Bob, der die beiden Seiten vereinigt, die schwarze und die weiße. Ich hoffe und bete, dass er das richtige tun wird.”

Alles war musikalisch

Bob und Bunny waren Nachbarkinder und Schulfreunde im Dörfchen Nine Miles, mehr noch: Bobs Mutter und Bunnys Vater waren alleinerziehend. Als Paar zogen sie mit ihrer Kinderschar in den berüchtigten Kingstoner Stadtteil Trench Town, und so wurden Bunny und Bob zu Brüdern. „Wir waren die geborenen Sänger”, erinnert sich Bunny. „Wir wuchsen auf in einem sehr kirchlichen Umfeld, mein Vater arbeitete als Handwerker in einer Kirche. Musik war unser spiritueller Urgrund: Choral und Gesang, Klatschen, Tamburin und stampfende Füße: Alles war musikalisch.”

Es war wohl dennoch ein märchenhafter Zufall – Bunny sagt „Bestimmung” – dass es in Trench Town einen überzeugten Moralisten gab, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Talente der Straßenkinder in künstlerische (und spirituelle) Bahnen zu lenken. Der Musiker Joe Higgs nahm Bob, Bunny und Peter wie so viele neben ihnen auf: Harmonielehre, Atemkontrolle, Musiktheorie – Higgs bestand darauf, dass seine Schüler nicht nur Nat King Cole lernten, sondern auch eigenes Material schrieben. Und Bob Marley war der Musterschüler.

Das Ende der Band

„Jeder wollte damals Sänger werden, aber wir wollten sicherstellen, dass wir etwas mit Substanz abliefern.” Tatsächlich, mit Hits wie „I shot the sheriff” und „Get up, stand up” wurden die Wailers groß und größer. Bei ihrer ersten Amerika -Tour 1973 stahlen sie als Vorgruppe sogar Sly & the Family Stone die Show – und wurden von ihm rausgeworfen. Da stieg auch Bunny Wailer aus. Es ranken sich viele Legenden um die Gründe. Heute sagt Bunny: „Der Produzent Chris Blackwell schlug uns Sachen vor, die nicht in die spirituelle Richtung gingen, die uns angemessen war. Er sagte solche Sachen wie: ,Ein Künstler stirbt nach zehn Platten, so oder so.' Ich mochte diese Sprüche nicht. Bob hat es auf neun Alben gebracht.” 1981 starb er an Krebs.

Bunny Wailer wollte keinen Ruhm um jeden Preis, er verließ die Band und begann eine Solokarriere. Doch wenn die Wailers die Beatles der Dritten Welt waren, dann war Bunny George Harrison: der dritte Mann, trotz hoher Produktivität und toller Alben („Blackheart Man”) im Schatten der beiden toten Freunde. Er startete ein Plattenlabel, zog sich immer wieder auf seine Farm zurück (stundenlang könnte er über Kokosnussanbau referieren), startete zum Beispiel eine gebührenfreie Vorschule und verweigert beharrlich den Abgang als Märtyrer: „Ich bin hier, um den Sieg des Guten über das Böse zu sehen, und dabei mach' ich keine Fehler.”